Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 294/ 2002

Das Trauerspiel der Märkischen Baugenossenschaft

Joachim Oellerich

Als die Genossen der Gemeinnützigen Märkischen Baugenossenschaft e.G. (GMB) unlängst Post erhielten ahnten sie nichts Gutes. Zu Recht, wie die Einladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung sofort zeigte. Zu den Tagespunkten gehörte nicht nur die Abwahl des Aufsichtsrates, sondern auch ein "Beschluss zur Inanspruchnahme von Aufsichtsrat und ehemaligem Vorstand wegen Schadensersatz". Starker Tobak in Genossenschaftskreisen.

Die Begründung, die der z.Zt. amtierende Vorstand unter der Überschrift "Informationen zur aktuellen Lage der Genossenschaft" ("Informationen") lieferte, hatte es dementsprechend in sich: "Die GMB war vom 23.09.2002 bis 11.10.2002 zahlungsunfähig. Hätte dieser Zustand einen Tag länger angehalten, wäre der Vorstand gezwungen gewesen, Insolvenz anzumelden. (...) Die Situation hat sich noch nicht nachhaltig gebessert. Es besteht immer noch das Risiko, dass eine Insolvenz in den nächsten Monaten nicht abgewendet werden kann. Dieser dramatische Zustand ist nicht kurzfristig entstanden, die Entwicklung war bereits in den letzten Jahren erkennbar. Weder Vorstand noch Aufsichtsrat haben darauf reagiert."

Dipl.-Pol. Diethard Hasler

Manchmal haben Katastrophen einen Namen: Dipl.-Pol. Diethard Hasler war von 1972 bis zu seiner Absetzung im Juni 2002 geschäftsführender Vorstand der GMB. Ihn durch seine den Geschäftsberichten vorangestellten Leitartikel näher kennen zu lernen, erweitert den Gesichtskreis und verhilft zum Verständnis alles Weiteren. 1990 feiert er den 9. November auf folgende Weise: "Aber der 9. November war auch (...) ein Freudentag für 16 Mio. Deutsche - vier Jahrzehnte in einer Art gigantischem KZ eingemauert - die sich nun wieder frei und ungehindert in ganz Berlin und Deutschland bewegen können." Ein kleiner Wermutstropfen trübt die Freude: "Dennoch soll nicht übersehen werden, dass die PDS - im Volksmund ´Partei der Schmarotzer` genannt - als Nachfolgeorganisation der SED auch bei den freien Wahlen landesweit immerhin noch 16 % und im Ostteil Berlins 30 % der Stimmen erhalten hat."

Sachkundig jedoch erklärt uns der Diplom-Politologe dieses Phänomen. Die Wähler waren: "etwa 600.000 haupt- und nebenamtliche Stasi-Mitarbeiter und sicherlich ebenso viele Funktionäre, die trotz beschränkter Fähigkeiten im SED-Staat über das Parteibuch hochdotierte Positionen einnahmen und in Saus und Braus lebten, während die Masse der Bevölkerung unter der sozialistischen Mangelwirtschaft zu leiden hatte."

Beunruhigender ist für ihn, "dass Gysi - diese intellektuelle Mischung von Joseph Goebbels und Karl-Eduard von Schnitzler - für seine Parolen aus der klassenkämpferischen Mottenkiste von der West-Berliner alternativen Liste und den Bonner Grünen lautstark Beifall erhält."

Ein "gigantischer Schuldenberg und die Zinsen" lassen ihn 1992 räsonieren: "Nicht zu vergessen die vielen hundert Mio. DM, die unser gerade zurückgetretener Außenminister Genscher offenbar ebenfalls auf Betreiben der USA an dessen arabische Golfkrieg-Verbündete sowie Israel verteilte, nicht ohne sich bei der Schecküberreichung an den jüdischen Außenminister wegen des dort als zu gering empfundenen Betrages noch beschimpfen lassen zu müssen."

Sein Antisemitismus sucht auch die Nähe zur Gewerkschaftsfeindlichkeit:

Zum von der Vorsitzenden der ÖTV "Wulf-Mathies in diesen Tagen inszenierten Streik" wird erklärt: "Hier ging es nicht um die Durchsetzung berechtigter Arbeitnehmerinteressen, sondern um die Durchsetzung von Macht um ihrer selbst willen."

