Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 294/ 2002

Trotz langjähriger Mietzahlung keine Rechte

Mieterfeindliche Rechtsprechung des Berliner Landgerichts bedroht nicht nur Friedrichshainer Hausprojekt

Peter Nowak

Anfang September meldeten alle Zeitungen, dass es wieder einmal zu einer polizeilichen Räumung in der einstigen Besetzerhochburg Rigaer Straße in Friedrichshain gekommen war. Solche Meldungen sind natürlich immer schlagzeilenträchtig, nur haben sie mit der Realität häufig nicht allzu viel zu tun. Geht man den Meldungen um die Rigaer Straße 94 auf den Grund, wird schnell deutlich, dass es sich mitnichten um ein besetztes Haus handelt, das aus irgendwelchen Gründen in seinem illegalen Status überleben konnte. Es könnte allenfalls von einigen besetzten Gewerberäumen im Erdgeschoss des Hauses gesprochen werden, die als Kneipe benutzt wurden und am 4. September unter Polizeischutz gesperrt worden sind. Ansonsten ist die Rigaer Straße 94 nicht gerade untypisch für den Berliner Osten nach der Wende: Das Haus wurde im Juni 1990 besetzt. Im März 1992 wurden zwischen den Bewohnern und der damaligen Eigentümerin, die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF), ein Rahmenvertrag sowie Einzelmietverträge für einen Großteil der Wohnungen abgeschlossen.

Keine sozialverträgliche Privatisierung

Nach Rückübertragung und den Weiterverkauf wurde schließlich im September 2000 Suitbert Beulker Eigentümer des Hauses. Dem Besitzer von mindestens zwei weiteren Häusern in der Rigaer Straße standen bei seinen Bemühungen, die Häuser profitabel zu verwerten, die Mieter im Weg. Die will er mit allen - selbst illegalen - Mitteln loswerden. So konnte ein von Beulker im Februar 2001 veranlasster Polizeieinsatz gegen die Mieter der Rigaer Straße 94 (siehe auch MieterEcho Nr. 284) erst durch ein Mitglied des Abgeordnetenhauses gestoppt werden. Wegen angeblichen Wohnungsleerstand hatte er die Polizei eingeschaltet, die mehrere Türen zerstört und drei Wohnungen widerrechtlich betreten hatte. Die Anwälte der Mieter erstatteten gegen Beulker Anzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch und erstellten eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den für den Polizeieinsatz zuständigen Einsatzleiter, der sich später für das widerrechtliche Betreten vermieteter Wohnungen entschuldigte.

Beulker geht allerdings auch selber mit juristischen Mitteln gegen die Mieter vor. So kündigt er im Januar 2001 sämtliche Mietverträge des Hauses. Denn er hatte mittlerweile begriffen, dass es sich bei den Hausbewohnern um besonders renitente Mieter handelt, die eigene Interessen artikulieren und sich nicht einschüchtern lassen. Zum juristischen Zankapfel wurden nun einige Wohnungen, für die es keine schriftlich fixierten Mietverträge gab. Die Bewohner haben dafür allerdings teilweise seit mehreren Jahren Miete bezahlt, die vom Eigentümer auch angenommen wurde. Eigentlich konnten sich auch diese Bewohner als Mieter mit allen Rechten und Pflichten sehen, jedenfalls wenn sie von der bisherigen Rechtsprechung ausgegangen sind. Danach bestand ein Mietverhältnis nicht nur bei schriftlich fixierten Mietverträgen sondern auch dann, wenn auf das Eigentümerkonto regelmäßig Mietzahlungen eingezahlt und angenommen wurden.

Miete oder Nutzungsgebühr?

Anfang der 90er Jahre sprachen Juristen noch von einer Zahlung von drei Monatsmieten, um ein Mietverhältnis zu begründen und auch einzuklagen. Später wurde dieser Zeitraum ausgedehnt. Doch eigentlich galt es als rechtlich unstrittig, dass eine Mietzahlung über einen Zeitraum von mehreren Jahren ein Mietverhältnis begründet. Sollte allerdings die Entscheidungen der 62. Zivilkammer des Berliner Landgerichts Schule machen, kann davon nicht mehr ausgegangen werden. Die entschied nämlich in vier, die Rigaer Straße 94 betreffenden Fällen, konträr zur bisherigen Rechtsprechung. Die Kammer interpretierte die jahrelangen Mietzahlungen als reine Nutzungsgebühr, aus der keine vertraglichen Rechte abgeleitet werden können, weil die aktive Zustimmung des Vermieters fehle. Bisher wurde das Konstrukt der Nutzungsgebühr häufig von Hausbesitzern und ihren Anwälten strapaziert, um vertragliche Pflichten trotz Mietzahlungen abzuwehren. Doch die Gerichte folgten in der Regel dieser Argumentation nicht. Von den Folgen einer solchen veränderten Rechtsprechung wären nicht nur Hausprojekte wie die Rigaer Straße 94 betroffen. Schließlich gibt es gerade im Ostteil Berlins noch zahlreiche Mieter ohne schriftlich fixierte Verträge. Dass dieser Aspekt bisher in der Diskussion um die Rigaer Straße 94 ziemlich ausgeblendet wurde, liegt allerdings auch an der Öffentlichkeitsarbeit der Bewohner, die sich auf Plakaten und Flyern gerne als die letzten Besetzer darstellen. Nur in den Presseerklärungen machen sie deutlich, worum es eigentlich geht:

"Wir sehen uns als Teil eines Kampfes gegen die immer schlechter werdenden Bedingungen für MieterInnen. Dies drückt sich u.a. im Auslaufen der sozialen Stadterneuerung und dem neuerlichen Fall der Mietpreisobergrenze in Berlin-Friedrichshain aus."