! Berliner MieterGemeinschaft - MieterEcho 299 - August 2003 - Der Unterschied zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft

Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Der Unterschied zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft

Berliner Messe soll privatisiert werden

Interview mit Gerlinde Schermer

Seit Jahren gibt es Bemühungen, nach Gehag, GASAG, Bewag, Wasserbetrieben usw., auch die Messe Berlin zu privatisieren. Das MieterEcho sprach mit Gerlinde Schermer, die sich mit dem so genannten Donnerstagskreis - einer Gruppe linker Sozialdemokraten in der SPD Berlin - gegen die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Aufgaben wendet.

MieterEcho (ME): Seit kurzem gibt es Überlegungen zum Abriss des ICC. Das haben Sie zum Anlass genommen auf die schleichende Privatisierung der Messe Berlin hinzuweisen. Wo ist da der Zusammenhang?

Gerlinde Schermer (GS): Zunächst einmal zur Vorgeschichte: Schon vor einem Jahr ging durch die Presse, dass Raimund Hosch, der Vorstandsvorsitzende der Messe Berlin GmbH im Einklang mit Roland Berger, eine Privatisierung, also den Verkauf des Messegeschäfts forderte. Wenn das nicht geschehen würde, drohe die Pleite. Diese Inszenierung war für uns der Anlass, uns die Messe mal genauer anzuschauen. Damals fand gerade der Wechsel zwischen Gysi und Wolf im Aufsichtsrat der Messe statt - und in der ersten Sitzung wollte man Wolf über den Tisch ziehen. Der Donnerstagskreis hat daraufhin in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften mobilisiert, auch unter Sachverständigen, und den Vorgang öffentlich gemacht. Dadurch wurde dieser Versuch der Privatisierung verhindert.

Und jetzt, ein Jahr später, kommt Michael Müller, der Fraktionsvorsitzende der SPD, auf die Idee, das ICC müsse abgerissen werden. So etwas geschieht natürlich nicht aus heiterem Himmel. Das ICC ist das am besten ausgelastete Kongresszentrum Deutschlands, wahrscheinlich sogar Europas.

ME: Aber es heißt doch, dass das ICC defizitär sei.

GS: Es geht ja um die Messe Berlin als Ganzes. Die räumliche und operative Anbindung des Messegeländes an das Kongresszentrum ICC ist für Berlin ein herausragender Standortvorteil. Wir haben die Situation der Messe analysiert und darüber einen Bericht erarbeit. Unser Ziel war es, besonders den Abgeordneten deutlich zu machen, wie die Lage der Messe ist, welchen Nutzen sie der Stadt bringt und warum eine Privatisierung unterbleiben muss.

Die Forderungen des Donnerstagskreises sind Folgende: Die Privatisierungsdiskussion ist zu beenden. Es muss ein klares, begründetes und öffentlich gemachtes Bekenntnis der Politik zur Messe als öffentliches Eigentum geben. Dann muss eine neue Geschäftsführung her. Hosch hat bisher auf ganzer Linie versagt.

Man muss wissen: Wie machen es die anderen? Während hier zwischen 1999 und 2001 der Umsatz stagnierte, hat z.B. die Münchener Messe ihren Umsatz um 54% gesteigert, die Nürnberger um 60%. Auch die Auslastung ist woanders um ein Vielfaches besser. Die Kapazitätsauslastung der Wettbewerber übersteigt diejenige der Messe Berlin um rund 230%. Oder die Gewinnsituation: Die Messe Berlin muss nur eine minimale Pacht an den Senat zahlen und macht dennoch keinen Gewinn. Die Messe München hingegen muss ihre Investitionen zur Hälfte aus eigener Kraft finanzieren, also Abschreibungen und Zinsen erwirtschaften - und dennoch ist man in München erfolgreich.

Die Messe Berlin lastet ihre Kapazität derzeit bei weitem nicht aus. Die kluge Entscheidung des Abgeordnetenhauses, in den Ausbau der Messe zu investieren - immerhin 1 Mrd. Euro, führte dazu, dass wir in Berlin heute einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Messen haben. Riesige Flächen derzeit ungenutzter Hallenkapazität müssen wir nutzen und damit massiv an den Markt gehen.