Und überhaupt: "Gewerkschaftspolitik 1992 offenbart sich als Lohnpolitik für die Wohlhabenden." Kein Wunder, denn: "kein Gewerkschaftsführer denkt oder spricht in der gegenwärtigen Tarif- und Streikrunde von den Arbeitslosen. Die Tarifpolitik der - mit Mio. Jahresgehältern ausgestatteten - Gewerkschaftsbosse ist westdeutsch konsumorientiert statt gesamtdeutsch investiv."

Die Gewerkschaften sind für die Arbeitslosen verantwortlich und die Kosten der Einheit. Dazu passt ein tüchtiger Schuss Revanchismus und den liefert er u.a. 1999 in seiner Abrechnung mit der rot-grünen Regierung: "Nur zu der Erkenntnis, dass auch die Vertreibung von 15 Mio. Deutschen nach dem 2. Weltkrieg durch Russen, Polen, Tschechen, Serben und andere natürlich genauso völkerrechtswidrig war und dann möglicherweise posthum auch noch Stalin, Roosevelt, Truman, Churchill und Attlee als Kriegsverbrecher zu brandmarken sind, hat sich unsere linke Regierung noch nicht durchgerungen."

Genossenschaftliche Widersprüche

Selbstverständlich kamen aus den Reihen der Genossen gegen diese alljährlichen von keinem Gremium der Genossenschaft autorisierten Absonderungen des Herrn Hasler Proteste. Doch vergeblich. Während Aktiengesellschaften solcherart politisch vor sich hin dilettierende Vorstandsvorsitzende betriebswirtschaftlicher Inkompetenz verdächtigen, als geschäftsschädigend ansehen und entsorgen würden, hat in Genossenschaften ein Vorstandsvorsitzender die Souveränität eines Feudalherren. Die immer wieder beschworene genossenschaftliche Demokratie ist eine Farce. Jeder genossenschaftliche Funktionär weiß das und der GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. weiß das erst recht. Demokratie ist eine politische Kategorie und würde sie sich in der Genossenschaft praktisch entfalten, erhielte Herr Hasler in der Märkischen auch nicht mehr Zustimmung als die rechten Parteien, in denen sein Gedankengut vor sich hinwest. Politische Selbstherrlichkeit ist die eine Seite, ökonomische Kompetenz eine andere und da stellt sich die Frage: Wie kann ein solcher politischer Führer eine Genossenschaft mit ca. 1500 Wohneinheiten und einer Bilanzsumme von ca. 90 Mio. Euro fast dreißig Jahre lang wirtschaftlich leiten?

Solange die Genossenschaften unter dem Schutz der Gemeinnützigkeit bis Ende der 80er Jahre mit reichlichen Fördermitteln im Rahmen der Programme des sozialen Wohnungsbaus ausgestattet waren, genossen die Vorsitzenden nicht nur demokratische sondern auch betriebswirtschaftliche Immunität. Wirtschaftlich konnte selbst bei Kostenmieten bis zu 40,00 DM einfach nichts schief laufen. Und bei Herrn Hasler, wie übrigens bei manch anderem Genossenschaftsvorsitzenden, lässt sich ein aus der Sicherheit geborenes Gefühl der Omnipotenz mutmaßen, das ihn zu den späteren, seinem politischen Sendungsbewusstsein adäquaten, wirtschaftlichen Großtaten drängte. Keine günstige Voraussetzung für eine Genossenschaft, die sich seit den 90er Jahren zunehmend der dünnen Luft der freien Marktwirtschaft ausgesetzt sieht.

Katastrophe für die Märkische

1991 betrug das verfügbare Eigenkapital der GMB mehr als 17 Mio. DM. Die Eigenkapitalquote lag bei ca. 27,5 %. Im Jahre 2001 sank das Eigenkapital unter 5 Mio. DM, nur noch eine Quote von 2,5 %. bildend. Dazu findet sich der folgende Kommentar in den "Informationen": "Die (...) Zahlen zeigen den rapiden Verfall des Vermögens innerhalb der letzten zehn Jahre. Aus den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen sind keine kritischen Fragen zu dieser Entwicklung erkennbar, die aber notwendigerweise gestellt hätten werden müssen. Eingeleitet wurde die Entwicklung durch die Sanierung der rückübertragenen Immobilien im Ostteil Berlins. Diese Sanierung wurde durch die hohen Kosten unwirtschaftlich, die Bestände erwirtschaften trotz (möglicherweise auch wegen, d.A.) hoher Mieten bis heute hohe Fehlbeträge."

