Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 295/ 2003

Wie weiter mit der Anschlussförderung?

Wie rücksichtslos soziales Denken in die Defensive gedrängt worden ist, zeigt sich daran, dass eine Selbstverständlichkeit betont werden muss: Kritik an der Wohnungsbauförderung bedeutet für eine Mieterorganisation nicht, die Versorgung mit Wohnraum für eine Sache des Markts halten. Staatliche Förderung des Mietwohnungsbaus ist unverzichtbar.

Ganz entschieden hinterfragt gehört aber, wie gefördert wird. Die soziale Zielstellung der Wohnungsbauförderung lieferte schon seit Jahrzehnten der bloßen Bereicherung der Wohnungsbauunternehmen das Alibi. Zur Zeit ist die Anschlussförderung für ca. 25.000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus der Förderjahrgänge 1987 bis 1997 in der Diskussion. So bunt gemischt die Szene der Eigentümer auch ist - GmbHs, Fonds, Aktien- und Kapitalgesellschaften halten rund 12.600 Wohnungen, die privaten Eigentümer und die GbRs ca. 7200, die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften rund 4500, der Rest gehört karitativen Einrichtungen und Stiftungen - das Bedürfnis nach weiterer staatlicher Fürsorge lässt sie zu einer Gemeinschaft verschmelzen, deren Interessen noch immer auf der politischen Agenda in Berlin höchste Priorität genießen.

Aber man kann leere Haushaltskassen nicht unbegrenzt als Totschlagargumente gegen die Finanzierung sozialer Projekte einsetzen, wenn sie nicht - hinterrücks quasi - irgendwann auch bei der Alimentierung der Wohnungsbauunternehmen - dem Berliner Filz zum Trotz - auftauchen. Dies war im Sommer 2002 der Fall.

"Peter Strieder wollte noch im Sommer 2002 die unveränderte Anschlussförderung durch das Parlament `winken´. Als ihm Widerstand erwuchs, berief er eine Expertengruppe, die aus folgenden Mitgliedern besteht: Prof. Klaus Zimmermann vom DIW, Franziska Eichstädt-Bohlig (MdB, Die Grünen), Jörg-Otto Spiller (MdB, SPD), Ingeborg Esser vom Bundesverband Deutscher Wohnungsunternehmen, Prof. Dr. Lutz Kruschwitz (FU-Berlin) und Dr. Günther Haber vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Die Interessen der beteiligten Wohnungsbauunternehmen waren mithin ausreichend vertreten - die Mieter nicht" schreiben Gerlinde Schermer und Hans-Georg Lorenz in einer ersten "Stellungnahme zur Anschlussförderung".

Die Empfehlungen der Expertenkommission schienen sich gegen die Anschlussförderung auszusprechen, waren aber faktisch ihre fast unveränderte Fortsetzung. Warum diese "Anschlussförderungslüge" enthüllt und die Anschlussförderung strikt abgelehnt gehört, erläutern die dem "Donnerstagskreis, Vereinigte Linke in der SPD" angehörenden Autoren in einer im Folgenden leicht gekürzt dokumentierten Darstellung.

Zuvor noch eine Anmerkung: Mieterinteressen tauchten in der Diskussion vollkommen missbräuchlich auf. Die Berliner Presse drohte bereits vor einiger Zeit mit Mietsteigerungen, ließ aber deren Herkunft ein Geheimnis ihrer Redaktionen bleiben. Eher jedoch stellt die Anschlussförderung eine Quersubvention der Bankgesellschaft, ihrer obszönen und jetzt rot-rot verbürgten Immobilienfonds sowie ihrer zukünftigen Eigentümer dar. Denn die Immobiliengeschäfte der Bankgesellschaft, für die der Name Landowsky die Signatur abgibt, waren weit gestreut und nicht wenige der jetzt betroffenen Objekte gehören in diesen Dunstkreis.

Bankgesellschaft hoch drei

Gerlinde Schermer und Hans-Georg Lorenz

1. Die Wohnungsbauförderung des Landes Berlin

Im Jahre 1969 wurde das bis vor einem Jahr gültige Förderungssystem für den sozialen Wohnungsbau eingeführt. Es führte letztlich dazu, dass erheblich weniger Wohnungen gebaut wurden, die Förderung aber für die Stadt erheblich teurer wurde.

