Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 297   Mai 2003

Niemand wollte das Geschenk

Hoppla-Hopp-Stadtplanung im Falkplatzkiez

Johannes Touché

Dass bei kleineren städtebaulichen Planungen die betroffenen Bürger beteiligt gehören, versäumt kein trendbewusster Politiker zu behaupten. Aber Ordnung muss sein: Gerne lässt man sich seine Pläne von lokalen Vereinen, Sanierungsbeiräten oder Quartiersmanagements durch Befragungen und Planungsworkshops absegnen. Wenn sich aber AnwohnerInnen mit den Vorgaben nicht zufrieden geben, gelten sie schnell als Querulanten.

Im Falkplatzkiez im Prenzlauer Berg wird gegenwärtig ein Konflikt ausgefochten, der die Rollen der Akteure des Städtebaus schön illustriert - und auch die Chancen, die gut organisiertes Querulantentum noch hat. Es geht um einen neuen Aldi-Markt am nördlichen Ende der Schwedter Straße, die seit dem Mauerbau stillgelegt ist und zur Zeit einem Feldweg ähnelt. Sie soll nach dem Willen der Stadtplaner zweispurig ausgebaut und mit der Kopenhagener und der Korsörer Straße verbunden werden. Drei stille Sackgassen werden zu Durchfahrtsstraßen, ein Park nebst Kinderbauernhof und Kletterfelsen von Verkehr umspült, der seit Jahren versprochene Grünzug, der vom Pankower Bürgerpark bis zum Mauerpark reichen sollte, in der Mitte unterbrochen.

Baustadtrat Martin Federlein (CDU) weiß folgende Argumente auf seiner Seite: Erstens das Geld, das mit einem neuen Supermarkt in den Bezirk kommt. Zweitens das Geld, das Aldi zum Straßenbau beisteuert. Und drittens das Geld, das bei der Gelegenheit aus den Fördertöpfen fließt. Schließlich muss die Straße ja schön gestaltet, begrünt und mit Zebrastreifen bestückt werden – ein heiliges Anliegen sowohl des örtlichen Quartiersmanagements (QM) als auch seines Trägers, der Stadtentwicklungsgesellschaft S.T.E.R.N., die die Planungen gleich selbst übernimmt - und daran verdient.

BürgerInnen-Beteiligung erst nach Abschluss der Planung

Bei all der Freude über das viele gesparte Geld vergaß man, dass auch der billigste Supermarkt nicht die Kaufkraft steigert und zunächst einmal andere Geschäfte verdrängt: Der erste Kiezladen hat bereits gekündigt. Man vergaß auch, dass die "Wiederherstellung des historischen Straßenverlaufs", der sich Federlein verschrieben hat, angesichts des heutigen Verkehrsaufkommens ein naives Ideal ist. Breite, großzügig ausgebaute Straßen mögen vor hundert Jahren eine angemessene Stadtstruktur dargestellt haben, heute dienen sie vor allem dem Autoverkehr und sind für das städtische Leben meist eher schädlich. Vor allem aber vergaß man, dass auch eine aufwändige, von Land, Bund und EU üppig geförderte Straßengestaltung nicht automatisch eine Verbesserung darstellt. Denn die Anwohner interessieren sich nicht dafür, wie viel Geld der Bezirk spart. Sie wollen nicht in erster Linie eine ordentliche, sondern eine ruhige Straße, die man gefahrlos überqueren kann.

AnwohnerInnen sind erbost

Offenbar waren auch die Stadtplaner nicht ganz von der Schlagkraft ihrer Argumente überzeugt. Aldi, Federlein und das QM gaben sich Mühe, die Sache so lange geheim zu halten, bis es für jeden Einwand zu spät war. Erst im November letzten Jahres, als Bauantrag und Straßenplanung bereits in Sack und Tüten waren, ging es an die "Bürgerbeteiligung". Eine turbulente Anwohnerversammlung löste einen regelrechten Proteststurm aus, eine Bürgerinitiative wurde gegründet, ein Anlieger kündigte rechtliche Schritte an. "Es sollte doch eine Überraschung werden", sagt ein Aldi-Weihnachtsmann auf der Titelseite der Kiezzeitung Falkblatt. Er wirkt enttäuscht: Niemand wollte sein Geschenk.

