Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 296   März 2003

Anschlussförderung

Mieterschutz ohne Eigentümersubventionierung

Leserbrief

Sehr geehrte Damen und Herren der Berliner MieterGemeinschaft,

trotz des sehr plausiblen Artikels bezüglich des Skandals der Anschlussförderung im Sozialen Wohnungsbau erwarte ich nun von einer Mieterorganisation, deren Mitglied ich seit Jahren bin, die wirksame Vertretung aller sozial schwachen Mieter – ohne Wenn und Aber.

Das vom Berliner Senat am 11. Februar beschlossene "Maßnahmeprogramm zum Mieterschutz nach Wegfall der Anschlussförderung" ist eine absolute Lachnummer, wenn’s nicht so traurig wäre!

Der Sozialmieter soll (nach Sarrazin) bei entsprechenden Mieterhöhungen nach 15jähriger auslaufender Förderung "sozial abgefedert" in das Problem "reinwachsen": Fünf Jahre differenzierte, jährlich abgesenkte Beihilfen, gestaffelte Umzugshilfe zwischen 1500 und 3500 Euro - na fabelhaft! Ganz allein der Druck umziehen zu müssen, ist schon unsozial.

Ich möchte Ihnen einmal meinen Fall schildern: Die von mir seit Februar 1997 als Erstmieter bezogene Sozialneubauwohnung in Pankow sollte für mich als Noch-Arbeitslosenhilfebezieher und ab 2006 Kleinrentner quasi die "Endstation" sein, nachdem ich meine von 1944 bis einschließlich Januar 1997 (also mehr als 52 Jahre!) noch von den Eltern angemietete Wohnung in Berlin-Friedrichsfelde wegen der aus den Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen des Alt-BRD-Neuvermieters (seit 1995) resultierenden überdimensionalen Mieterhöhung aufzugeben gezwungen war. Sollte ich das Alter erreichen, müsste ich also zwischen 2012 und 2016, dann als über 70-jähriger, zwangsweise umziehen: eine unglaubliche Zumutung!

Da es vielen anderen sozial schwachen Mietern ebenso ergehen dürfte, bin ich sehr gespannt, was der Berliner MieterGemeinschaft im nächsten MieterEcho dazu einfällt.

Bis jetzt habe ich nur vom Hauptgeschäftsführer Vetter die Forderungen nach Härtefallregelungen vernommen, die diesen Namen auch wirklich verdienen und nicht nur Alibifunktionen haben sollen, z.B. Durchsetzung von Altersschutzgarantien!

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Paulsen*

PS: Alte und kranke Menschen müssen in ihren Mietwohnungen bei entsprechenden nichtlimitierten Ausgleichszahlungen verbleiben dürfen. Sollte diese Forderung nicht von der BerlinerMieterGemeinschaft erhoben werden, trete ich zum 1.1.2004 in den BMV über!

*) Name von der Redaktion geändert

Sehr geehrter Herr Paulsen,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Ihren Feststellungen ist nichts hinzuzufügen und Ihre Einschätzungen, insbesondere die des "Maßnahmeprogramms zum Mieterschutz" als Lachnummer, teilen wir. Gestatten Sie aber bitte, bevor wir auf Ihren konkreten Vorschlag eingehen, noch einige Anmerkungen zum Komplex Wohnungsbau(anschluss)förderung in Berlin.

Die Entscheidung für den Ausstieg aus der Anschlussförderung hat im Berliner Kontext historische Dimension. Sie stellt einen Bruch mit einer Politik dar, die einen über alle Parteien reichenden wohnungswirtschaftlichen Komplex mit finanziellen Mitteln versorgt hat. In diesem verfilzten Universum bilden die Wohnungsbauunternehmer das Gravitationszentrum, die von hochkarätigen Regionalpolitikern, allen voran den Bausenatoren, umkreist werden. Das Amt des Bausenators funktioniert in Berlin als Plattform, von der der Übergang in die wesentlich höherdotierte und politisch einflussreichere Sphäre der Wohnungswirtschaft bisher noch jedes Mal reibungslos vonstatten ging. Nicht nur Herr Klemann (CDU) schaffte den Sprung an die Spitze der GEHAG, auch sein Vorgänger Nagel (SPD) fand sofort nach dem Verlust des Senatorenpostens in der Wohnungswirtschaft bei Anno August Jagdfeld und seiner FUNDUS Gruppe ein finanziell gut gepolstertes Plätzchen. Und die beiden taten es damit nur ihren Vorgängern gleich. Es gibt kaum einen Bausenator, der nach seinem Ausscheiden aus dem Amt nicht, seine Bezüge erheblich steigernd, zur Wohnungswirtschaft gewechselt wäre (siehe auch MieterEcho Nr. 265.