Zwischen 1970 und 1975 wurden 83.929 Wohnungen gebaut, die mit 9,6 Mrd. DM* gefördert wurden, also durchschnittlich mit 114.000 DM. Von 1976 bis 1981 wurden dann nur noch 47.511 Wohnungen mit einer Fördersumme von 10,7 Mrd. DM, also 225.000 DM pro Wohneinheit gefördert.

Zwischen 1982 und 1987 wurden 41.046 Wohnungen gefördert mit insgesamt 14,6 Mrd. DM, also mit insgesamt 355.000 DM pro Wohneinheit.

Zwischen 1988 bis 1993 wurden 59.572 Wohnungen gefördert. Dafür wurden 23,7 Mrd. DM aufgewendet. Das sind 397.000 DM pro Wohneinheit.

Zwischen 1994 und 1999 wurden 60.322 Wohnungen gefördert. Was sie kosteten, wurde nicht mehr offiziell verlautbart. Es war einfach zuviel: Teilweise wurde für die Herstellung einer Sozialwohnung mehr Geld bewilligt als die Errichtung eines Einfamilienhauses kostete, nämlich bis zu 625.000 DM.

Jeder fragt sich: Wie konnte es dahin kommen?

2. Vom Nutzen der Förderung

Mit den jährlichen Zahlungen von 2,5 Mrd. DM tilgt das Land keineswegs eigene, sondern fremde Schulden. Es erwirbt kein Eigentum an den geförderten Wohnungen, selbst wenn es mehr bezahlt hat, als Grunderwerb und Bau kosteten. Am Ende haben fremde Leute unbelastetes Eigentum für (fast) nichts durch die Leistungen der Steuerzahler bekommen. Viele haben sogar noch ein Vielfaches der eingesetzten Summe "zurück"erhalten.

3. Wie wurde gefördert?

Die (öffentlichen und privaten) Bauherren errichteten den Bau auf eigene Kosten (regelmäßig 15 % Eigenkapital, der Rest Kredite). Das Land glich dann für 15 Jahre die Differenz zwischen der tatsächlich von den Mietern gezahlten (Kalt-)Miete und einer "Kostenmiete" aus. Diese "Kostenmiete" errechnete sich aus den Grundstückskosten, den Baukosten, dem Ausfallrisiko, den Baunebenkosten (z.B. Architekt, Vermesser), Finanzierungskosten (Bankgebühren, Eigen- und Fremdkapitalzinsen und Tilgung usw.), Verwaltungskosten und den Instandhaltungskosten. Auf der Basis eine Kostenmiete zu fördern, ist (siehe unten) für das Land sehr riskant und teuer, insbesondere dann, wenn durch die von ihm eingesetzten Gremien überhöhte Kosten und Kostenmieten bewilligt werden. Wenn z.B. in dem Förderbescheid die Kostenmiete mit 26 DM/qm festgelegt wurde und die Mieter eine Nettokaltmiete von 6 DM/qm monatlich zahlten, dann glich das Land die Differenz von 20 DM aus.

Ein Beispiel: Für eine Wohnung von 80 qm zahlte das Land pro Monat in dem hier skizzierten Fall einen Betrag von 1600 DM an den Eigentümer. Der Mieter ergänzte diese Zahlung um 480 DM Miete (plus Nebenkosten). Nach 15 Jahren hat das Land für die Wohnung insgesamt 288.000 DM als Förderung bezahlt - weit mehr als die Erstellung einer solchen Sozialbauwohnung in Wahrheit kostete. Wenn man die gezahlte Miete in Höhe von 86.400 DM hinzurechnet, ergibt sich für den Eigentümer ein Kapitalrückfluss von 374.400 DM. Das ist, was man ein günstiges Geschäft nennt.

4. Wie wurden die Kosten hochgetrieben?

Da die Höhe der Förderung sich nach den (angeblichen) Erstellungskosten der Wohnung richtete, lag es nahe, die Baukosten und Grundstückspreise in die Höhe zu treiben. Dieser Versuchung hat die Berliner (Bau-)Mafia nicht lange widerstanden. Die Erstellung einer Sozialbauwohnung überstieg schon bald den Preis für den Bau eines privat erstellten Eigenheims. 1993 kostete eine Wohnung z.B. 367.432 DM oder 5508 DM/qm. Die so manipulierte Höhe der "Kostenmiete" übertraf Kosten und Förderung in anderen Bundesländern um das Doppelte.

