Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Steuerparadies Deutschland

Lohnabhängige schultern die Hauptsteuerlast während Unternehmen vielfältige Schlupflöcher und Steueroasen zu nutzen wissen

Hermann Werle

Gäbe es keine leeren Haushaltskassen, so müssten sie von interessierten Kreisen erfunden werden. Denn kein Argument weiß die Öffentlichkeit besser auf Privatisierungen und die Angriffe auf die sozialen Sicherungssysteme einzustimmen, als der gebetsmühlenartig wiederholte Verweis auf die finanzielle Notlage der Kommunen, Länder und des Bunds. Meldungen von Kostenexplosionen und ineffizienten kommunalen Betrieben bestimmen die Nachrichten. Von Explosionen kann indes kaum die Rede sein, vielmehr sind vor allem die Kommunen von Implosionen betroffen, nämlich die der Steueraufkommen.

"Die Lohnabhängigen und Verbraucher finanzieren derzeit unseren Staat", diese Worte entspringen keinem Vertreter der "Lobby des Stillstands", wie der Spiegel die Gewerkschaften betitelt, sondern dem Oberbürgermeister der Stadt Landshut, Josef Deimer. Und der CSU-Politiker legt noch einen drauf wenn er den Aufsichtsratsvorsitzenden "einer westdeutschen Nobel-Automarke" wiedergibt, der sich rühmte, dass es gelungen sei, seit Jahren keine Ertragssteuern mehr zu bezahlen. Auch der Energiegigant E.ON bekommt sein Fett weg. Der Konzern jubiliert über gut gefüllte Kassen für weitere Übernahmen sowie steigende Dividendenauszahlungen, kündigt aber gleichzeitig den Städten und Gemeinden ganz unverfroren an, keine Gewerbesteuern mehr zu zahlen. Deimer zitiert hierfür aus einem Schreiben der Kapitalgesellschaft: "Für den Veranlagungszeitraum 2002 erwarten wir auf Basis unseres Budgets, bestehender Verlustvorträge und tiefgreifender Veränderungen in der Struktur unseres Organkreises ebenfalls keine Gewerbesteuer". Landshut ist kein Einzelfall, Christian Ude, der Oberbürgermeister Münchens, erklärte im Juli 2002 die Gründe für die kurz zuvor verhängte Haushaltssperre mit den geschrumpften Steuervorauszahlungen der großen Kapitalgesellschaften. Die in München ansässigen sieben börsennotierten Unternehmen (Allianz, BMW, Hypo-Vereinsbank, Infineon, MAN, Münchener Rück und Siemens) machten zwar alle satte Gewinne, zahlten laut Ude aber allesamt keine Gewerbesteuer mehr.