Auch Bezirksverordnetenversammlung fordert Überarbeitung

Beeindruckt von den Protesten beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV), wenigstens die Öffnung der beiden angrenzenden Sackgassen zu überprüfen und die Anwohner an der Gestaltung der Straße zu beteiligen. In ausführlichen Planungsgesprächen stritten sich Bürger und das Tiefbauamt einige Wochen um Geschwindigkeitsbegrenzung, Fahrbahnbreiten und Poller herum, bis der bezirkliche Bauausschuss die Sache kurzerhand an die BVV gab, damit nun endlich entschieden und gebaut werden könne. Dort versuchte Federlein, seine ursprünglichen Pläne kaum modifiziert durch die Abstimmung zu schmuggeln - und scheiterte. Der Beschluss wurde vertagt, die Pläne zur Überarbeitung zurückgegeben. Die Straße wird noch etwas auf sich warten lassen.

Das hinderte Aldi nicht, schon einmal mit dem Bau seines Supermarkts zu beginnen. Dort waren ja keine Streitereien zu befürchten, hatte doch Federlein verkündet, es sei ihm "rechtlich gar nicht möglich gewesen, den Bauantrag abzulehnen". Nach dem Baugesetz kann auf einem unbeplanten Gewerbegrundstück jeder bauen, was er will - es sei denn, es handelt sich um "großflächigen Einzelhandel" oder sonst etwas, das sich "nicht in die Umgebung einfügt".

Widerstand mit Erfolgssaussichten

Beides ist hier der Fall, argumentiert Rechtsanwältin Jaqueline Roewer, die die Aldi-Gegner vertritt. Erstens überschreitet der Bau die gesetzliche Grenze von 700 qm Verkaufsfläche, was im Bauantrag offenbar "übersehen" wurde. Und zweitens ist das Gebiet nun einmal nicht von Einkaufspassagen und Tiefgaragen, sondern von Wohnbebauung, Sackgassen und Parks dominiert. Dies ist kaum die Art von Umgebung, in die ein Supermarkt sich "einfügt". Selbst wenn nur die Hälfte der Kunden mit dem Auto kämen, würden nach den Berechnungen Roewers täglich mindestens 1200 Pkw die Schwedter Straße entlang donnern und die Kinder über den Zebrastreifen jagen.

"Aldi baut auf eigene Gefahr"

Roewer stellte einen Eilantrag auf Baustopp. Die Chancen, damit durchzukommen, sind nicht schlecht: Der Fall liegt ähnlich wie in der Curtiusstraße in Lichterfelde, wo vor einigen Monaten ein Aldi-Markt verhindert werden konnte, nachdem bereits hunderttausende Euro investiert worden waren. Auch der Richter ist derselbe. In Lichterfelde hatte er drei Monate für den Bescheid gebraucht; wenn es diesmal genauso lange dauert, dürfte der Aldi-Markt schon fast fertig sein. Aber ein Gericht interessiert sich naturgemäß nicht dafür, wie weit irgendwelche Planungen schon umgesetzt sind. Es kommt nur auf ihre Rechtmäßigkeit an. "So ein Prozess kann auch auf Abriss hinauslaufen", meint Roewer, "Aldi baut auf eigene Gefahr."

Ein solcher Ausgang wäre in der Tat ein Desaster für die "Hoppla-Hopp-Stadtplaner" des Bezirksamts Pankow. Es sollte ihnen eine Lehre sein: Kaum einen Kilometer nördlich, in der Esplanade in Pankow, kaufte Aldi unlängst drei Grundstücke mitsamt den darauf stehenden DDR-Diplomatenvillen, die einem weiteren Nahrungsmittel-Discounter geopfert werden sollen.

Es gibt dort auch schon eine Bürgerinitiative.

Informationen zur Bürgerinitiative Keine Aldi-Straße (KAS): bv.vorstand@gleimviertel oder E-Mail an: info.kas@gmx.de