Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 295/ 2003

Endstation DIFU

Die "Soziale Stadt" redet Klartext

Volker Eick

"Endstation Neukölln" überschrieb im Frühherbst 1997 das Wochenmagazin Der Spiegel einen Beitrag, der seinerzeit für einigen Wirbel in der Berliner Lokalpresse sorgte. Von Straßenzügen, in denen "ausschließlich Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, dazu noch ein paar Illegale aus Schwarzafrika" leben, war da die Rede und von "wenigen Studenten, die hier leben" und "unter ihresgleichen so lange es geht" verschweigen, dass sie in diesem Stadtbezirk wohnen, und wenn sie es zugeben, fügen sie rasch hinzu: "Aber ich zieh da bald weg!".
Fazit: Arbeitslose - "`Zuwendungsempfänger´ in der dritten Generation" - sorgen dafür, dass, "wer noch irgendwie kann, flieht", wer zurückbleibt ist überflüssig, illegal oder kriminell - oder alles zugleich.

Wenig später sorgte der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann mit einer Studie dafür, dass in ähnlicher Diktion Hundegebell zum negativen Standortfaktor avancierte, jedenfalls soweit es sich um den sprichwörtlichen "armen Hund" handelt, den man eigentlich nicht vor die Tür jagen sollte. Denn dass die Konzentration von Reichen (und ihrer Hunde) in den weit westlich liegenden Stadtquartieren Berlins ein Problem sei, hat man noch nicht gehört. Wie auch immer, seine Auftragsarbeit für den Berliner Senat mündete in einem neuen Ansatz lokaler Politik in Berlin, der Initialisierung des Quartiersmanagements im Jahre 1999. Ein Koordinator dieses Programms - das Quartiersmanagement wird vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) begleitet - hat kürzlich im Magazin Stern angeregt, man müsse den lethargischen "Sozialhilfeadel" mit seiner Neigung zur Kriminalität zwingen, für sein Quartier wieder selbst Verantwortung zu übernehmen. Das Quartiersmanagement sei das dafür angemessene Instrument. Unter der Hand hat sich so das Quartiersmanagement im Rahmen eines "aktivierenden Sozialstaats" von einem Integrationsprogramm zu einem Instrument der Ausgrenzung verwandelt: "Endstation DIFU".

Vom unrasierten "Sozialhilfeadel" im "sozialen Brennpunkt"

" `Soziale Brennpunkte´ - ein ehrlicher Begriff für die bürgerliche Hilflosigkeit", überschrieb der seinerzeit in Hamburg wirkende, nun in Wien tätige Stadtsoziologe Jens Dangschat 1995 einen Beitrag für die Zeitschrift Widersprüche. Ihm ging es um den direkten Zusammenhang von zwei städtischen Entwicklungen: die Umstrukturierung und Aufwertung von Teilen der städtischen Ökonomie auf der einen Seite und das Entstehen "sozialer Brennpunkte" auf der anderen. Dieser direkte Zusammenhang, so Dangschat, werde "verdrängt, nicht gesehen, heftig bestritten." Soziale Brennpunkte seien angesichts kontinuierlich bestehender oder gar zunehmender Armutsbevölkerung jedoch direkte "Folgen von Verdrängungsmechanismen, selektiven Fortzügen und Belegungspolitiken, die bei immer geringeren Spielräumen im preisgünstigen Wohnungsbestand immer wirkungsloser werden müssen. "Soziale Brennpunkte" entstehen als Folge absichtsvollen Handelns bzw. Nichthandelns, des Verdrängens von grundsätzlichen Zusammenhängen und des billigenden In-Kauf-Nehmens von `Nebeneffekten´". Dangschat schlug vor, "Toleranz, Solidarität und eine deutlich zurückgenommene Konkurrenz um wirtschaftliches Wachstum" wirken zu lassen, denn die Bewohner dieser Quartiere für ihre Lage verantwortlich zu machen, sei zwar naheliegend, aber "falsch und ungerecht". Das Berliner Quartiersmanagement könnte, bei aller an dieser Stelle schon verschiedentlich geäußerten Kritik (vgl. MieterEcho 286, 291, 294) zu spezifischen Formen solcher Toleranz und Solidarität möglicherweise einen Beitrag leisten.