Von diesen zukünftigen Wohnungswirtschaftlern wurde es immer als politische Aufgabe angesehen, den Wohnungsbauunternehmen möglichst viele öffentliche Mittel zu überlassen. Gefördert wurde dabei nicht eigentlich der Wohnungsbau, sondern die Wohnungsbaumafia. Offiziell wahrgenommen und sehr viel behutsamer ausgedrückt wurde das in einem Bericht der Bauverwaltung über den Kostenvergleich zwischen Hamburger und Berliner Förderung: "Solange die höheren Baukosten automatisch zu höheren Einnahmen aller Beteiligten führen - Bauherren erhalten höhere Förderung, Architekten höhere Honorare, prüfende Instanzen höhere Verwaltungsleistungen - , fehlt für eine nennende Kosteneinsparung die treibende Kraft."

So wunderschön sanft formuliert werden kann die Erklärung, warum eine Grund- und Anschlussförderung in die wirtschaftliche Katastrophe führt.

Das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) beispielsweise, 1972 gebaut und dreißig Jahre lang gefördert in einer Höhe, die ein Vielfaches der Baukosten ausmacht, erfreut sich heute einer Verschuldung von 86 Mio. Euro. Man muss bedenken, dass die Objekte, für die jetzt die Anschlussförderung beschlossen werden sollten, bereits die komplette 15-jährige Grundförderung erhalten haben. Nach ihrem Auslaufen soll es nun einer weiteren Förderung bedürfen, um Mieten zu ermöglichen, die sich im Rahmen des Mietspiegel halten. Im Klartext: Mieten, die nicht höher sind als die des ungeförderten Wohnungsbaus.

Herr Strieder, der nächste Anwärter auf eine verantwortungsvolle Position in der Wohnungswirtschaft, folgte der Berliner Tradition als er im Sommer letzten Jahres die Anschlussförderung durch das Abgeordnetenhaus winken wollte. Und er legte noch zu, indem diesmal gleich zehn Förderjahrgänge (1987 - 1997) in einem Paket zusammengeschnürt wurden und nicht wie sonst üblich "nur" fünf. Auch die PDS war dafür.

Doch da passierte etwas für Berliner Verhältnisse Ungeheuerliches. Es gab Protest aus den Reihen der Abgeordneten der Regierungskoalition. Nicht von der PDS, sondern vor allem von den im Donnerstagskreis vereinigten Linken in der SPD. Doch dabei blieb es nicht, etwas noch Ungeheuerlicheres geschah: der Sparzwang schlug zurück. Während dieser bisher nur Vorwand war, Berliner Tafelsilber zu verschleudern und sozialen Einrichtungen die Mittel zu kürzen, geriet plötzlich und zum ersten Mal nachhaltig der Filz ins Fadenkreuz des Finanzsenators.

Herr Strieder tat, was er und andere politisch Verantwortliche z.Zt. immer tun um die eigene Position zu stützen: Er berief eine Expertenkommission ein. Welche Art Expertentum die Kommission in ihrer Gesamtheit verkörperte, mag Herr Strieder erklären.

Den verabschiedeten Kommissionsempfehlungen stimmten zu:

Ingeborg Esser, Mitglied der Geschäftsführung des GdW (Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen), Dr. Günter Haber, Bundesverband freier Immobilien und Wohnungsunternehmen, Hans-Georg Oelmann, Steuerberater, gern zitierter Experte für Steuererleichterungen für Immobilienbesitzer, Vorstandsmitglied des Vereins "Freunde der Nationalgalerie" und Herr Hans-Jörg Spiller, MdB, SPD-Fraktion.

Dagegen stimmten:

Prof. Dr. Klaus Zimmermann (Vorsitz), Präsident des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), Franziska Eichstädt-Bohlig, MdB, Bündnis 90/Die Grünen und Prof. Dr. Lutz Kruschwitz, FU Berlin.

