Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 295/ 2003

Professionelle Deformation

Die "Soziale Stadt" und ihre Kämpfer

Johannes Touché

Eine déformation professionelle wird man wohl überall diagnostizieren können, wo sich dutzende erfahrener Profis treffen, um sich über ihre beruflichen Aktivitäten auszutauschen: Jede Berufsgruppe hat ihre eigene Sichtweise auf diese Welt und ihre eigene, dem Außenstehenden oft unverständliche Art, darüber zu sprechen.

Am 5. 12. hatte man Gelegenheit, rund 50 Repräsentanten der Berliner Stadtentwicklerschaft bei diesem Treiben zu beobachten. Vor allem ältere Herren aus der Kreuz- und Schöneberger Szene waren da, die sich allesamt gut kannten und grundsätzliche Gedanken meist mit "ich habe schon damals" einleiteten. Veranstaltet wurde das Treffen vom "Stadtforum von unten", das einst als subversive Antwort auf entsprechende `von oben´ eingesetzte Gremien gedacht war. Aber das ist lange her: Von unterhalb der Stadtentwicklerebene meldete sich den ganzen Abend fast niemand zu Wort. Es war wohl auch kaum jemand erschienen.

Es ging um die "soziale Stadt", die "am Ende" sei, der aber eventuell die "Rettung durch das Quartiersmanagement" bevorstehe. Anlass war Stadtentwicklungssenator Peter Strieders berühmtes Diktum: öffentliches Geld für öffentliches Eigentum, privates Geld für privates Eigentum. Strieder fordert für die Stadterneuerung einen "Mentalitätswechsel" hin zum neoliberalen Standard, mehr Eigeninitiative, weniger staatliche Einmischung, mehr Effizienz usw. Sein eigenes "Planwerk Innenstadt", ein staatlich verordneter und wirtschaftlich höchst fragwürdiger 20-Jahres-Plan, hat er von der städtebaulichen Deregulierung zwar ausgenommen, die klassischen Instrumente der staatlichen Aufwertungspolitik jedoch sind seit Strieders Mentalitätswechsel praktisch am Ende. An Stelle der bezirklichen Sanierungs- und Milieuschutzprogramme fördert der Senat nur noch das Quartiersmanagement, das von der "sozialen Stadt" retten soll, was zu retten ist.

Vom Stadterneuerer zum Quartiersmanager

Ob die Stadterneuerung nun künftig vom Senat oder vom Bezirk ausgeht, die Kontinuität ist für den Außenstehenden frappierend. Das Personal ist das Gleiche, das Vokabular ist das Gleiche, die Ziele sind die Gleichen. Einziger Unterschied: Früher wurden private Sanierungen staatlich bezuschusst und überwacht, wovon man sich eine Bremsung des Bevölkerungsaustauschs versprach. Heute gibt es für diesen verschämten Dirigismus kein Geld mehr. Aber mit schönen Ankündigungen ist man weiterhin großzügig. Die nunmehr modisch-intellektuell "Quartiere" genannten Kieze, Viertel und Stadtteile sollen nicht mehr nur baulich "entwickelt" werden. Nun will man auch ihre öffentlichen Räume "aufwerten", ihre soziale Infrastruktur "verbessern" und ihre Bürger "empowern".

Ändert sich darum etwas Wesentliches? Die Verteidiger der klassischen Stadterneuerung bejahen das, weil jetzt alles schlimmer wird. Die Vertreter des Quartiersmanagements bejahen es auch, weil ja auch einiges besser wird. Einer der wenigen Nicht-Profis im Publikum hingegen verneinte: Er wohne seit den Fünfzigern am Kottbusser Tor und habe schon sieben Gruppen von Stadterneuerern erlebt, die alle das Gleiche täten wie das heutige Quartiersmanagement: das Viertel "schönreden", sich dabei "selbst beweihräuchern", die Einwohner "bearbeiten" und daran verdienen. Geändert habe sich nichts, weder durch das Sanieren, noch durch das Managen.

Der Mann hat noch Glück gehabt, haben die wohlmeinenden Stadtmacher in seinem Kiez doch wenigstens keinen Schaden angerichtet. Das Kottbusser Tor ist kein kleinstädtisches Puppenstübchen geworden, die Vorstadtspießer sind weggeblieben, die Instandbesetzer durften in Ehren alt werden und auch die Armen konnten bleiben. Eine erfolgreiche Stadterneuerung sieht anders aus: hübsche Sträßchen mit überwiegend wohlhabender, bürgerlicher und - zumindest ihrem Verhalten nach - urdeutscher Bevölkerung. Diese Bevölkerungsgruppe ist so recht nach dem Geschmack der Stadterneuerer. Sie ist es, die die Bürgerbeteiligungsrunden dominiert, sie bestimmt, was die Probleme sind und macht die Vorschläge zu ihrer Lösung, sie ist es schließlich, die sich die penibel gesäuberten Häuser mit ihren begrünten Höfen, ihren vermessingten Gegensprechanlagen, ihren ausgebauten Dachgeschossen und ihren nach ein, zwei oder fünf Jahren unumgänglich steigenden Mieten dann auch leisten kann.

