Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 297   Mai 2003

Letzte Hoffnung vor der Pleite des Neuen Kreuzberger Zentrums

Alternative Szene darf den Betonriegel am Kottbusser Tor bewirtschaften

Christoph Villinger

Stolz leuchtet ein "Anarcho-A" aus Neonlichtröhren seit Mitte Februar auf dem Dach des Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ) am Kottbusser Tor in den Abendhimmel. Fast könnte man meinen, nach 30 Jahren ist die gegen die Erbauer des NKZ gerichtete Textzeile im Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben "schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus" Wirklichkeit geworden. Doch die Lichtinstallation ist Teil eines neuen und wahrscheinlich letzten Versuchs der privaten Eigentümer des NKZ, ihr inzwischen in "Zentrum Kreuzberg/Kreuzberg Merkezi" umbenanntes Haus wirtschaftlich auf eigene Beine zu stellen.
Die Kreuzberger Alternativ-Szene erscheint als Rettungsanker gegen die spätestens im November 2004 drohende Insolvenz, wenn nach 30 Jahren die Fördermittel des sozialen Wohnungsbaus auslaufen.

Mit einem "Kaufhaus für ungewöhnliche Dinge" in den 1200 Quadratmeter großen Räumen der "Möbel-Oase" und früheren OBI-Baumarkts wollen Wolf Maack und Richard Stein die "landläufige Assoziationskette Kotti = Junkies = sozialer Brennpunkt durchbrechen und die positiven Aspekte dieses Orts als Eingangstor zum Kreativbezirk SO 36 aufzeigen und weiterentwickeln". Ab 170 Euro kann man einen kleinen Stand mieten und dort Trendtaschen aus LKW-Planen, Edelramsch und andere "kuriose und unnütze Dinge für den Alltag" verkaufen bzw. seine Dienste als Wahrsagerin oder Stadtführer anbieten. Einen Gang durch das geplante Kaufhaus beschreiben die Macher auf ihrer Internetseite so: "Zu den Klängen längst vergessen geglaubter Schlager bewegen sich unsere Gäste durch die bazarartig lebhaften Gässchen und unter schillernden Kronleuchtern hindurch und finden so schließlich auf die weitläufige Terrasse hinaus, wo plätschernde Brunnen mit wasserspeienden Kampfhundimitaten, Sitzgruppen mit geblümten Deckchen, ein Blick auf das Treiben am Kottbusser Tor und die Aussicht auf einen liebevoll zubereiteten Milchkaffee im hellen Sonnenlicht zum Verweilen einladen." Über 100 Interessenten bewarben sich für die etwa 40 Verkaufsstände, berichtet Maack. Schon im Juli wollen sie ihr Kaufhaus und die Kotti-Terrassen eröffnen.

Trotz Subvention droht Konkurs

Bis dahin trifft man sich als Übergangslösung in der neuen Kneipe im Durchgang zur Dresdener Straße, benannt nach einem früheren Mieter im NKZ: "Möbel Olfe". Mitte Februar weihten sie die Kneipe mit einer Kunstaktion ein, in den Passagen und Kellern des NKZ nahmen sie die Pläne der Hartz-Kommission auf die Schippe. Die "Ich-Kreuzberg-AG" lud zu "Amüsement zu Discountpreisen", die "Ich-Sehnsucht-AG" verkaufte Urlaubsfotos aus aller Welt und bei der "Ich-und-Du-AG" lernte man "filmreif küssen". Sogar die Bürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) und Baustadtrat Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) waren erschienen und freuten sich, wie mit ein wenig Fantasie der ganze ansonsten trostlose Betonkomplex sich mit Leben füllte.

Doch über dem NKZ kreisen seit Jahren die Pleitegeier. Als ein typisches Spekulationsprojekt im westberliner sozialen Wohnungsbau wäre das NKZ mit seinen etwa 300 Wohnungen längst pleite, würde das Land Berlin die Mieten im Haus nicht mit jährlich etwa 2,5 Mio. Euro subventionieren. Dem Verkehrswert des Gebäudes in Höhe von etwa 13 Mio. Euro stehen im Grundbuch Schulden von ungefähr 45 Mio. Euro, vor allem bei der Investitionsbank Berlin (IBB), gegenüber. Offensichtlich tilgten die Kommanditisten in den letzten 30 Jahren mit keinem Cent die Baukosten, denn exakt diese Summe wurde 1974 verbaut. Aber für jede eingelegte Mark bezahlten die Kommanditisten 2,01 DM weniger an Steuern, dazu kommen noch die jährlichen prozentualen Ausschüttungen auf ihre Einlage. So betragen für die Wohnungen die realen Kostenmieten bis zu 14 Euro/qm.