Indem wir unsere Standmieten den Bedürfnissen des Mittelstands anpassen und für diesen das Angebot auf internationalen Messen auszustellen, auch bezahlbar halten, fördern wir unsere Region. Das bringt auch betriebswirtschaftlich massive Umsatzsteigerungen. Fachleute sagen, dass dies bis zu 60 Mio. Euro zusätzlich bringen könnte. Aus diesen Mitteln kann man dann auch das ICC sanieren, ohne das Land zu belasten. All das wäre möglich, mit einer fähigen und loyalen Geschäftsführung. Wer die alte Geschäftsführung in ihrem Missmanagement belässt, schadet unserer Stadt.

Wichtig war uns, die volkswirtschaftlichen Aspekte herauszuarbeiten, damit die Abgeordneten nicht auf die Argumentation derer hereinfallen, die wegen ihres persönlichen Profits die Messe ruinieren - und damit der Stadt massive Umsatzeinbußen zufügen.

ME: Welche volkswirtschaftlichen Effekte ergeben sich?

GS: Es gibt unterschiedliche Arten von Messen. Es gibt die großen Publikumsmessen wie die Grüne Woche, wo viele Besucher kommen. Diese Eigenveranstaltungen sind für die veranstaltende Messe ein gutes Geschäft. Neben den Eintrittspreisen erhält sie auch von den Ausstellern gutes Geld. Diese regionalen Publikumsmessen bringen der Stadt, selbst dann, wenn sie zahlreiche Besucher anziehen (und der Messe damit hohe Einnahmen bescheren), wenig, weil die Besucher in Berlin oder der Umgebung wohnen und kein zusätzliches Geld in die Stadt kommt.

Daneben gibt es die internationalen Fachmessen, die von einem Veranstalter organisiert werden. Solch eine Messe ist z.B. die Frankfurter Buchmesse. Diese Messe ist für das Image der Stadt Frankfurt als Wirtschaftsstandort, für Hotellerie und Gastronomie, für Taxigewerbe und Einzelhandel, für Handwerk und Kulturbetrieb sowie für das Kommunikations- und Dienstleistungsgewerbe von riesiger Bedeutung. Die Stände werden gebaut, die Besucher übernachten und geben viel Geld aus. Der Messe selbst bringt sie nicht so viel - aber die Stadt "brummt".

Auf internationalen Fachmessen haben auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen die Gelegenheit, sich einem überregionalen Markt vorzustellen. Das ist gut für die regionale Wirtschaft, insbesondere weil allgemein bekannt ist, dass zusätzliche Arbeitsplätze deutschlandweit nur noch in Kleinbetrieben zwischen zehn und 20 Beschäftigten geschaffen werden. Erschließt man über Messen neue Märkte, entstehen neue Arbeitsplätze und die brauchen wir ja wohl.

Das Interesse des Lands Berlin müsste es also sein, möglichst viele internationale Fachmessen zu akquirieren, selbst wenn das für die Messe selbst zunächst nicht so profitabel ist und das Land auch einmal zuschießen muss. Denn kein privater Messeveranstalter würde freiwillig internationale Fachmessen durchführen.

ME: Aber wenn sich die Messe Berlin auf die profitablen Publikumsmessen konzentriert, woher kommt dann das schlechte Ergebnis?

GS: Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Raimund Hosch wurde 1999 zur Messe Berlin geholt. Herr Hosch hat vor allem die Privatisierung der Messe GmbH betrieben. Das kann man nicht nur aus den Äußerungen gegenüber der Presse ablesen, es ist auch an der Vielzahl von Aus- und Neugründungen (Messe Berlin Reed, Capital Facility, Capital Services, Capital Marketing und Media) und dem fortschreitenden Personalabbau erkennbar. Mit den großen Hallen und dem ICC hat die Messe Berlin einen enormen Standortvorteil, das sind Juwelen. Und dennoch ist die Auslastung der Messehallen insgesamt schlecht. Eine solche Geschäftsleitung gehört abgelöst. Und den Aufsichtsrat muss man sich auch genau ansehen.

ME: Liegt das am Unvermögen oder halten Sie es für möglich, dass eine politische Absicht dahinter steckt?

GS: Im Abgeordnetenhaus weiß man ja nur wenig über die Messegesellschaft. Seit den frühen 1990ern, als man ihr 1 Mrd. Euro für den Ausbau der Hallen bewilligt hatte, hat sich das Abgeordnetenhaus mit dem Thema kaum befasst. Zu überprüfen, was mit dem Geld eigentlich geschehen ist - das hat man vergessen. Und also bedienen sich bestimmte Kräfte. So ist das in Berlin. Weil die Privatwirtschaft aus eigener Kraft nichts schafft, versucht man, Aufträge von der öffentlichen Hand zu bekommen oder die öffentlichen Einrichtungen gleich selbst zu übernehmen. Manche sagen: Die hauen da richtig ihre Zähne rein. Und man kennt sich: Die gleichen Leute, die jetzt mit der Messe ihre bösen Spielchen treiben, hatten damals unter Finanzsenator Kurth (CDU) auch die Vorlage zum Facility Management eingebracht.

