Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 298   Juli 2003

Magic Dust

Wenn die Wände in der Wohnung plötzlich schwarz werden

Ulla Otte

Ein Phänomen tritt seit einiger Zeit vermehrt auf: Man heizt - und fast über Nacht entstehen schwarze, klebrige, rußähnliche Flecken in der Wohnung, die sich nur sehr schwer entfernen lassen: Magic Dust. Oft werden die dunklen Stellen an der Wand, aber auch auf Möbeln, zuerst für Schimmelpilz gehalten. Beim Beseitigen wird dann festgestellt, dass sich die Ablagerungen - anders als Schimmel - nicht wegwischen lassen und nach dem Überstreichen wieder erscheinen.

Magic Dust ist eine Ablagerung von schwerflüchtigen organischen Verbindungen und Staubteilchen und hat nach bisherigem Erkenntnisstand keine gesundheitlichen Folgen, doch beeinträchtigt er die Wohnqualität oft erheblich. Besonders stark von Flecken betroffen sind Außenwände, Fenster, kunststoffhaltige Materialien, aber auch Vorhänge und andere Einrichtungsgegenstände. Der Schaden "Schwarze Wohnung" ist bisher kaum bekannt: Das Umweltbundesamt untersucht das Phänomen, das verstärkt seit Inkrafttreten der Wärmeschutzverordnung 1995 in Kraft trat. Experten fürchten, die seit dem 01.02.2002 geltende Energieeinsparverordnung (EnEV), könnte die Problemfälle noch vermehren.

Chemikalienmix in der Wohnung

Die Analyse von Schadensfällen zeigt, dass hauptsächlich Farben, Kleber und Kunststoffböden an "schwarzen Wohnungen" beteiligt sind. Denn meist tritt das Phänomen in der ersten Heizperiode nach der Sanierung von Altbauten oder nach dem Bezug von Neubauten auf. Es entsteht durch einen Chemikalienmix: Manche Produkte, die beim Ausbau einer Wohnung verwendet werden, dünsten schwerflüchtige organische Verbindungen, meist Weichmacher (Phthalate), aus. Diese Stoffe können noch Monate nach der Renovierung in die Raumluft abgegeben werden. Sie sind geruchlos und in den bisher gemessenen Konzentrationen in betroffenen Wohnungen auch nicht gesundheitsschädlich. Diese Weichmacher verbinden sich mit dem stets in der Luft vorhandenen Schwebstaub. Welche Faktoren nun dazu führen, dass hieraus die schwarzen schmierigen Ablagerungen entstehen, ist zur Zeit noch nicht geklärt. Häufige Begleitumstände sind bauliche Mängel, wie etwa kalte Wandbereiche oder Wärmebrücken, ungünstige strömungstechnische Einflüsse vor Wandflächen und ein erhöhtes elektrostatisches Potenzial in der Raumluft. Hinzu kommen unzureichendes Lüften, ungünstiges (periodisches) Heizen, das verstärkte Abbrennen von rußenden Kerzen oder Öllämpchen und eine erhöhte Staubkonzentration in der Luft. Zur Entstehung von Magic Dust müssen mehrere, aber nicht alle Bedingungen gleichzeitig vorliegen.

Weil die Entstehung von Magic Dust noch nicht hinreichend geklärt ist, ist es für Juristen schwer, die Verantwortlichen zu ermitteln. Zudem muss erst ausgeschlossen werden, dass es sich nicht um eine Verrußung durch Verbrennungsprozesse oder schwarzen Schimmelpilzbefall handelt.

Hausbesitzer versuchen oft, die Schuld dem Mieter zu geben, etwa mit der Anschuldigung, dass ein Mieter "zu viele rußende Kerzen" abbrenne. Mieter sehen einen "Mangel des Mietobjekts" und wollen die Miete mindern. Eine Analyse kann durch einen Sachverständigen geschehen, der - und dies ist wichtig - die Wohnung besichtigen sollte, unmittelbar nachdem die Ablagerungen aufgetreten sind. Durch ein Sachverständigengutachten muss dann geklärt werden, welche Einflussfaktoren zum Magic Dust geführt haben: Hierzu gehören sowohl das Gebäude selbst als auch die Zusammensetzung der verwendeten bzw. durch die Mieter eingebrachten Farben und Bodenbeläge sowie das Nutzerverhalten.

Ein Urteil zu Gunsten des Mieters: Ein Vermieter wurde zur Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen verurteilt und die Mieterin durfte auch die Mietminderungsbeträge einbehalten (AG Hamburg 48 C 299/99, Urteil vom 01.08.2001). Von Gerichten werden in Fällen, in denen beide Parteien daran Anteil hatten, auch Quotelungen vorgenommen. Letztlich kann aber in vielen Fällen die Produkt-Haftung des Herstellers greifen, auch wenn dieser sich des Magic-Dust-Effekts seines Produkts gar nicht bewusst war. Die Möglichkeiten für die Betroffenen liegen entweder in einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Hersteller (diese Verfahren laufen häufig auf einen Vergleich hinaus) oder in einer Kulanzregelung. In jedem Fall ist aber ein Gutachten hierfür erforderlich, um entsprechende Ansprüche bei den Herstellern oder vor Gericht durchzusetzen.)