Agent der Kapitalgesellschaften

Landshut und München gehören nicht gerade zu den finanzschwächsten Städten der Republik. In wirtschaftlich schwächeren Regionen sieht es dementsprechend noch dramatischer aus. Nach Angaben des Deutschen Städtetags mussten quer durch die Republik rund 30 Großstädte über 100.000 Einwohner 2001 Gewerbesteuerausfälle von über 20% hinnehmen. Spitzenreiter ist Offenbach, wo im Jahr 2002 ein negatives Gewerbesteueraufkommen zu verkraften war. Auch für die kommenden Jahre rechnet der Städtetag mit wachsenden Steuerausfällen. Somit werden die Kommunen trotz der harten Sparkurse notwendige Investitionen, Sozialhilfeleistungen, Personalkosten für ErzieherInnen, Bademeister oder Museumsmitarbeiter nur auf Kosten noch höherer Verschuldungen finanzieren können. Die politische Durchsetzbarkeit der von Unternehmensseite seit langem geforderten Privatisierung lukrativer kommunaler Betriebe erfährt an dieser Stelle den entscheidenden Durchbruch. Privatisierungen werden als alternativlose Einnahmequelle stilisiert und Politiker jeglicher Couleur agieren als Agenten der Steuer- und Privatisierungsinteressen der großen Kapitalgesellschaften. An höchster Stelle durfte Heribert Zitzelsberger zur rechten Hand Hans Eichels Platz nehmen. Nach einem Bericht der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) kommentierte der BAYER-Konzernchef Schneider die Berufung des früheren BAYER-Steuerexperten Heribert Zitzelsberger zum Staatssekretär im Finanzministerium süffisant "als unseren Beitrag" zur Steuerpolitik. "Wir haben unseren besten Steuer-Mann nach Bonn abgegeben", tönte er und: "Ich hoffe, dass er so von BAYER infiltriert worden ist, dass er (...) die richtigen Wege einleiten wird". Unter Zitzelsberger wurde u.a. die Körperschaftssteuer für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne von 40% bzw. 30% auf einheitlich 25% abgesenkt. Betrugen die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer im Jahr 2000 noch 23,6 Mrd. Euro, mussten die Finanzämter 2001 rund 400 Mio. Euro an die Unternehmen zurückzahlen, stellt der Fachbereich Wirtschaftspolitik von ver.di fest. Außerdem wurden im Rahmen der rot-grünen Steuerreform die Erlöse aus dem Verkauf von Unternehmensteilen steuerfrei gestellt und großzügige Gestaltungsregelungen, sprich Steuerschlupflöcher gewährt. Die Unternehmen haben diese Entwicklung mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, hatte "ihr Mann" doch ihre Interessen politisch umgesetzt. Trotz steigender Gewinne zahlten Unternehmer, Konzerne und Reiche in den letzten zwei Jahren 50 Mrd. Euro weniger Steuern und sorgten durch Rationalisierungen, Übernahmen und Fusionen für ein weiteres Anwachsen der Arbeitslosenzahlen. Nach einer Recherche des ARD Nachrichtenmagazins Report, war Zitzelsberger als Aufsichtsrat der Telekom vor dem dritten Börsengang der T-Aktie Mitte 2000 bestens über den absehbaren Kurssturz der "Volksaktie" informiert, reagierte allerdings nicht. Auch hier hat der Abgesandte Eichels nur seinen Job gemacht und tausende Kleinanleger gingen mit ihren Papierschnipseln baden.

Legal oder illegal

Sorgten kommunale Unternehmen früher für hohe und stetige Gewerbesteuereinnahmen, nutzen gerade die großen, transnational agierenden Konzerne alle erdenklichen Tricks, um sich der gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen. Nach einem Bericht des Hamburger Abendblatts vom 02.12.2002 gehen dem deutschen Fiskus jährlich bis zu 20 Mrd. Euro durch Umsatzsteuerbetrug verloren. Diese Form des Betrugs ist in Deutschland besonders einfach und wird geradezu provoziert, da die Finanzämter so genannte Vorsteuerüberhänge an Unternehmen auszahlen. Das Prinzip ist einfach: Eine Firma bezieht Ware und verkauft diese mit gehörigem Preisaufschlag an eine zweite, die die Ware wiederum an eine dritte im EU-Ausland verkauft. Letzteres ist umsatzsteuerfrei. Die zweite Firma hat also eine hohe Umsatzsteuer entrichtet, aber keine Mehrwertsteuer eingenommen. In diesem Fall springt das Finanzamt mit einer Zahlung der Differenz ein. Die erste Firma, die die Umsatzsteuer hätte abführen müssen, wird derweil aufgelöst. Laut Abendblatt werden diese Geschäfte in der Praxis mit bis zu 30 Scheinfirmen gemacht. Zwar soll seit dem 01.01.2002 mit dem so genannten "Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz" diesem Betrug ein Ende bereitet werden, in der Praxis dürfte der Nachweis jedoch schwierig sein. Die Bundesbank hält in ihrem Monatsbericht vom Juni 2003 dazu fest, dass die Umsatzsteuerrückgänge im letzten Jahr unter anderem darauf zurückzuführen sind, dass "die Ende 2001 verabschiedeten Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung offenbar noch nicht zu nennenswerten Mehreinnahmen geführt haben." Weitere Einladungen zu "steuerfreundlichen" Bilanzen der Konzerne bilden die großzügigen Abschreibungsregelungen, Verlustvorträge und Rückstellungen, mit denen die ausgewiesenen Gewinne und damit auch die Körperschaftssteuer kleingerechnet werden können. All die Steuerschlupflöcher gehen den Unternehmerverbänden und der FDP noch nicht weit genug. Um den legalen und illegalen Tricks entgegenzuwirken, schlagen die Liberalen vor: "Die Steuerentlastung muss so kräftig sein, dass Anreize zur Steuervermeidung völlig beseitigt werden. Gefordert sind stärkere Anreize des Steuersystems für Leistung am Markt, für arbeitsplätze." Anders ausgedrückt: Steuerbetrügereien sollen durch das vollständige Streichen z.B. der Gewerbesteuer verhindert werden und das Ganze soll dann auch noch Arbeitsplätze schaffen.