Rolf-Peter Löhr, verantwortlich für die Begleitung des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" beim Deutschen Institut für Urbanistik hat nun in einem Beitrag für das Hamburger Magazin Stern allerdings unter solche Vorstellungen einen deutlichen Schlussstrich gezogen, denn aus seiner Sicht spürt man in den "Problemgebieten (...), welche Kultur der Abhängigkeit der Sozialstaat geschaffen hat. Dort leben manche Leute schon in der dritten Generation von Sozialhilfe - da herrscht Sozialhilfeadel - die wissen gar nicht mehr, wie das ist, morgens aufstehen, sich rasieren, vernünftig anziehen und zur Arbeit fahren. Die kassieren ihr Geld vom Staat, machen nebenbei noch ein bisschen Schwarzarbeit, wenn sie nicht sogar kriminell werden. Wenn wir etwas bewegen wollen, müssen wir diese Leute aus ihrer Lethargie wecken, ihnen klar machen, dass sie für sich, ihre Stadt und ihr Viertel selbst verantwortlich sind."

"Verdiente" Armut und Empowerment im "benachteiligten Stadtquartier"

Ganz, ganz höflich formuliert stellt eine solche Haltung eine reichlich große Herausforderung für diejenigen Berliner QuartiersmanagerInnen dar, die mit ihrer Arbeit die in den Quartieren lebende Armutsbevölkerung befähigen wollen, ihre eigenen Interessen auch gegen diejenigen durchzusetzen, die sie politisch und ökonomisch in diese Lage gebracht haben. Diese Befähigung wird neu-deutsch Empowerment genannt, aber höchst unterschiedlich übersetzt; darauf wird zurückzukommen sein.

Allemal aber müsste in den Blick geraten, dass die so genannte Schwarzarbeit und auch Kleinkriminalität angesichts von Armut und Arbeitslosigkeit auch als Reaktionen auf eine unerträgliche Lage der betroffenen Menschen interpretiert werden müssen.

Etwas weniger höflich formuliert, und das scheint in diesem Falle angezeigt, legt das Statement von Löhr jedoch nahe, der Sozialwissenschaftler wolle, unbeeindruckt von fehlender Evaluation und jeglicher kritisch-sozialwissenschaftlicher Distanz abhold, schon einmal die Bevölkerung aufteilen in das, was in den USA im neoliberalen Duktus seit den 1980er Jahren als deserving und undeserving poor bezeichnet wird. Das ist die Haltung, die der Auffassung ist, es gebe Teile der Bevölkerung, die ihre Lebenslage auch "verdient" hätten und entsprechend zu behandeln seien. Diese Sortierung unternimmt quasi präventiv schon einmal Löhr.

In diesem Sinne wird man sich zukünftig wohl mehr mit dem Drohpotenzial des Bund-Länder-Programms als mit dessen Integrationspotential auseinandersetzen müssen. Das DIFU arbeitet im Auftrag und finanziert von Städten und Gemeinden in den Bereichen wissenschaftliche Forschung, Informationsaustausch und Beratung. So spricht mittlerweile einiges dafür, dass das Quartiersmanagement in einen neuen lokalen Sozial- und Sicherheitsstaat so eingebaut werden wird, dass an Aggressivität nichts zu wünschen übrig bleiben wird.

Immerhin sieht es derzeit in Hinblick auf neue wohlfahrtsstaatliche Programme und parallele Kürzungen im Sozialbereich so aus, als sei "Sortierung" ein Schlüsselbegriff auf dem Weg zu neuer Ausgrenzung und Arbeitszwang, zu Niedriglohn und Kriminalisierung. Das ist nicht wirklich neu, neu ist hingegen, dass diese Politik unter der Überschrift "Integration und Empowerment" - in Berlin mit Beteiligung der PDS - daherkommt. Insofern ist es Löhr zu danken, dass er - gut rasiert und vernünftig angezogen - Klartext geredet hat.

