Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 296   März 2003

Recht und Rechtsprechung

Wegfall der Zehnjahres-Kündigungssperrfrist bei Umwandlung in Wohnungseigentum

Die in Berlin auf Grund von § 564 b Absatz 2 Nr. 3 Satz 2 BGB (alte Fassung) erlassene Rechtsverordnung (Sozialklausel-Verordnung), nach der eine auf Eigenbedarf gestützte Kündigung frühestens zehn Jahre nach der erstmaligen Veräußerung einer umgewandelten Eigentumswohnung ausgesprochen werden darf, ist für Kündigungen ab dem 1. September 2000 außer Kraft.
Landgericht Berlin, Urteil vom 23. August 2002 - 65 S 244/01 -

Die von den Mietern gemietete Wohnung war am 27.9.1991 in eine Eigentumswohnung umgewandelt und verkauft worden. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis am 23.4.1999 und am 11.5.2000 wegen Eigenbedarfs. Das Amtsgericht hatte die Klage des Vermieters auf Räumung mit dem Hinweis abgewiesen, dass die Kündigung auf Grund der Vorschrift des Sozialklauselgesetzes in Verbindung mit der oben genannten Sozialklausel-Verordnung unwirksam sei. Noch während des Rechtsstreits kündigte der Vermieter am 23.4.2002 erneut und verlangte vom Mieter zukünftige Räumung.

Das Landgericht hat das Urteil des Amtsgerichts bestätigt und die Berufung des Vermieters zurückgewiesen.

Es führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass die Kündigungen vom 23.4.1999 und vom 11.5.2000 das Mietverhältnis der Parteien nicht beenden konnten, weil diese die Kündigungssperrfrist des § 564 b Absatz 2 Nr. 2 BGB (alte Fassung) in Verbindung mit der Sozialklausel-Verordnung (in der Fassung vom 25.9.1990) nicht berücksichtigt hätten, so dass vor dem 27.9.2001 wegen der zehnjährigen Kündigungssperrfrist keine Kündigung erfolgen könne.

Das Landgericht setzt sich im Anschluss daran damit auseinander, ob die Sperrfristregelung der Sozialklausel-Verordnung verfassungsgemäß sei oder nicht. Es gelangt zum Ergebnis, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der oben genannten Verordnung die Sozialklausel-Verordnung verfassungsgemäß gewesen sei. Dem Gesetzgeber sei bei der Schaffung von Gesetzen (und Verordnungen) zur Inhaltsbestimmung des Eigentums ein weites Ermessen zuzubilligen. Ziel des Gesetzes sei die Eindämmung der zum damaligen Zeitpunkt stark anwachsenden „Umwandlungswelle“ und der Schutz der Mieter umgewandelter Eigentumswohnungen vor dem Verlust ihrer Wohnungen gewesen. Aus diesem Grunde sei die Sozialklausel-Verordnung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von der Eigentumsbindung des Artikels 14 Absatz 2 Grundgesetz gedeckt gewesen.

Die Sozialklausel-Verordnung sei aber in Anlehnung an das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 13.6.2002 mit Wirkung zum 1.9.2000 außer Kraft getreten. In diesem Urteil hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin festgestellt, dass die Grundlage für die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung, nämlich eine Mangellage bei der Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Mietzins, nicht mehr vorliege. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich die Entspannung des Wohnungsmarkts unter anderem auch daraus ergebe, dass der Abriss von Wohnraum (Plattenbauten) staatlich gefördert werde. Das Landgericht Berlin schloss sich der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Berlin an.

Für die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit der Sozialklausel-Verordnung ab dem 1.9.2000 komme es auch nicht darauf an, ob möglicherweise in einigen Teilen der Gemeinde (gemeint sind die Bezirke) weiterhin eine mangelhafte Versorgung mit angemessenen Wohnraum vorliege. Es vertrat die Ansicht, dass der Verordnungsgeber in diesem Falle gehalten sei, diese Bezirke genau zu ermitteln, was jedoch nicht erfolgt sei. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat die Unwirksamkeit der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung allerdings auf den 1.9.2000 beschränkt, und zwar mit der zutreffenden Begründung, dass der Verordnungsgeber bei der sich abzeichnenden nachhaltigen Entspannung des Wohnungsmarkts zur Prüfung der Marktlage verpflichtet gewesen sei. Dieser Verpflichtung sei er in Form der Wohnungsmarktanalyse der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom August 2000 nachgekommen.

Die Kündigungen vom 23.4.1999 und vom 11.5.2000 sind damit noch vor dem „Außerkrafttreten“ der Sozialklausel-Verordnung ausgesprochen worden, waren daher unwirksam und haben das Mietverhältnis nicht beendet.

Für die noch während des laufenden Rechtsstreits am 23.4.2002 ausgesprochene Kündigung war die Widerspruchsfrist zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht abgelaufen. Der vom Vermieter geltend gemachte Anspruch auf künftige Räumung der Wohnung war daher nicht begründet. Das Gericht wies darauf hin, dass allein die Tatsache, dass der Mieter zu der Kündigung vom 23.4.2002 noch keine Stellung bezogen hätten, keine Besorgnis der nicht rechtzeitigen Räumung der Wohnung begründe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Mieter nach Prüfung der Rechtslage die Wohnung aufgibt.

Abgedruckt in: Das Grundeigentum 2002, Seite 1431 ff.

Nach dem Inhalt der Vorschrift des § 564 b BGB (alte Fassung), der jetzt in § 577 a BGB (neue Fassung) integriert wurde, ist die Kündigung einer Wohnung durch den Erwerber wegen Eigenbedarfs frühestens drei Jahre nach der (erstmaligen) Veräußerung der umgewandelten Wohnung möglich. Auf Grund des Sozialklauselgesetzes vom 22.4.1993 konnte die Landesregierung durch Verordnung Gebiete bestimmen, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen zu angemessenen Bedingungen gefährdet ist. Das Land Berlin hat am 11.5.1993 von der Ermächtigung Gebrauch gemacht und Berlin zu einem Gebiet bestimmt, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. In diesen Gebieten gilt eine zehnjährige Kündigungssperrfrist.

Die Bestimmung des Sozialklauselgesetzes wurde mit einigen Veränderungen nunmehr in die neue Fassung des § 577 a BGB übernommen. Eine neue Sozialklausel-Verordnung hat der Berliner Verordnungsgeber (bislang) nicht erlassen.