Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 296  März 2003

Vom Traum zum Alptraum

Die Schuldenfalle Wohneigentum

Christian Linde

Während die Zahl der Zwangsversteigerungen auf Rekordniveau steigt, endet der Wunsch vom Eigenheim immer häufiger in den Wartezimmern von Schuldnerberatungsstellen.

Was für zahlreiche Firmen täglich Realität wird, bleibt auch immer mehr privaten Haushalten nicht erspart: Die Pleite. Dabei nimmt der Anteil derer, die durch Bildung von Wohneigentum ursprünglich in eine sorgenfreie Zukunft blicken wollten, dramatisch zu. Nach Angaben der Argetra GmbH in Ratingen, dem Herausgeber des Versteigerungskalenders in Deutschland, hat sich der Umfang der Zwangsversteigerungen in den zurückliegenden sechs Jahren nahezu verdreifacht. Lag die Zahl 1996 noch bei 32.200, betrug der Anteil 1999 schon 53.219. Nach 57.600 im Jahr 2000 erreichte die Zahl der Immobilien, die bundesweit unter den Hammer kamen, im Jahr 2002 die Rekordhöhe von 87.820. Der Wert der Objekte belief sich auf rund 18 Mrd. Euro. Zwei Drittel der Immobilien waren Eigenheime und Eigentumswohnungen. Nach Einschätzung von Wienfried Aufterbeck, Geschäftsführer der Argetra, ist das Ende der Fahnenstange damit jedoch noch nicht erreicht. "Im kommenden Jahr muss mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden", prognostizierte Aufterbeck.Vor allem Haushalte in wirtschaftlich schwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit sind von der Entwicklung betroffen. Zu den Spitzenreitern gehört neben Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen auch das Land Berlin. In der Hauptstadt, in der nach Schätzungen von Experten mindestens 150.000 Haushalte überschuldet, das heißt zahlungsunfähig sind, hat sich der Anteil in den zurückliegenden zehn Jahren sogar mehr als verdreifacht. Insbesondere seit Mitte der 90er Jahre ist ein rasanter Anstieg zu verzeichnen. Nach Angaben des Statistischen Landesamts hat sich die Zahl von 1090 im Jahr 1994 auf 3126 im Jahr 2001 erhöht. Tendenz weiter steigend. Denn bis zum dritten Quartal 2002 (Stand 30. September, aktuellere Zahlen lagen bei Redaktionsschluss nicht vor) registrierte die Behörde bereits wieder 2620 Fälle von Zwangsverkäufen.Aktuell sind im Versteigerungskalender der Firma Immobilien-Scout für die Region Berlin-Brandenburg mehr als 300 Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben.

Schuldenfalle ist vorprogrammiert

Die Ursachen, warum am Ende des Traums vom eigenen Heim immer häufiger der finanzielle Ruin steht, sind vielschichtig. Das Dilemma ist in zahlreichen Fällen bereits in der Kalkulation angelegt. Eine zu geringe Eigenkapitaldecke, Finanzierungsrisiken und zu enge Belastungsspielräume auf Grund zu geringer Einkommen zwingen nach dem Auslaufen der Fördermittel zur Aufnahme immer neuer Überbrückungskredite und Tilgungsdarlehen. "Treten unvorhersehbare Risiken wie Arbeitsplatzverlust, Krankheit oder Ehescheidung ein, ist das Ende endgültig besiegelt", weiß Hans Gimmel von der Beratungsstelle "Neue Armut". Seit Mitte der 90er Jahre ist der Schuldnerberater mit dem Wohneigentumsproblem konfrontiert. Inzwischen gehört jeder Zehnte seiner Klienten zu denjenigen, deren Schuldenberg auf dem Traum vom eigenen Heim gewachsen ist. "Ehe ein Schuldner den Weg zu uns findet, hat er oft eine Wegstrecke von 15 Jahren hinter sich, in denen der Betroffene versucht hat, etwas mit allen Mitteln zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Unsere Hauptaufgabe besteht deshalb zunächst darin, den Traum von den eigenen vier Wänden zum Platzen zu bringen."

Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik

Die Horrorszenarien in den Akten von Schuldnerberatern sind nicht zuletzt das Ergebnis einer Entwicklung, deren Anfänge bis in die 60er Jahre zurückreichen. Die Vorstellung der Politik, weg von der klassischen Mieterstadt Berlin hin zur Eigentümerstadt nahm ihren Anfang bereits Mitte der 60er Jahre mit dem Beginn der Eigenheimförderung. Ab den 70er Jahren folgte die schrittweise Aufhebung der Mietpreisbindung und die Möglichkeit zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das Dachausbauprogramm Mitte der 80er Jahre läutete endgültig den Wendepunkt in der Wohnungspolitik ein. Statt des öffentlich geförderten Mietwohnungsbaus rückte die Förderung des Wohneigentums durch Kreditvergabe immer mehr in den Mittelpunkt. Seit 1997 ist der soziale Wohnungsbau in der Hauptstadt Geschichte. Zusätzlich wurden die landeseigenen Wohnungsunternehmen angewiesen, Wohnungen aus dem Bestand an ehemalige Mieter oder Investoren zu verkaufen.Höhepunkt der gesamten Entwicklung war die mit dem Mauerfall verbundene Vision von Berlin als Zentrum Europas. Diese trieb nicht nur die Immobilienpreise in astronomische Höhen, sondern lockte darüber hinaus mit lukrativen Steueranreizen Wohneigentum im "Umland" zu bilden. Die offensiven Werbekampagnen der Bausparkassen verfehlten ihre Wirkung ebenfalls nicht und erzeugten auch bei den unteren Einkommensklassen einen regelrechten "Eigenheimwahn". Angesteckt von der Idee, der Wechsel vom Mieter zum Eigentümer führe nicht nur zu mehr Wohnqualität, sondern auch zu sozialer Sicherheit, folgten viele Interessenten der Verlockung und suchten den Weg zu den Geldinstituten. Die Perspektive "Herr im eigenen Haus", als Wohneigentümer unkündbar und im Alter von steigenden Mieten befreit zu sein, führte dazu selbst offensichtliche Risiken außer Acht zu lassen. "Den Traum vom eigenen Haus redeten sich viele willentlich schön. Gleichzeitig saßen in den Banken genügend Schönrechner, die den Interessenten die Entscheidung erleichtert haben", sagt "Neue Armut"-Mitarbeiter Hans Gimmel.

Schrecken ohne Ende

Der Ausweg aus der Schuldenfalle bleibt den meisten jedoch verschlossen. Denn nach einer Zwangsversteigerung sitzen die Betroffenen auf Grund der Verluste durch den allgemeinen Preisverfall der Immobilien auf einem Schuldenberg in sechsstelliger Höhe. "Wegen des übersättigten Immobilienmarkts werden durchschnittlich gerade einmal 40 % des Verkehrswerts erzielt", so eine Rechtspflegerin des Amtsgerichtes Köpenick. Die existierenden Hilfeangebote können mit der steigenden Nachfrage nicht mehr Schritt halten. Schon heute liegen die Wartezeiten bei etwa einem Jahr. Mit der Kürzungspolitik des Berliner Senats setzt sich neben der Schließung von Einrichtungen auch im kommenden Jahr der Personalabbau weiter fort. Allein die "Neue Armut" in Neukölln verliert 30 % ihrer Mitarbeiter. Auch im Bezirk Treptow-Köpenick, dem Spitzenreiter in der Hitliste der Zwangsversteigerungen, müssen die Schuldnerberater mit einer Reduzierung von rund 30 % rechnen. Damit sind die Hilfesuchenden gezwungen, nach anderen, schnelleren Wegen Ausschau zu halten. "Diese Situation wird gnadenlos von Geschäftemachern der übelsten Sorte zum eigenen Vorteil umgemünzt, die die verzweifelte Situation von überschuldeten Menschen ausnutzen", beklagt die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung (LAG SIB) in Berlin. Die gewerblichen Anbieter ködern ihre Kunden mit reißerischen Inseraten in Tageszeitungen und Illustrierten insbesondere mit dem Versprechen einer schnellen Abwicklung. Häufig beziehen diese ihre Informationen vereinzelt sogar aus dem Schuldnerregister, um potenzielle Kunden direkt anzusprechen. Kommt eine vertragliche Vereinbarung zu Stande, führt dies zu einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Situation der Betroffenen. Claus Richter von der Landesarbeitsgemeinschaft prognostiziert: "Die unvermeidliche Folge ist, dass die Schulden nicht abnehmen, sondern sogar noch zunehmen und bald der Gerichtsvollzieher erneut vor der Tür steht."