Der unhöfliche Teil: Solcherart Klartext sprach auch Bertolt Brecht mit seiner Formulierung, es herrsche immer Krieg in den Städten. Nicht nur für die Bewohner "benachteiligter" Quartiere oder die Betreiber des Quartiersmanagements, sondern für jeden Stadtbewohner ist es daher gut zu wissen, wer in diesem Sinne die Kriegstreiber sind. Ein Teil des Wissenschaftsadels im Deutschen Institut für Urbanistik hat sich offenbar entschieden.

"Mentalitätswechsel" für ein Ende der Stadt als staatlicher Veranstaltung

Das ist umso schöner, als man in Berlin schon seit geraumer Zeit eine dezidiert gegen die Armutsbevölkerung gerichtete Politik betreibt. In den vergangenen Monaten sind nahezu alle Förderinstrumentarien, Unterstützungsprogramme und rechtlichen "Leitplanken" gegen die Folgen von Verdrängungsprozessen, die in Berlin eine soziale Stadtentwicklung zumindest in Ansätzen erhalten haben, abgewickelt worden (vgl. MieterEcho 291).

Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) ließ in diesem Sinne unlängst das in seinem Hause produzierte Magazin Journal für Stadtentwicklung Foyer unter die Überschrift "Mentalitätswechsel" stellen. Strieders Mentalitätswechsel läuft auf eine Stadtentwicklungspolitik ohne Stadt, Entwicklung und Politik hinaus: Er will Berlins "Infrastruktur nicht weiter ausbauen" und die "Leistungen von Staat und Verwaltung den neuen Verhältnissen anpassen. (...) Wo der Staat nicht mehr selbst Unternehmer ist, muss er auch nicht mehr verwalten." Als Motto gab er daher Ende November auf einer Veranstaltung, die unter dem schönen Titel "Halbzeit. Bilanz und Perspektiven Neuköllner Sanierungsgebiete" stand, die Parole aus, alle hätten jetzt "zu lernen, ohne Subventionen zu denken und zu handeln."

Für Volker von Thiedemann, der unlängst als Referent auf dem "Stadtforum von unten" scharf mit sozialdemokratischer Stadtentwicklungspolitik ins Gericht ging, aber auch keinen Hehl aus seiner Ablehnung staatlicher Interventionen insgesamt machte, bedeutet das schlicht "Modernisieren ohne Geld": In diesem Sinne sei dann Quartiersmanagement nur noch als "Sanierungsattrappe" zu verstehen. Und tatsächlich sieht es so aus, als wolle sich die Politik in finanzieller Hinsicht aus allem herausziehen, mit dem sich nichts verdienen lässt. Was Investoren nicht attraktiv erscheint, vom Senat für jene nicht attraktiv gemacht werden kann, sollen die freien Träger richten - wie etwa beim Quartiersmanagement.

In diesem Zusammenhang wird es um so wichtiger, sich darüber zu verständigen, was mit Empowerment gemeint sein soll. Als "unglücklich" bezeichnete Thiedemann etwa die Aktivitäten des von ihm ansonsten sehr geschätzten Hartmut Häußermann. Dieser habe ihm kürzlich Empowerment mit "den Menschen ihre Würde wiedergeben" übersetzt. Einmal abgesehen davon, so Thiedemann, dass das nicht seine Übersetzung sei - da gehe es nun wirklich um Interessensartikulation, um "Re-Politisierung", und "derzeit ist Quartiersmanagement insofern das glatte Gegenteil" -, halte er es schon rein logisch für unmöglich, Menschen ihre Würde wiederzugeben, die "müssen sie sich erkämpfen."

Bleibt die Frage, ob sie das nun auch gegen das DIFU machen müssen, und wie sich die QuartiersmanagerInnen verhalten werden.