Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 295/ 2003

Wohnungsnot in Dublin

Wege aus der Misere?

Tanja Blankenburg

Tanja Blankenburg wurde 1971 in Berlin geboren. Nach dem Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin und am University College Dublin, Irland, ist sie seit Januar 2000 als Stadtplanerin in Dublin tätig. Sie ist eine der AutorInnen im Buch "Das SelbstBau-Modell. Eine Mietergenossenschaft in Prenzlauer Berg", HG. Energiekontor GmbH et al., Berlin: Links, 1998.

Durch das Wirtschaftswachstum stieg in den letzten Jahren die Nachfrage nach Wohnraum in Dublin immens. Parallel dazu ist die staatliche Wohnungsbauförderung fast ausschließlich auf den Eigentumserwerb ausgerichtet. Dies hat zu einem sehr beschränkten Mietwohnungsmarkt geführt mit überhöhten Mieten und ohne Mieterschutz. Zum anderen hat diese Politik zur Entstehung monofunktionaler Stadtrandsiedlungen geführt. Die Förderung von Mietwohnungsbau und ein gesicherterer Status von Mietern könnten einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Wohnungsprobleme liefern. Erste staatliche Ansätze bestehen, doch deren Wirkung ist fraglich.

Der wirtschaftliche Boom Irlands (der so genannte Celtic Tiger) seit Mitte der 90er Jahre, hat zu einem enormen Siedlungsdruck auf Dublin geführt, wo sich viele internationale Firmen niedergelassen haben. Neben einem ohnehin bereits hohen Bevölkerungswachstum profitiert Dublin von Wanderungsgewinnen aus ländlichen Gegenden und den momentan zahlreichen Immigranten und Rückkehrern (Iren, die auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit emigriert waren und nun zurückkehren). Parallel dazu hat sich die Bevölkerungsstruktur Irlands gewandelt. Die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen ist in den Jahren zwischen 1995 und 2000 um 50.000 Personen gestiegen und bis zum Jahr 2006 wird mit einem weiteren Anstieg dieser Gruppe um 114.000 gerechnet. Dieser drastische Anstieg von Personen im Haushaltsgründungsalter bei gleichzeitigem Trend zu kleineren Haushalten hat zu einem dramatischen Wohnraummangel in Dublin geführt. Es wird geschätzt, dass jährlich 15.000 bis 20.000 zusätzliche Wohnungen benötigt werden, wohingegen in den letzten Jahren lediglich 10.000 neue Wohnungen pro Jahr fertiggestellt wurden.

Die starke Nachfrage nach Wohnraum bei mangelndem Angebot hat in Dublin die Immobilienpreise in die Höhe getrieben, sie haben sich innerhalb der letzten zehn Jahre zum Teil verzehnfacht (der durchschnittliche Preis für ein Haus belief sich Ende Oktober dieses Jahres auf 255.510 Euro). Das beständige Steigen der Gebäudepreise wird auch durch bessere Berufschancen und gestiegene Gehälter nicht ausgeglichen.

Konzentration auf Eigenheimerwerb

Am meisten betroffen von diesem dramatischen Anstieg der Immobilienpreise sind Personen im Haushaltsgründungsalter, die beabsichtigen ihr erstes Wohneigentum zu erwerben. Diese Personengruppe wird als so genannte "first time buyers" bezeichnet. Typische first time buyers sind junge verheiratete oder verlobte Paare, die seit ein paar Jahren im Berufsleben stehen, noch keine Kinder haben, aber kurz vor der Familiengründungsphase stehen.

