Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 295/ 2003

Wenn es den Nachbarn nicht gefällt

Die Wagenburg "Schwarzer Kanal" soll wegen Wertminderung vom Spreeufer verschwinden

Peter Nowak

Die Zukunft einer der bekanntesten Berliner Wagenburgen ist noch immer völlig offen. Dabei hatten die ca. 30 Bewohner, darunter zahlreiche Berliner Kleinkünstler, nach langwierigen Verhandlungen gehofft, nur wenige Hundert Meter neben ihrem alten Platz - nun in der Nähe der Michaelbrücke - zumindest vorübergehend ein neues Domizil gefunden zu haben.

Bewohner des "Schwarzen Kanals" hatten über ein Jahrzehnt direkt an der Schillingbrücke zwischen Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain gelebt. Doch mit der Verwandlung des Spreeufers in ein neues Dienstleistungszentrum war es mit dem beschaulichen Wohnen am Fluss vorbei. Denn auf ihrem früheren Platz will die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ihre neue Bundeszentrale errichten. Nach den momentanen Planungen soll das Gebäude durch die Baufirma Hochtief im Jahr 2004 schlüsselfertig an ver.di übergeben werden.

Von den Bauplänen erfuhren die Bewohner nur durch Zufall, und die Verhandlungen wurden erst aufgenommen, nachdem die Rollheimer sich Ende Februar mit einer Kundgebung vor der damaligen ver.di-Zentrale am Potsdamer Platz lautstark zu Wort gemeldet hatten. Dann begann der für die Bewohner als nervtötend empfundene Verhandlungsmarathon. Mehrere Gesprächsrunden zwischen der Gewerkschaft, Hochtief, dem Friedrichshainer Bezirksamt und den Bewohnern gingen ohne Einigung zu Ende. Strebten die Wagenbewohner ursprünglich die Integration ihres Domizils in die neue ver.di-Niederlassung an, bot die Hochtief zunächst einen Ersatzplatz in Köpenick.

Der jetzige neue Platz in unmittelbarer Nähe des alten Standorts war dann schon ein Kompromiss. Doch die Bewohner waren froh, wenigstens eine klare Perspektive zu haben. Damit war es allerdings wieder vorbei, nachdem Anfang November das Berliner Verwaltungsgericht entschied, dass der "Schwarze Kanal" sein neues Domizil zum 30. April wieder räumen muss.

Stimmrecht der Wohlhabenden

Die Justiz gab damit einer Klage des benachbarten Deutschen Architekten Zentrums (DAZ) recht, das durch die Existenz einer Wagenburg in seiner Nähe eine Wertminderung ihres Geländes befürchtete. Mit diesem Richterspruch ist die Unsicherheit auf den Wagenplatz zurückgekehrt. Wie es jetzt weiter geht, hängt vom Urteil in der nächsten Instanz ab. Die Bewohner haben Widerspruch gegen die Räumungsaufforderung gelegt. "Hinter dem Urteil steckt immer noch die Vorstellung, dass in einer Wagenburg Chaoten leben", lacht Rollheimerin Ilse. Sollte das Urteil bestand haben, könnten nicht nur Wagenburgbewohner davon betroffen sein.

Dass solvente Hausbesitzer nicht nur über ihre Mieter sondern auch noch über die Nachbarschaft entscheiden können, ist so neu nicht. Schon länger können Eigenheimbesitzer in bestimmten gutbürgerlichen Wohnvierteln über ihre Nachbarschaft bestimmen. Das wird dann unter dem Schlagwort `gelenkte Nachbarschaft´ als besondere Wohnqualität verkauft. Für die Reichen und Wohlhabenden mag das auch zutreffen. Sozial schwache Mieter aber werden damit im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand gedrängt. Denn sie sind davon in erster Linie betroffen. Aber natürlich ziehen im Zweifelsfall auch alle den Kürzeren, deren Wohn- und Lebensvorstellungen nicht dem konservativen mainstream entsprechen. Dazu gehören im konkreten Fall die Rollheimer.

Wertminderung als Kündigungsgrund - da sollten nun wahrlich die Alarmglocken auch bei denjenigen Menschen klingeln, die nicht im Wagen leben.