Problemvermeidung

Auch wenn das Phänomen "schwarze Wohnung" noch nicht ganz erforscht ist - es gibt Möglichkeiten, dieses Problem zu meiden: Der sparsame Gebrauch von Kerzen bzw. Öllämpchen kann dazu beitragen, dass Magic Dust nicht entsteht. Vor allem aber ist empfehlenswert, keine Materialien zu verwenden, die Weichmacher enthalten z.B. in Farben, Lacken, Teppichböden. Umweltfreundliche und lösemittelfreie Produkte sind übrigens nicht unbedingt frei von Weichmacherverbindungen, aber einige Farbhersteller bieten bereits als "lösemittel- und weichmacherfrei" gekennzeichnete Produkte an. Alternativen bestehen auch in der Verwendung von Naturharz- oder Kalkfarben sowie mineralisch gebundener Dispersionssilikatfarbe. Auf Vinyltapeten und Teppichböden mit weichmacherhaltigem Rücken sollte verzichtet werden. Richtiges Lüften - besonders nach dem Renovieren - spielt eine entscheidende Rolle. Deshalb lieber in den Sommermonaten renovieren als in der kalten Jahreszeit.

Wenn die Renovierung oder Neuanschaffung von Einrichtungsgegenständen auf die kalte Jahreszeit fällt, kann es helfen, mehrere Wochen lang zu heizen und dabei stärker als üblich zu lüften, um damit den Chemikaliencocktail schneller loszuwerden. Hier gilt, dass gleichmäßig geheizt werden sollte, damit sich keine Luftfeuchte an kalten Stellen als Wasser absetzt, sich mit Schwebstaub und schwerflüchtigen Stoffen verbindet und dann Schäden verursacht.

(Unabhängig von einer Bedrohung durch Magic Dust: Ein drei- bis viermaliger Luftaustausch ist allein schon aus gesundheitlichen Gründen sowie zur Vermeidung von Schimmelpilzen empfehlenswert. Siehe hierzu auch "Winterzeit ist Schimmelzeit" MieterEcho Nr. 288, die Red.)

Hilfe im Schadensfall

Das Umweltbundesamt empfiehlt, dass die von Magic Dust betroffenen Mieter zunächst Kontakt mit den örtlichen Gesundheits- und Umweltämtern aufnehmen. Adressen von Umweltanalyselabors oder Sachverständigen kann man auch über die örtlichen Industrie- und Handwerkskammern erhalten. Helfende Auskünfte gibt es zudem bei den Verbraucherzentralen oder direkt beim Bundesumweltamt Fachgebiet II 2.3, Innenraumhygiene, PF 33 00 22, 14191 Berlin, www.umweltbundesamt.de

Vom Umweltbundesamt wurde kürzlich die Broschüre "Attacke des schwarzen Staubes - das Phänomen "Schwarze Wohnungen" - Ursachen - Wirkungen - Abhilfe" veröffentlicht.

Viele Hersteller von Bau- und Renovierungsprodukten sowie Einrichtungsgegenständen sind seit Jahren bestrebt, anstelle leichtflüchtiger organischer Verbindungen (VOC) vermehrt schwerflüchtige organische Verbindungen (SVOC) als Lösemittel oder Additive einzusetzen. Diese Stoffe sind meist nicht zu riechen, in der Regel weniger gesundheitsbedenklich und müssen außerdem nicht als Lösemittel deklariert werden. Denn organische Verbindungen, die oberhalb von etwa 200°C sieden, gelten nicht als "Lösemittel". Produkte, die solche Verbindungen enthalten, können somit als "lösemittelfrei" angeboten werden und das Prädikat "lösemittelfrei" gilt heute als wichtiges Verkaufsargument. (...)

Diese schwerflüchtigen organischen Verbindungen können unter anderem in
- Farben (auch in als "lösemittelfrei" bezeichneten Farben) und Lacken
- Fußbodenklebern
- PVC-Bodenbelägen
- Vinyltapeten
- Kunststoff-Dekorplatten und
- Holzimitat-Paneelen
enthalten sein.

Auch Kunststoffoberflächen zum Beispiel von Möbeln können Weichmacherprodukte enthalten, die an die Raumluft abgegeben werden.

Physikalisch gesehen haben schwerflüchtige organische Verbindungen die Eigenschaft, weniger stark als die früher verwendeten leichtflüchtigen organischen Verbindungen in die Raumluft auszugasen. Dafür tun sie es aber oft über längere Zeit - in Einzelfällen sogar bis zu zwei Jahren oder länger.

Einflussfaktoren für "Schwarze Wohnungen"

(Wichtig: Es müssen nicht alle Faktoren gleichzeitig vorliegen.)
- Renovierungseinflüsse: Einträge schwerflüchtiger organischer Verbindungen über "Fogging"- und/oder "Klebefilmeffekte".
- Bauliche Gegebenheiten: Wärmebrücken, "kalte" Wandflächen, ungünstige strömungstechnische Einflüsse, intensive Abdichtung der Gebäudehülle und damit Verringerung des natürlichen Luftaustauschs.
- Raumausstattung: Materialien, die zusätzlich Weichmacher abgeben, wie PVC-haltige Dekorplatten, Weichmacher enthaltende Möbel etc.
- Raumnutzung: Entstehung schwerflüchtiger organischer Verbindungen durch brennende Öllämpchen und/oder rußende Kerzen in Verbindung mit nur periodischem Heizen, unzureichendem Lüften (bei stark abgedichteten Gebäuden von Bedeutung) und/oder erhöhten Staubkonzentrationen in der Raumluft.
- Raumklimatische- und Witterungseinflüsse: zu geringe Luftfeuchtigkeit, erhöhte Elektrostatik der Luft.