Auf Grund der extrem hohen Hauspreise ist der Eigenheimerwerb für viele junge Leute nicht so ohne weiteres möglich. Um diesem Problem beizukommen gewährt der irische Staat first time buyers Krediterleichterungen und steuerliche Vorteile (niedrige Zinsen, reduzierte Grunderwerbssteuer), auch wenn vor kurzem der "first time buyers grant", eine pauschale Finanzhilfe von 3800 Euro von der Regierung gestrichen wurde. So oder so: erschwingliche Häuser bleiben rar. Diesem Mangel versucht eine Regelung Abhilfe zu schaffen, die im seit dem Jahr 2000 geltenden Planungsgesetz (Planning and Development Act) aufgenommen wurde. Diese Klausel besagt, dass bei neuen Wohnungsbauprojekten bis zu 20 % sozialer oder bezahlbarer Wohnungsbau (affordable housing) integriert werden muss. Bisher gibt es jedoch wenig Erfahrungen mit der Umsetzung und dessen Wirkungsgrad wird sich erst in der Zukunft zeigen. An dieser Gesetzesinitiative wird aber deutlich, dass der irische Staat zur Lösung der Wohnungsfrage vor allem auf Eigenheime setzt.

Monofunktionale Stadtrandsiedlungen

Dies sind meist Doppelhaushälften in immergleichen Siedlungen amerikanischen Vorbilds mit breiten geschwungenen Straßen, Sackgassen und "hübschen" kleinen Häusern gleichen Designs, vor denen auf der Einfahrt der unvermeidliche Familienkleinwagen parkt. Ein Besucher hat keine Chance sich in dem Gewirr von mäandrierenden Straßen und immergleichen Häusern in ähnlich klingenden Straßen zurecht zu finden: "Wohnen sie nun im Canonbrook Drive oder Canonbrook Cresent oder war es doch Canonbrook Park?"

Jede dieser Siedlungen, von privater Hand erbaut, bildet eine kleine Zelle für sich, oft mit Mauern und Tor, ohne Durchlass zu benachbarten gleichartigen Siedlungen, sei es mit dem Auto, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß. Das macht es unmöglich, diese Siedlungen mit öffentlichem Nahverkehr zu erschließen. Infrastruktureinrichtungen, wie etwa Kindergärten und Schulen oder Einkaufsgelegenheiten wird man dort vergebens suchen, nicht einmal der obligatorische Pub lässt sich ansiedeln. So bleibt den Bewohnern dieser Quartiere nur das Auto, um sich in den morgendlichen Stau Richtung Innenstadt einzureihen, sei es zur Arbeit, zum Einkauf oder um die Kinder zur Schule zu bringen. Viele versuchen, sobald sie das nötige Geld haben, ein wesentlich teueres innenstadtnahes Haus zu erwerben, meist vor allem, um dem Stau zu entgehen. So sind diese Viertel einer hohen Fluktuation ausgesetzt, in deren Klima sich kein Nachbarschaftsgefühl aufbauen lässt.

Diese Vororte, die sich unendlich in alle Richtungen ausbreiten, mit ihrer niedrigen Bevölkerungsdichte, ihrer starken Abhängigkeit vom Auto und reiner Wohnbebauung sind nicht nur die Folge von nicht vorhandener Stadtplanung, sondern auch der Einstellung der Iren zum Wohnen, in der das Eigenheim mit Garten die absolute Norm darstellt. 1994/95 wohnten 75 % aller Iren im Eigenheim. Weitere 15 % lebten in Sozialwohnungen und nur 10 % mieteten Wohnraum von Privaten (zum Vergleich: in Berlin leben 90 % der Bevölkerung zur Miete). Nur Sozialmieter wohnen langfristig zur Miete in den kommunalen Geschosswohnungsbauten, denen meist der Ruf von Kriminalität und Drogenproblemen anhängt. Das Wohnen zur Miete ist dementsprechend stigmatisiert.

