Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 298   Juli 2003

IMMOBILIENVERWERTUNGSBEILAGE

Der Streit um die Rigaer Straße 94 nimmt kein Ende

Peter Nowak

Ungewöhnlicher Andrang herrschte Mitte Mai im Friedrichshainer PDS-Wahlkreisbüro 'Roter Laden'. Ständig saßen dort viele junge Leute und diskutierten. Doch es war nicht etwa der Parteinachwuchs, der sich dort traf. Am 12.05. hatten zahlreiche Aktivisten des Projekte- und Initiativenrats (PiRat) das PDS-Büro friedlich besetzt. Sie protestierten damit gegen die für die Bewohner unhaltbare Situation im Haus- und Kulturprojekt Rigaer Straße 94 (Das MieterEcho berichtete mehrmals über die Auseinandersetzungen).

Nachdem der Hauseigentümer Suitbert Beulker am 07.05. mit einem großen Polizeiaufgebot fünf Wohnungen räumen ließ, spitzte sich der jahrelange Streit zwischen den Mietern des Hauses und dem Hausbesitzer Beulker dramatisch zu. In den folgenden Tagen kamen die restlichen Bewohner des Hauses und die Nachbarn nicht mehr zur Ruhe. Polizeifahrzeuge standen ständig in der Nähe des Hauses und häufig kreiste auch ein Polizeihubschrauber über den Dächern. Denn die Wohnungsräumungen waren für Beulker der Anlass, endlich Herr im Hause zu spielen. Sein Ideenreichtum war scheinbar grenzenlos. Die geräumten Wohnungen wurden in den folgenden Tagen systematisch unbewohnbar gemacht. Neben einem Bauarbeitertrupp legte der Hausbesitzer selber kräftig mit Hand an. "Er schlug mehrmals wie wild mit einer Axt auf Türen und Öfen ein und schrie: Das ist alles mein Eigentum", berichteten mehrere Augenzeugen übereinstimmend. Die Aktion war immer von einem großen Polizeiaufgebot begleitet. Mehrmals wurden kurzzeitig Leute festgenommen, die von Beulker oder den Bauarbeitern beschuldigt wurden, die Zerstörungsarbeiten behindert oder beleidigende Äußerungen gemacht zu haben. Freunde der Hausbewohner hingegen konnten sich nicht auf polizeilichen Schutz verlassen, wenn sie von den Bauarbeitern oder Beulker persönlich über die Straße gejagt und tätlich angegriffen worden sind. Das ist nach Berichten von Betroffenen und Augenzeugen im Zeitraum zwischen dem 07. und 15.05. häufiger geschehen.

Doch auch wenn die Bauarbeiter Feierabend hatten, war für die Hausbewohner der Stress mit dem Hausbesitzer nicht beendet. Ein von Beulker angeheuerter Sicherheitsdienst bewachte den Eingang Tag und Nacht. Anhand einer von Beulker angefertigten Namensliste entschieden sie, wer das Haus betreten konnte und wer vom Hausbesitzer "zur unerwünschten Person" erklärt wurde und draußen bleiben musste. Zu letzter Kategorie gehören nicht nur Freude der Bewohner, sondern auch Mieter. "Obwohl ich Mietvertrag und Ausweis mit Meldeeintrag vorweisen konnte, durfte ich nicht in meine Wohnung", berichtete eine Mieterin auf einer Pressekonferenz. "Als ich daraufhin die in der Nähe postierten Polizisten aufforderte, mir Zutritt zu meiner Wohnung zu verschaffen, verschränkten die nur die Arme und erklärten hämisch, "wir sind offiziell gar nicht hier"."

Mieter dürfen keinen Besuch empfangen

Mittels einer einstweiligen Verfügung gelang es drei Mietern nach mehreren Tagen, sich wieder Zugang zu ihrer Wohnung zu ver-schaffen. Doch selbst dann gab es noch Schwierigkeiten, weil die Männer des Sicherheitsdienstes sich eher an Beulkers Liste als an der einstweiligen Verfügung orientierten. Eine weitergehende einstweilige Verfügung, die auch das Zutrittsverbot für Besucher der Hausbewohner aufheben sollte, wurde vom Richter hingegen mit dem Verweis auf das Sicherheitsinteresse des Vermieters abgelehnt. Damit war für die Mieter das Recht unkontrolliert Besuch zu empfangen, außer Kraft gesetzt. Beulker wird diese Entscheidung natürlich noch bestärkt haben seinen Privatkrieg gegen die Hausbewohner fortzusetzen. Schließlich hat er schon in der Vergangenheit gezeigt, dass er sich dabei von niemand stoppen lassen will. Versuche von Friedrichshainer Bezirkspolitikern, den Konflikt an einem runden Tisch zu lösen, wurden von ihm konsequent ignoriert. Politikern von PDS und Grünen drohte er sogar mit Hausverbot, als sie vermittelnd eingreifen wollten. Auch auf die Medien ist Beulker nicht gut zu sprechen. Pressevertreter wurden vor den Augen der Polizei vom Wachschutz bedroht. Einem Fotografen wurde am 13.05. die Kamera entrissen und auf den Boden geworfen. Augenzeuge dieser Aktion war u.a. der Kreuzberger PDS-Bezirksverordnete Steffen Zillich. Ebenso wie der PDS-Vertreter im Berliner Abgeordnetenhaus Freke Over bezeichnete Zillich das Vorgehen von Beulker und seinen Sicherheitsdienst als völlig untragbar. Allerdings betonten beide, dass ihre Einflussmöglichkeiten äußerst begrenzt seien. "Wir können nicht einfach Polizeieinsätze stoppen oder Strafverfahren niederschlagen."

Die PiRat-Aktivisten ebenso wie die Bewohner der Rigaer Straße hingegen verweisen auf die politische Verantwortung der PDS als Regierungspartei in Berlin und in Friedrichshain. Neben dem Abzug des Sicherheitsdienstes und dem sofortigen ungehinderten Zugang zu den Wohnungen ihres Hauses, forderten sie auch ein Ende der Berliner Linie, die noch aus Zeiten des CDU-Senats stammte und Besetzungen verhindern sollte. Doch der Konflikt in der Rigaer Straße 94 hat aller Rhetorik der Bewohner zum Trotz nichts mit einer Hausbesetzung zu tun. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen einem besonders skrupellosen Hausbesitzer und den Mietern. Schließlich wurde 1991 ein Rahmenmietvertrag zwischen den vorherigen Besetzern und der damaligen Verwalterin WBF (Wohnungsgesellschaft Berlin-Friedrichshain) geschlossen. Mittlerweile hat Beulker in unmittelbarer Nähe zur Rigaer Straße 94 vier weitere Häuser aufgekauft. Die dortigen Mieter sind vonseiten Beulkers ebenfalls ständigen Schikanen ausgesetzt. Auch sie beginnen sich zu wehren und überwinden dabei die Berührungsängste zum Hausprojekt. Allerdings muss angesichts von Beulkers Agieren befürchtet werden, dass die Bemühungen zu spät kommen.