ME: Wie soll das Facility Management betrieben werden?

GS: Facility Management ist ein schwieriger Begriff. Es bedeutet im Grunde, dass die Verwaltung und Vermarktung der Immobilien, über die die öffentliche Hand verfügt, ausgelagert werden. Es war beabsichtigt, alle landeseigenen Gebäude Schritt für Schritt über die Rechtskonstruktion einer GmbH & Co. KG einer privaten GmbH zu übertragen, die sich dann um die Pflege, Instandhaltung, Vermietung, Verwaltung, Verkauf oder Ankauf kümmert. Es war sogar vorgesehen, dass das Land Berlin vor jedem Umzug die GmbH um Erlaubnis fragen muss. Auch die Gutachten, die dafür nötig sind, hätte das Land dort bestellen müssen, das sollte alles vertraglich festgelegt werden. Obwohl diese Vorlage vom Senat zunächst in das Abgeordnetenhaus eingebracht worden war, konnten wir das in einem Kraftakt zusammen mit den Abgeordneten noch so verändern, dass für das Facility-Management eine hundertprozentig landeseigene Gesellschaft gegründet wurde, die jetzt ihre Arbeit aufnimmt. Ein erster Angriff wurde also abgewehrt und die privaten Interessenten sind nicht zum Zuge gekommen. Jetzt suchen sie sich neue Wege, z.B. die Messe Berlin. Auch dort gibt es seit 2001 ein Facility Management. Als wichtiger Schritt zur Privatisierung wurde durch den Zusammenschluss der Messe Berlin, der Hochtief-Facility-Management GmbH und der GegenbauerBosse GmbH & Co. KG die Capital-Facility GmbH (CFG) gegründet. Natürlich lobt sich Herr Hosch dafür im Geschäftsbericht. Für die Zahlung von einmalig 11 Mio. Euro an das Land, verzichtet dieses - für zehn Jahre - auf seinen Gewinn, und die Firma GegenbauerBosse erhält den Auftrag für Facility Management mit einem gesichertem Auftragsvolumen von 250 Mio. Euro. Solche Geschäfte wünscht man sich. Denn nun beginnt für GegenbauerBosse das Geldverdienen und zwar mit allen Mitteln. Ein Beispiel: Vor wenigen Tagen erhielten die Mitarbeiter der CFG einen Rundbrief zum Thema "Reparaturen". Dort hieß es sinngemäß, dass nicht mehr repariert werden solle, da Reparaturen ‚unser Geld’ kosten würden. Besser sei: ‚wir verschrotten und kaufen neu’ - das muss Berlin bzw. die Messe bezahlen.

Das ist die Politik von Geschäftsführung und Aufsichtsrat. Wenn schon keine Totalprivatisierung, dann eben ein allmähliches Aussaugen und Kaputtmachen. Zu dieser Strategie gehört auch die Forderung, das ICC abzureißen. Da verdient man zunächst beim Abriss und am Neubau verdient man gleich noch einmal. Und die Kosten trägt das Land, also wir Steuerzahler.

ME: Wie meinen Sie, dass man aus der Misere herauskommen kann?

GS: Der Senat und der Aufsichtsrat der Messe haben inzwischen Entscheidungen getroffen, die jede Sorge rechtfertigen. Der Umstand, dass die Privatisierer von FDP, CDU und Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) seit Wochen auf Tauchstation sind, ist bezeichnend. Die SPD-Fraktion hat sich zur Zukunft der Messe positioniert. Der Fraktionsvorsitzende Müller hat sich darüber hinweggesetzt. Seine Abrissbirne beschädigt nicht nur das ICC. Es macht auch die Glaubwürdigkeit des SPD kaputt.

ME: Frau Schermer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Johannes Touché.

Gerlinde Schermer, geboren 1956 in Stolberg/Harz, lebt seit 1987 in Berlin. Seit 1990 ist die gelernte Finanzökonomin selbständige Steuerbevollmächtigte. Nach ihren Eintritt in die SPD 1989 war sie u.a. von 1991 bis 1999 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und sie ist noch immer im Ausschuss für Wirtschaft und mit wechselnden Funktionen Mitglied im Landesvorstand der Berliner SPD. Seit 1998 ist sie eine der drei SprecherInnen des Donnerstagskreises.