Mietsituation junger Dubliner

Falls man nicht im Elternhaus bleiben kann, wohnt man meist nur in der befristeten Zeit des Studiums/der Berufsausbildung zur Miete. Oft sind solche Mietverhältnisse auf die Vorlesungszeit begrenzt, während der Semesterferien wird die Wohnung aufgegeben und zum nächsten Semesterbeginn eine neue Bleibe gesucht. Die typische Studentenbude in Dublin besteht aus einem kleinen möblierten Zimmer mit integrierter Küchenzeile und einem Gemeinschaftsbad, das mit anderen Bewohnern des Hauses geteilt wird (bedsits). Später im Studium - oder in den ersten Berufsjahren - wird man versuchen mit Gleichgesinnten ein (eingerichtetes) Haus zu mieten bzw. in ein solches einzuziehen (shared houses). Hat man einen Lebenspartner gefunden und/oder genug Geld beisammen, wird der Kauf eines Eigenheims angestrebt.

Mieten gilt als kurzfristige Übergangslösung. So ergab eine Umfrage einer großen Wohnvermittlungsagentur in Dublin, dass 41 % der Befragten gerade mal seit einem Jahr mieten und 83 % der Mieter vorhaben sich in der Zukunft Eigentum anzuschaffen, 45% hatten dies bereits im nächsten Jahr vor.

Mieten - keine Alternative zum Eigenheimerwerb?

Zur Miete zu wohnen stellt für Dubliner keine wirkliche Alternative zum Eigenheimerwerb dar. Dafür sind zwei Ursachen maßgeblich verantwortlich: Zum einen die unsicheren Mietverhältnisse und zum anderen die Mietpreise. Diese erhöhten sich in den letzten Jahren durch hohe Nachfrage und mangelndes Angebot ungebremst. Durchschnittlich um 24 % stiegen die Mieten zwischen August 2000 und August 2001 und lagen damit um 54 % höher als im August 1998. Im Januar 2002 betrug die durchschnittliche Miete für eine Zweizimmerwohnung in Dublin etwa 900 Euro pro Monat,1 eine Dreizimmerwohnung - je nach Wohnlage - zwischen 1100 und 1500 Euro. Die Rate der Mietsteigerungen hat sich in Dublin nach dem 11. September zwar etwas verlangsamt (infolge des Anschlags haben viele internationale Firmen ihren Mitarbeiterstamm in Dublin drastisch reduziert, was zu einer leichten Entspannung auf dem Mietsektor führte), aber dennoch sind die Mieten durchschnittlich um 25 bis 30 % höher als die durchschnittlichen monatlichen Rückzahlungsraten für einen Kredit zum Kauf eines Eigenheims. Zur Miete zu wohnen lohnt sich finanziell also keineswegs.

Da keine Mietpreisregelung besteht, kann ein Vermieter generell die Miete beliebig erhöhen, es sei denn, es wird in einem Mietvertrag eine bestimmte Miete für einen genannten Zeitraum festgelegt. Viele Mietverhältnisse bestehen jedoch auf einer periodischen Basis, d.h. sie werden von Monat zu Monat oder gar von Woche zu Woche durch Zahlung der Miete erneuert. In diesen Fällen braucht der Vermieter die Mieterhöhung nur einen Monat bzw. eine Woche vorher anzukündigen. Der Mieter hat dabei kein Recht auf Grund von Mängeln der Wohnung oder unterlassenen Reparaturen Miete einzubehalten.

Neben den periodischen Mietverhältnissen bestehen Mietverträge, die meist auf ein oder ein halbes Jahr begrenzt sind. Innerhalb dieses Zeitraums ist das Mietverhältnis weitgehend geschützt, es sei denn, der Mieter macht sich grober Unterlassungen schuldig. Ein solches Mietverhältnis mit zeitlicher Begrenzung bedarf keiner Kündigung, sondern endet nach Ablauf der vertraglich festgesetzten Zeit. Bei nicht zeitlich begrenzten Mietverträgen besteht eine Kündigungsfrist von 28 Tagen. Generell muss ein Vermieter keine Gründe für die Kündigung angeben. Es gibt kein Recht des Mieters auf eine Verlängerung des Mietverhältnisses, es sei denn, er hat die Wohnung bereits mehr als 20 Jahre gemietet, dann erwirkt er sich das Recht auf Schutz des Mietverhältnisses für die nächsten 35 Jahre.

Weg in die Sackgasse ...