5. Wo wurde manipuliert?

Der Grundstückspreis wurde durch geprüfte Verkehrswerte festgelegt. Diese waren erheblich überhöht, was man unschwer daran erkennt, dass seit dem Wegfall der Förderung die Grundstückspreise in Berlin weit stärker als im Bundesdurchschnitt sinken. Für dieses Phänomen waren viele Faktoren verantwortlich: Das Gutachterhonorar war prozentual abhängig vom ermittelten Wert - eine unwiderstehliche Einladung also. Der Grundstückswert wird in der Regel prozentual an das Gesamtinvestitionsvolumen gekoppelt und beträgt in Abhängigkeit von Nutzung und Baudichte etwa 15 bis 25 % des Gesamtinvestitionsvolumens. Je mehr und je teurer gebaut wurde, desto höher wurde das Grundstück bewertet.

Die Bau- und Baunebenkosten wurden über Zwischenhändlerrechnungen abgerechnet und nachgewiesen, über so genannte Generalunternehmer (GU). Niemanden hat anscheinend interessiert, welche Kosten diesen GUs tatsächlich entstanden. Dabei war den Mitgliedern im Bewilligungsausschuss durchaus bekannt, dass die höherwertigen freifinanzierten Wohnungen zu geringeren Kosten gebaut wurden, als jene, die als Sozialwohnungen mit geringerem Standard, aber mit höherer Förderung errichtet wurden. Teilweise verdienten die GUs über eigene Firmen betrügerisch mit.

Ein weiterer Faktor müssen Preisabsprachen gewesen sein. Diese können zwar noch nicht gerichtsfest nachgewiesen werden: Aber es gibt handfeste Hinweise. Bei bundesweit gleichen Tarifen waren die Baukosten in Berlin etwa doppelt so hoch wie in den anderen Bundesländern. Dabei ist der Lohnkostenanteil der Berliner Baumafia durch den bekannt überdurchschnittlich hohen Schwarzarbeiteranteil geringer als im Bundesdurchschnitt.

6. Wie verdienten die Anleger?

Aber auch private Investoren, beispielsweise vermögende Zahnärzte aus Stuttgart oder München, die gewinnbringend anlegen wollten, gingen nicht leer aus - selbst wenn sie von diesen dubiosen oder kriminellen Handlungen nicht immer profitierten. Sie konnten zusätzlich zu den hohen Gewinnen aus der Förderung Abschreibungsvorteile in Anspruch nehmen.

Ein Beispiel: Der Zahnarzt, der mit 1 Mio. DM Eigenkapital ein Bauvorhaben von 10 Mio. DM Gesamtvolumen realisierte, erhielt eine steuerliche Verlustzuweisung in Höhe von 5 Mio. DM, die er auf fünf Jahre aufteilen konnte. Bei einer Steuerersparnis von 50 % erhielt er vom Finanzamt 2,5 Mio. DM zurück, für 1 Mio. DM eingesetztes Eigenkapital. Zusätzlich erhielt er über die Förderung 4 % Eigenkapitalverzinsung, weitere 40.000 DM im Jahr und 2 % Mietausfallwagnis, das sind etwa 4000 DM im Jahr. In 15 Jahren also noch einmal 660.000 DM. Der Zahnarzt bekommt also für seine 1 Mio. Eigenkapital etwa 3,2 Mio. DM in fünfzehn Jahren zurück - und dabei sind seine Sparzinsen noch gar nicht berücksichtigt.

Weiteres Geld fließt selbstverständlich nicht in das Haus. Der Investor hat ja das Vielfache des eingesetzten Kapitals bereits zurückbekommen. Zusätzliche Investitionen wären weit weniger gewinnbringend angelegt. Sie würden nur den Bestand erhalten. Der hat aber eher weniger Wert als die noch offenen Schulden ausmachen. Es empfiehlt sich daher die Trennung von diesem ungepflegten Eigentum, das nun eher Verlust als Ertrag bringt. Und diese Trennung gelingt auch: Der Zahnarzt haftet für die aufgenommenen Bankkredite in der Regel nicht persönlich, sondern nur mit dem eingesetzten Eigenkapital. Eine persönliche Haftung über das eingesetzte Geld hinaus gibt nicht. Der Zahnarzt kann sich also seelenruhig an seinem gewaltigen Gewinn erfreuen und die Einlage abschreiben.

7. Wer hat das gewusst, geduldet und gefördert?

Wer waren die Institutionen, die dieses System ausgebeutet haben, wer die Personen, die davon profitierten? Und wer waren diejenigen, die diese Ausplünderung der Stadt auf staatlicher Seite mitmachten? Wer sachkundig war, konnte nicht übersehen, was hier geschah und dass es nicht mit rechten Dingen zuging!