Eindimensionale Wahrnehmung

Alle anderen Betroffenen dürften die Aufwertung ihrer Viertel nie als sonderlich "sozial" wahrgenommen haben. Aber das beunruhigt ihre Betreiber allenfalls als "Akzeptanzproblem". Kaum jemand auf dem Stadtforum von unten schien an der Stadterneuerung, die man "behutsam", "sozial" oder auch "nachhaltig" nennt, auch nur den geringsten Zweifel zu hegen. Fast ausnahmslos erachten sie die bürgerbeteiligungsunwilligen Arbeitslosen, die proletarischen, "ungebildeten" oder ausländischen Anwohner als "problematisch" und ihre "Integration" als schwierig aber zugleich auch als möglich und notwendig. Sie halten es für ausgemacht, dass eine Brache völlig unabhängig davon, ob dort ein Immobilienspekulant oder ein Altmetallhändler sein Geld macht, immer und überall einen "Schandfleck" darstellt. Sie meinen, dass eine Verkehrsberuhigung mit teuren Aufpflasterungen etwas objektiv Schönes, eine solche mit Schlaglöchern jedoch peinlich, ja "räudig" ist.

Neulich stritt ich mit einer Quartiersmanagerin (vormalig in der Sanierung tätig) über eine dieser löchrigen, stillen Straßen, die "gestaltet" werden soll, weil das Quartiersmanagement nebst beteiligten Bürgern sie hässlich und für Kinder ungeeignet findet. Sie sagte: "Also ich würde da nicht spielen wollen." War ihr klar, dass nicht sie in diesen Straßen spielen, spazieren, wohnen soll, und auch nicht nur die zehn Weißbärte, die zu ihren Bürgerbeteiligungen kommen? Kennt sie nur ihresgleichen? Gerade wurde wegen Mieterhöhung die lokale Eckstampe geschlossen. Sie war für genau 100 Jahre der wichtigste Treffpunkt vieler Anwohner und wurde in den letzten Monaten von einem ehrenamtlichen Nachbarschaftskollektiv geführt - sozusagen "von unten". Die Quartiersmanagerin hatte noch nie von der Kneipe gehört: "Was soll ich dort?" Die Probleme, die an solchen Orten besprochen würden, Mietschulden, Arbeitslosigkeit, die Ohnmacht der Armen, kann sie ohnehin nicht lösen. Also richtet sie einen "Kieztreff" ein, wo die "engagierte" Stadtbürgerschaft unter sich ist und angenehme Themen bespricht: Kinderspielplätze, Malworkshops, Bürgercoaching.

Kneipengespräch gegen Berufsblindheit

Auch dem Stadtforum von unten waren diese unschuldig-belanglosen Projekte das liebste Thema. Nur zwei der Podiumsdiskutanten hatten grundsätzliche Einwände. Zum Ersten Ulli Lautenschläger von der Mieterberatung, der wenigstens eines der wirklichen Kiezprobleme ansprach: Luxussanierung und Miethöhe. Und zweitens Volker von Tiedemann, der als "Querdenker" angekündigt war und auf der populärphilosophischen Flanke zum Angriff blies. Er erinnerte daran, dass vom Staat kaum noch etwas zu erwarten sei, weil ihm und seinem ganzen Apparat - inklusive Stadtentwicklern - schon seit Jahren nur noch eines ernsthaft abgefordert würde: das "Bedienen der Investoren". Er verspottete das alberne "Betütern" der Türken, die besser wissen, was für sie richtig ist, und bezeichnete die so genannten "Problemzonen" mit ihrer anspruchslosen, vielsprachigen und oft nomadischen Bevölkerung als zukunftsträchtige "Übergangsgebiete der Postmoderne". "Bevor wir vorgeben, andere zu `empowern´, müssen wir erst mal selbst verstehen, in welcher Welt wir leben". Dazu, so Tiedemann, bedürfe es einer "strategischen" und "intellektuellen" Auseinandersetzung. Ein umständlicher Weg, der déformation professionelle der eigenen Zunft zu entgehen.

Es wäre einfacher, sich in eine Eckkneipe zu setzen - und endlich einmal zuzuhören.