Trotz verstärktem Entstehen von Geschosswohnungsbau in der Innenstadt Dublins, nahe von Arbeitsstellen, öffentlichem Nahverkehr und Einkaufsmöglichkeiten hat die geschilderte Mietsituation dazu geführt, dass die Doppelhaushälfte am Stadtrand für viele die erste Wahl bleiben wird. Mietwohnungen in der Innenstadt sind zwar gerade von der jungen und mobilen Generation von Arbeitskräften sehr begehrt, nur - faktisch können sie sich diese nicht leisten.

Ein erleichterter Zugang zu einer reichen Auswahl von erschwinglichen Wohnungen guter Qualität im verdichtetem Geschosswohnungsbau an innenstadtnahen Standorten könnte insbesondere den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden zwischen 25 und 34 gerecht werden. Ein solcher Markt an Mietwohnraum könnte in vielerlei Hinsicht flexibler auf die Wohnansprüche reagieren. Durch eine verbesserte Qualität der Wohnungen, gesicherte Mieten und Mietverhältnisse könnte das effektiv zur Reduktion der Zersiedlung beitragen. Dublins Stadtentwicklung muss sich in der Zukunft durchgreifend verändern, sonst könnte die irische Hauptstadt, so die Prognose eines Stadtökonoms, im Jahre 2010 die Fläche Los Angeles einnehmen, allerdings mit lediglich einem Viertel der Bevölkerung der kalifornischen Stadt. Eine Vorstellung, die nicht nur Stadtplanern graust. Darüber hinaus leidet inzwischen auch Dublins Attraktivität als Investitionsstandort auf Grund der Situation auf dem Wohnungsmarkt.

... oder Hoffnung mit neuen Ansätzen

In der Vergangenheit hat der irische Staat den Mietsektor weitgehend ignoriert und diesbezügliche Umfragen und Erhebungen wurden nur von Wohnungsvermittlungen und Immobilienmaklern durchgeführt. Bei der diesjährigen Volkszählung wurden zum ersten Mal Daten zur Mietsituation erhoben (die zur Zeit noch nicht verfügbar sind). Somit scheint die fatale Situation von Mietern inzwischen anerkannt worden zu sein und eine neue Gesetzgebung mit verbessertem Mieterschutz soll voraussichtlich im Jahr 2003 verabschiedet werden. Diese Gesetzgebung wird unter anderem die gesetzliche Kündigungsfrist verlängern, in Abhängigkeit von der Dauer des Mietverhältnisses. Weiterhin sollen Mieter, die seit über sechs Monaten in einer Wohnung leben, das Recht auf ein fünfjähriges Mietverhältnis eingeräumt bekommen. Mieterhöhungen sollen nur einmal jährlich zulässig sein und dürfen nur im Verhältnis zum Marktwert der Wohnung stehen. Die Mieterschutzorganisation Threshold kritisiert allerdings, dass nicht ausreichend geregelt ist, was der Marktwert sei und wie und von wem dieser festgelegt werde. Weiterhin befürchtet Threshold, dass sich Vermieter nicht mehr auf langfristige Mietverträge einlassen, sondern dass halbjährige Mietverhältnisse zur Regel werden, und sie erwartet, dass unmittelbar vor Verabschiedung der Gesetze Vermieter die Mieten drastisch anziehen werden.

Es ist also vielleicht nicht ganz unverständlich, dass vor kurzem ein Artikel in der Irish Times erschien, in dem sich ein Berliner, der für ein Jahr in Dublin gelebt hat, ausführlich über die Vorzüge Berlins als Mieterstadt auslässt, die er Dublin vorzieht und wohin er nun zurückkehrt. Diese Qualität Berlins sollte nicht so ohne weiteres preisgeben werden.

1 In Irland wird die Größe einer Wohnung durch die Anzahl der Schlafzimmer bestimmt. Ein "single bedroom apartment" hat damit ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, meist funktionell festgelegt durch Einbaumöbel.