Wer also waren die Institutionen?

Der Bewilligungsausschuss vergab die staatlichen Gelder.

Die IBB, eine Tochter der Bankgesellschaft, vernachlässigte - vorsichtig gesagt - ihre Prüfungspflicht und genehmigte überhöhte Kostenmieten.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung akzeptierte die Grundstückswerte.

Die Senatsverwaltung für Finanzen zeichnete die Risikoübernahme auf das Land frei.

Das Abgeordnetenhaus nahm seine Prüfungspflicht nicht hinreichend wahr. Auch hier wussten manche in Schlüsselfunktionen Bescheid - und wurden später belohnt?

Die Wohnungsbaugesellschaften errichteten einen Großteil der Sozialwohnungen überteuert.

Dass die Berliner Baumafia bei den Geschäften ihren Schnitt machte, ist allgemein bekannt und oftmals beschrieben worden. Berlin hat dadurch den Ruf erworben, die Hauptstadt der Korruption zu sein.

8. Der Skandal der Anschlussförderung

Bislang hat niemand daran gedacht etwas zurückzuholen. Im Gegenteil: Es wurde bislang anstandslos weitergefördert, wenn die auf 15 Jahre vereinbarte Förderung abgelaufen war: Schon 1988 wurde ein Programm erlassen, das die Anschlussförderung für 48.075 Wohnungen, die zwischen 1972 und 1976 errichtet worden waren, regelte. Dafür wurden 5,1 Mrd. DM - im Durchschnitt 105.000 DM pro Wohnung - ausgegeben.

Das Anschlussförderungsprogramm von 1993 für die 29.400 Wohnungen der Jahre 1977 bis 1981 kostete 3,9 Mrd. DM (pro Wohnung 133.000 DM).

Die Anschlussförderung von 1996 (erlassen am 3.12.1997 mit Rückwirkung) betraf die Jahre 1982 bis 1986. Gefördert wurden 20.482 Wohneinheiten in 650 Objekten. Dafür wurden Fördermittel in Höhe von 5,8 Mrd. DM ausgereicht. Das sind 280.000 DM pro Wohnung.

Man muss sich klarmachen, dass die genannten Summen schon einmal gezahlt worden waren, die gesamte Förderung pro Wohneinheit für die Jahre 1972 bis 1976 also 210.000 DM, für die Jahre 1977 bis 1981 rund 233.000 DM und für die Jahre 1982 bis 1986 bereits 560.000 DM betrug.

Nunmehr soll das Abgeordnetenhaus von Berlin eine Art Doppelschlag führen:

Es soll die Anschlussförderung endgültig machen. Wurde bisher die Anschlussförderung nur für einen Zeitraum von fünf Jahren bewilligt, sollen es nunmehr zehn Jahre sein, nämlich von 1987 bis 1997. Dieser Umstand ist bisher niemanden aufgefallen - nicht einmal der Expertenkommission. Die Frage nach dem "warum" drängt sich auf. Die in dem Zeitraum 1987 von 1997 errichteten Wohnungen im ersten Förderweg waren besonders teuer. Bei einer Anschlussförderung nach bisherigem Muster würden pro Wohnung durchschnittlich 355.000 DM weitere Förderung beschlossen, so dass durchschnittlich 710.000 DM Berliner Steuermittel in jede Wohnung fließen würden. Die steuerlichen Sonderabschreibungen und dadurch bedingten Verlustzuweisungen sind darin nicht enthalten.

Für die Jahre 1990 bis 1995 wurden Kostenmieten bis zu einem Spitzenwert von 35,87 DM/qm monatlich bewilligt. Bis zu 31,04 DM/qm wurden monatlich aus den Steuern subventioniert - 15 Jahre lang.

Der Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder, beabsichtigte diese Anschlussförderung "durchzuwinken". In den Doppelhaushalt 2002/2003 wurden deshalb die (angeblich erforderlichen) Mittel für die Mietwohnungen bereits aufgenommen.

Dem Widerstand aus dem Donnerstagskreis der Linken in der SPD, ist es zu verdanken, dass diese Ungeheuerlichkeiten den Abgeordneten aller Fraktionen und der Öffentlichkeit bekannt werden.

*) Die genannten Beträge betreffen die Zeit vor der Euroumstellung und wurden deshalb in DM belassen, die Red.