Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 297   Mai 2003

Pirat wehrt sich gegen Vertreibung

Bündnis von alternativen und linken Projekten widersetzt sich der herrschenden Stadtpolitik

Peter Nowak

"Endlich ist es so weit, nach New York und London – den Lieblingsmetropolen der Ausgeflippten, Beseelten und Kulturbeflissenen – hat nun auch Berlin seine Docklands". Diese fast euphorische Schlagzeile aus einem aktuellen Werbeprospekt zeigt, dass der Hype um die Hauptstadt noch immer nicht vorbei ist. Wer vom Ostbahnhof über die Schillingbrücke nach Kreuzberg oder Mitte geht, erkennt schnell, dass es sich hierbei nicht um bloße Sprüche handelt. Ein Meer von Baukränen erinnert an den Potsdamer Platz Mitte der 90er Jahre. Tatsächlich soll am Ufer der Spree der Hauptstadtwahn noch einmal neue Blüten treiben. Spreecity soll das neue Eldorado der Kultur- und Medienelite heißen.

"Berlin ist pleite" wird jeder sozialen Einrichtung entgegengehalten, wenn ihr die Zuschüsse gekürzt werden. Doch beim Bau der Spreecity zwischen Jannowitzbrücke und Ostkreuz ist von Geldmangel keine Rede. Der Vergleich mit den Docklands, dem traurigen Überbleibsel der Thatcher-Ära in London, ist wohl angebracht. Doch die Werbetexter in ihren Zeitgeistmagazinen verschweigen wohlweislich: die Mieten sind dort fast unerschwinglich und das ist wohl auch der Grund für den permanenten Leerstand der Docklands.

Bunte Mischung an der Spree

Die Ausgeflippten, Beseelten und Kulturbeflissenen jedenfalls brauchen keine neue Hochhausmeile mit Blick aufs Wasser. Im Gegenteil: Gerade an den Ufern der Spree und ihrer näheren Umgebung hatte bisher eine bunte Mischung aus Alternativkultur und linken Projekten ihr Domizil, die durch die neue Entwicklung akut bedroht sind. Sie wollen diese Entwicklung allerdings nicht widerspruchslos hinnehmen. Vor einigen Monaten haben sie sich zum Projekte- und Initiativenrat (Pirat) zusammengeschlossen.

Räumungsbedrohte Projekte

Dazu gehört die Wagenburg Schwarzer Kanal, die jahrelang an der Schillingbrücke ihr Domizil hatte. Obwohl sie vor einigen Monaten ein Ersatzgrundstück in unmittelbarer Nähe bezogen hat, ist ihre Zukunft weiterhin unklar. Denn die neuen Nachbarn fürchten eine Wertminderung ihrer Grundstücke und wollen die Wagenburgler auf juristischem Wege vertreiben (siehe MieterEcho Nr. 295). Auch das Hausprojekt Köpenicker Straße 137, das Mitte Februar den 13. Jahrestag seiner Besetzung feierte, blickt in eine ungewisse Zukunft. Mehrere Versteigerungsversuche des Hauses sind bisher gescheitert, weil schlicht kein Investor den Ärger mit den Besetzern eingehen wollte. Doch mit der finanziellen Aufwertung der Gegend könnte sich das ändern. Schließlich werden in unmittelbarer Umgebung des Hauses schon Eigentumswohnungen mit Aussicht auf den Fluss angeboten. Auch Projekte wie der Kinderbauernhof in Kreuzberg, die ebenfalls am Pirat beteiligt sind, können von der Umwandlung der Gegend in ein Dienstleistungszentrum nur verlieren. Schon jetzt ist ihre Finanzierung immer nur für ein Jahr gesichert.

Energischer Widerstand

"Wir haben gemerkt, dass wir nur gemeinsam überhaupt die Chance haben, gehört zu werden", erklärt Martina Steinle vom Pirat. Mit einer großen Demonstration vom Oranienplatz zum Potsdamer Platz, an dem sich mehr als 1500 Menschen beteiligten, ist der Pirat erstmals berlinweit öffentlich in Erscheinung getreten. Doch die erste Aktion war es nicht. Schon am 24.01.2003 besetzten Aktivisten des Pirat ein seit drei Jahren leerstehendes Haus im Stadtteil Friedrichshain, das allerdings nach wenigen Stunden wieder geräumt wurde. Die unterschiedlichen Projekte wollen auch nach der Demonstration weiter zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. "Egal ob Häuser oder Wagenburgen geräumt werden sollen oder soziale Zentren aus Geldmangel schließen müssen, wir lassen uns nicht mehr spalten", sagt eine Pirat-Sprecherin. Der Ernstfall könnte bald kommen. Das im Pirat vertretene Hausprojekt Rigaer Straße 94 ist akut räumungsbedroht (siehe MieterEcho Nr. 294). Die Zukunft wird zeigen, ob das begrüßenswerte Projekt einen dauerhaften Gegenpol gegen die herrschende Stadtpolitik setzen kann. Das wird auch davon abhängen, ob es gelingt, in das Bündnis neben den alternativen und subkulturellen Projekten auch die Mieter einzubeziehen, die in Mitte und Kreuzberg durch die Spreecity ebenfalls von Vertreibung bedroht sind. Die Entwicklung in den Stadtteilen Prenzlauer Berg und Mitte spricht dafür Bände.

Das ein solches Bündnis möglich ist, zeigte sich Ende vergangenen Jahres in Hamburg. Die Räumung der Wagenburg Bambule im Karolinenviertel führte zu wochenlangen Demonstrationen, an denen sich neben der Polit- und Kulturszene auch viele Mieter und Gewerbetreibende beteiligten.