Der Vorschlag, den die Grundeigentümermehrheit als Expertenmeinung zu verkaufen suchte, sah statt der pauschalen Anschlussförderung individuelle öffentlich rechtliche Verträge mit den Eigentümern vor. Förderkürzungen sollten durch Verzicht auf Eigenkapitalverzinsungen (die bei der Ermittlung der Kostenmiete eine allenfalls marginale Rolle spielen) und maximal durchsetzbare Mietsteigerungen erreicht werden. Außerdem wurde eine Art von Umschuldung in die Diskussion gebracht und stark anzweifelbare Berechnungen für staatliche Mitteleinsparungen angefügt.

Dieser Vorschlag der Wohnungswirtschaft wurde am 17.12. letzten Jahres einer Anhörung durch die SPD-Fraktion unterzogen. Herr Winkler, Vorstandsvorsitzender der Berliner Baugenossenschaft, drohte mit Klage falls die Anschlussförderung ausbliebe oder kein, wie vorgeschlagen, lukrativer Ersatz gewährt würde. Der von Ihnen genannte Hauptgeschäftsführer Herr Vetter äußerte sich ebenfalls zu Gunsten des von Herrn Strieder favorisierten Vorschlags der Grundeigentümerfraktion der Expertenkommission. Von der PDS kam keine Kritik.

Der Rest ist bekannt, die SPD-Fraktion - inzwischen durch die intensive Arbeit des Donnerstagskreises aufgeklärt - war dennoch nicht zu überzeugen: Anschlussförderung sowie Kommissionsvorschlag wurden abgelehnt. Nun schloss sich auch die PDS an.

Die Härtefallregelung ist ein Witz in vielerlei Hinsicht. Ein zynischer Witz ist sie in Hinblick auf die Unterstützung der Mieter bei der Suche nach einer neuen Wohnung, beim Umzug und vor allem in Hinblick auf das Angebot entsprechender Mieterberatung. Für die Mieterberatung hat der Senat nicht die Quartiersmanager oder die existierenden Mieterberatungsgesellschaften, sondern die Investionsbank Berlin (IBB) zuständig gemacht. Die IBB als organisatorisches Gerüst der Wohnungsbauförderung und zuverlässiger Partner der Wohnungsunternehmen will - weil sie solche Beratung selbst nicht leisten kann - einen entsprechenden Auftrag vergeben. Die Bewerber für die "Mieterberatung" im Auftrage der IBB sind die eigentümerberatenden Stadtsanierungsgesellschaften BSM und STERN (Tochterunternehmen der Bankgesellschaft) sowie der Berliner Mieterverein mit Hauptgeschäftsführer Vetter.

Mit ihrem völlig unzureichenden Inhalt schürt die Härtefallregelung die Ängste der Mieter, um sie zu Gunsten der Wohnungsbauunternehmen zu funktionalisieren. Diese Rechnung darf nicht aufgehen. Das MieterEcho sieht im Moment großen Bedarf jeder Panikmache entgegenzuwirken. Es muss zunächst ein Überblick gewonnen werden über das, was geschieht. Deshalb fordern wir alle betroffenen Mitglieder auf über drohende Mieterhöhungen zu informieren.

Vor allem aber ist unbedingt eine genaue Prüfung erforderlich, ob die betroffenen Unternehmen tatsächlich den Schutz des Wohnungsbindungsgesetzes weiterhin genießen können, oder ob es nicht Möglichkeiten gibt, die Wohnungen in den Rechtskreis des BGB und damit des Vergleichsmietensystems zu überführen. Sollte dies tatsächlich und gegen jede sachliche und politische Logik nicht möglich sein, ist die Frage nach der ebenfalls noch nicht ausreichend geklärten Neuberechnung der Kostenmieten als Grundlage für Mieterhöhungen zu stellen.

Wir hoffen, erste Ergebnisse auf einer Diskussionsveranstaltung am 7.4. um 19.00 Uhr in der Geschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Möckernstraße 92, 10963 Berlin vorstellen zu können.

Die Teilnahme haben zugesagt
Dr. Rainer Tietzsch, Rechtsanwalt,
Barbara Oesterheld, MdA für Bündnis 90/Die Grünen,
Hans-Georg Lorenz, MdA für SPD
Wir würden uns freuen, auch Sie begrüßen zu können und gemeinsam über weitere Vorgehensweisen und Forderungen zu beraten.