Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 295/ 2003

"... ohne Energie geht gar nichts!"

Lektüre über "Die ostdeutsche Energiewirtschaft von den Kombinaten zur VEAG (1980-2001)"

Hermann Werle

Dafür dass ein Geschichtsbuch nicht immer langweilig sein muss, ist diese Abhandlung über die letzten Jahre der DDR-Energiewirtschaft und ihren Anpassungsprozess an die westliche Wirtschaftsweise der beste Beleg.

Die Idee zu dem Buch hatten ehemalige Beschäftigte, die ihre und die Geschichte der Energiekombinate festgehalten wissen wollten. Mit Unterstützung der VEAG, der Hans-Böckler-Stiftung und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie trugen Jörg Roesler und Dagmar Semmelmann über zwei Jahre Dokumente, Interviews und Fotos zusammen, um einen Einblick in die Problemlage, den Verlauf von Entscheidungsprozessen und persönliche Einschätzungen über die ostdeutsche Energieversorgung zu vermitteln. Neben den auf schriftlichen Quellen beruhenden Passagen stehen ausführliche Interviews mit Zeitzeugen. "Nur im Spannungsfeld dieser beiden Perspektiven erschließt sich die Komplexität des Geschehens", schreiben die beiden Autoren im Vorwort und das Ergebnis scheint ihnen Recht zu geben.

So ergänzen sich die Darstellung der Versorgungsengpässe in der DDR durch die Erdölpreissteigerungen seit 1973, die durch die Ausweitung der Braunkohlekraftwerke kompensiert werden sollte, mit dem Interview mit Reinhardt Franzke, der Betriebsdirektor im Kraftwerk Hagenwerder war. Dieser erläutert die Probleme schlechter Braunkohle: "Der Tagebau hatte aber keine bessere Kohle, und da mussten wir eben am Tag - das ist ja einmalig sicherlich in der Welt - 1000 Tonnen Öl verfeuern, um die Kohle zu verheizen. (...) Und das Öl gab es dann auch nicht mehr, und dann mussten wir Brikett entladen (...) Na, und mit den Briketts, da haben wir uns erst recht was eingehandelt. Sehen Sie, da sind solche Staubwolken entstanden, und diese Staubwolken sind dann in die Ortschaften rein, und das war im Sommer, wo die Fenster offen standen (...) Und ich musste das dann vor 100 Frauen, die da auf der Wiese standen und mir die Bettwäsche gezeigt haben, alles noch begründen."

Schmutzige Wäsche wird in dem Buch dennoch nicht gewaschen, es handelt sich auch nicht um eine Generalabrechnung mit der Planwirtschaft der DDR aus der Warte der Gewinner. Vielmehr werden Details und Widersprüche aufgearbeitet, die zu den so genannten "Stromverträgen" führten, die die Überführung der ostdeutschen Unternehmen in die Marktwirtschaft und die westdeutschen Konzerne regelte. Welche Gefühle die ehemaligen DDR-Beschäftigten damals beherrschte, bringt Arnfried Kögler, damals in leitender Position des Kombinats KVE (Kombinat Verbundnetze Energie) stellvertretend auf den Punkt: "Also, als ich das Ding gelesen habe, ist mir das Messer in der Tasche aufgegangen. (...) Was mich so zornig gemacht hat? Na ja, dass wir zu Idioten abgestempelt wurden. Das stand natürlich nicht da drin, aber da stand drin, nach Unterzeichnung übernehmen die Herren aus der Bundesrepublik die Geschäftsbesorgung für die Betriebe der Energiewirtschaft."

Dem Umbau zur VEAG und die Entwicklungen der einzelnen Energie-Standorte bis zur Strompreisliberalisierung und dem dadurch entstandenen Kostendruck sind die weiteren Kapitel gewidmet. Im letzten Kapitel, "Der zweite Verkauf der VEAG", wird bereits die Übernahme durch den Vattenfall-Konzern skizziert.

Die Autoren resümieren: "Bei allen Unterschieden hatten jedoch Stromvertrag und erste Privatisierung mit dem zweiten Verkauf auch manches gemeinsam. Erstens war das ostdeutsche Verbundunternehmen Objekt und nicht Subjekt der Verkaufsaktion. Beim zweiten Verkauf war dies noch augenscheinlicher, da der Vorstand der zu verkaufenden Aktiengesellschaft - zumindest öffentlich - nicht einmal einen Wunschpartner nennen durfte. Zweitens war die Regierung wieder mit von der Partie und bestrebt, ihre Bedingungen in das Verkaufsarrangement einzubringen." Mit Wertungen halten sich die Autoren ansonsten zurück, das wird den interviewten Mitarbeitern und den Lesern und Leserinnen überlassen, die in dem Buch dafür viele Fakten vorfinden.

Prof. Dr. Jörg Roesler / Dr. Dagmar Semmelmann:
"...ohne Energie geht gar nichts!" -
Die ostdeutsche Energiewirtschaft von den Kombinaten zur VEAG (1980-2001);
Herausgeber: VEAG Vereinigte Energiewerke AG
Chausseestraße 23 - 10115 Berlin