Schutz der Sozialwohnungen

Trotz der Subventionen sind die Mieten so hoch, dass sie für kaum jemanden bezahlbar sind. "Die Mieten bewegen sich zwischen sechs und acht Euro", berichtet die Gemeinwesenarbeiterin Neriman Kurt, "das können sich nur noch Sozialhilfeempfänger leisten". So oder so gehe also das Geld aus der Staatskasse raus und lande letztlich bei den Eigentümern des Gebäudekomplexes. Fast 80% der Mieter im NKZ leben von Sozialhilfe bzw. ergänzender Sozialhilfe. "Deshalb haben viele der MieterInnen keinen Bezug zum Haus und machen sich auch wenig Gedanken um die Zukunft", sagt Kurt. Trotzdem fühlten sich gerade hier MigrantInnen und Frauen viel sicherer als anderswo. Von den Ideen mit dem Event-Kaufhaus hält sie wenig, "weil die Leute Geld und eine Arbeit, von der sie leben können, brauchen". Auch Baustadtrat Schulz weiß um die Probleme. Auf einer öffentlichen Veranstaltung zur "Zukunft des Kottbusser Tors" sprach er von einem "katastrophalen Bermudadreieck". Doch er hofft weiter, dass es nicht zu einer Zwangsversteigerung des NKZ kommt, sondern die "Verschuldungsproblematik gelöst wird". Dazu müsste man allerdings mindestens mal einen Blick ins Grundbuch werfen um das Ausmaß der Verschuldung referieren zu können. Und bei der IBB nachfragen, wo denn die Akten zu den Förderzusagen an die NKZ GmbH geblieben sind. Die seien nämlich verschwunden, berichtete Theo Winters von S.T.E.R.N. bei der Diskussion.

Normalerweise besteht für Kommanditisten eine Nachschusspflicht bis zur Höhe ihrer Einlage. "Diese Nachschusspflicht müsste in den Verträgen stehen, doch gesehen habe ich noch keinen", berichtet die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Barbara Oesterheld. Aber sie kann verstehen, warum niemand das NKZ in den Konkurs treiben will. Weniger weil irgendwelche "Kumpels geschützt werden sollen", sondern weil bei einer Zwangsversteigerung nicht nur die Millionen der IBB weg wären und eventuelle Bürgschaften des Lands fällig würden. Außerdem würden dann die Sozialbindung und die Belegungsrechte des sozialen Wohnungsbaus wegfallen und ein neuer Besitzer könnte die Mieten zumindest in 20%-Schritten alle drei Jahre erhöhen. Dazu komme, dass das Haus "nicht für einen "Appel und Ei" an jemand verkauft werden soll". Doch obwohl das Problem seit Jahren bekannt sei, kümmere sich niemand um Alternativen. Heute sei Berlin viel zu pleite, um über den Kauf des Hauses für einen Euro auch nur nachdenken zu können, so Oesterheld.

MieterInnen brauchen Sicherheit

Noch hofft Monika Barthelmeß vom Mieterbeirat des NKZ und seit 27 Jahren dort wohnend, dass sich alles zum Guten wendet und der Senat doch noch einspringt. Gleichzeitig fordert sie aber, "dass klipp und klar gesagt wird, was Sache ist und keine falschen Hoffnungen gemacht werden." Ihre Wohnung im neunten Stock findet sie "wunderschön" und genießt den Ausblick bis nach Gropiusstadt und zum Fernsehturm.

Auch die vier Frauen im Anwohnertreff "Bizim Ev/Unser Haus" wollen "die drohende Insolvenz nicht wahrhaben." Hier treffen sie sich "zum Tee trinken" und helfen ihren türkischen MitbewohnerInnen beim Umgang mit den Behörden. Gemeinsam wollen sie auch dieses Jahr gegen die ihrer Meinung nach viel zu hohe Betriebskostenabrechnung vorgehen. Eine der drei türkischen Frauen, die seit sieben Jahren im NKZ wohnt, hat sich vor wenigen Tagen die Ausstellung über die Kämpfe gegen die Kahlschlagsanierung der 70er Jahre im nahegelegenen Kreuzberg Museum angeschaut (siehe MieterEcho Nr. 296, die Red.).

"Falls die Politiker nichts machen und die Mieten dann ins Unbezahlbare steigen", sagt sie und lacht dazu, "werden wir wohl auch unser Haus besetzen müssen wie damals das Georg-von-Rauch-Haus".

Weitere Informationen unter www.kaufhauskreuzberg.de oder www.kreuzbergmuseum.de, die Red.