Steuern zahlen, arbeiten und Maul halten

Solange es noch Unternehmenssteuern gibt, können jene Konzerne, die ihre Profite ganz auf die sichere Seite bringen wollen, diese z.B. in die Steueroasen der Karibik transferieren. Während sich einige Leser und Leserinnen vielleicht gar keinen Urlaub mehr haben leisten können, bevorzugen Unternehmen die Cayman Inseln oder die Bermudas. In den Steuerparadiesen erholen sich die Superreichen gleich neben diversen Finanzinstituten. Diese kümmern sich nicht nur um die privaten Vermögen der Urlauber, sondern auch um die Sicherung von Unternehmensgewinnen vor dem Zugriff der Steuerbehörden. "Wir gründen für Sie Gesellschaften in vielen Staaten der Welt", wirbt die "Gesellschaft für internationale Steuerplanung und Vermögenssicherung" aus Wien und erläutert im Internet auch den Ursprung ihres Erfolgs: "Verschärfung der Konkurrenz", "Abnahme der Diskretion im Bankwesen und Aufhebung der Anonymität" sowie die "stark angestiegene Steuerbelastung in den Sozialstaaten der westlichen Welt." "Den unter der enormen Steuerlast geplagten Unternehmen, Freiberuflern und Privatpersonen", so die Finanztrickser weiter, "sind dadurch viele Möglichkeiten zur sinnvollen Gestaltung ihrer Steuerangelegenheiten vorenthalten und Millionen und Abermillionen an Abgaben zu viel bezahlt worden." Wüsste man es nicht besser, könnte man vor Mitleid in Tränen ausbrechen. Fakt ist jedoch, dass die Steuerquote, dass heißt das Verhältnis der Gesamtsteuerbelastung zum Bruttoinlandsprodukt seit Jahren sinkt und heute bei nur noch knappen 21% liegt. Die Hauptsteuerlast ist von den Lohnabhängigen zu schultern: Betrug der Anteil der Lohnsteuer Ende der 1970er Jahre 30%, so sind es heute rund 5% mehr, wohingegen der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuer von 30% auf 15% zusammengeschmolzen ist. Entgegen der permanent behaupteten viel zu hohen Steuerlast für Unternehmen in Deutschland, liegt die Belastung weit unter der anderer großer Industrieländer. "Die Steuerpolitik ist inzwischen der eigentliche Skandal in unserem Land", erklärte der Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, Dieter Scholz, auf einer Kundgebung im letzten Jahr. Recht hat er, denn es geht um nichts anderes als die Profite der Konzerne zu erhöhen und den Staat darauf zu trimmen, nationale, sprich Konzern-Interessen, im Kongo, am Hindukusch und sonst wo in der Welt zu verteidigen. Für Daseinsvorsorge und soziale Sicherungssysteme bleibt da nicht mehr viel über. Die kürzlich beschlossene Vorziehung der nächsten Steuerreform soll wiederum mitunter durch Privatisierungen gegenfinanziert werden - Widerspruch ist zwecklos. Denn wenn Kanzler Schröder mit Rücktritt droht, stehen die rot-grünen Parteisoldaten stramm und heben das Pfötchen. Dem Wahlvolk bleibt es vorbehalten, zu jedem Preis zu arbeiten, Steuern zu zahlen und das Maul zu halten - so haben uns die rot-grünen-gelb-schwarzen Parlamentskanaillen am allerliebsten.