Obgleich Investitionen immer problematischer wurden, erwarb die GMB 1993 in Glienicke (nahe Frohnau) ein Grundstück für gehobene Wohnungsangebote in oberen Marktsegmenten. Eine besonders unverständliche Spekulation, wenn man bedenkt, dass die Genossenschaft sowohl eine andere soziale Zusammensetzung als auch andere Wohnungsbestände hat. Bereits 1998 geriet der hochpreisige Bereich unter Druck, stellt der damalige Geschäftsbericht fest. Doch "im gleichen Berichtsjahr wird ein Neubauvorhaben begonnen, dass mit geplanten Wohnungsmieten von 20,00 DM/qm (nettokalt) genau diesem hochpreisigen Bereich zugerechnet werden muss. Bemühungen, zumindest Kostenreduzierungen zu erreichen, sind nicht erkennbar. Vielmehr wurden mehr als 150 Nachträge zum Bauvertrag abgeschlossen, durch die Mehrkosten in Höhe von ca. 20 Mio. DM gegenüber der Planung verursacht wurden. Die Gesamtkosten für das Bauvorhaben belaufen sich auf ca. 60 Mio. Euro. Diesen steht ein aktueller Verkehrswert von ca. 36 Mio. Euro gegenüber. Ein Jahr nach Fertigstellung ist also bereits ein Wertverlust von 24 Mio. Euro (40 % der Investition) eingetreten." ("Informationen")

Die Weberbank kündigte die Darlehen nicht wegen der misslichen wirtschaftlichen Lage, sondern "weil der damals amtierende Vorstand (Dipl.-Pol. Diethard Hasler, d.A.) sich weigerte, der Weberbank den längst festgestellten und geprüften Jahresabschluss 2000 zur Verfügung zu stellen. Nach Erhalt der Darlehenskündigung ließ sich Herr Hasler vom Aufsichtsrat für weitere fünf Jahre zum Vorstand bestellen, ohne den Aufsichtsrat über diese Situation zu informieren. Erst nach erfolgter Bestellung informierte er den Aufsichtsrat über die Kündigung. Der Aufsichtsrat hätte an dieser Stelle das Recht gehabt - und zumindest moralisch auch die Pflicht - den Vorstand außerordentlich zu kündigen. Der Aufsichtsrat hat diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen." ("Informationen")

Der Bericht konnte nicht länger zurückgehalten werden und "auf Druck der Banken traten Herr Hasler und Herr Krause am 27.06.2002 als Vorstand der GMB zurück, mit einer für Herrn Hasler, gemessen an der wirtschaftlichen Situation der Genossenschaft und deren Ursachen, ausgesprochen großzügigen Vereinbarung: Er erhält sein volles Gehalt weiter bis zum 31.12.2003 - ca. 250.000 Euro."("Informationen")

Seit dem 27.6.2002 - für die Märkische der Tag der Befreiung - bietet sich die wirtschaftliche Trümmerlandschaft unverhüllt den Blicken dar. "Am 23.7.2002 informierte der neue Vorstand den Aufsichtsrat über weitere Verfehlungen des alten Vorstands. Diese stehen im Wesentlichen auch im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben "Glienicker Spitze", z.B. bei der Verwirkung von Gewährleistungsansprüchen der Heizungsanlage und gegen die planenden Ingenieure, sowie bei der Ausübung von Umsatzsteueroptionen. Der Aufsichtsrat hat diese Informationen zur Kenntnis genommen, aber nicht entsprechend weiterverfolgt." ("Informationen")

Am 23.09.02 kündigte auch die Landesbank Berlin den Kontokorrentkredit in Höhe von rund drei Mio. Euro und die einleitend genannte Zahlungsunfähigkeit war perfekt.

Die Genossen werden versammelt

751 Genossen versammelten sich am 23.10.2002 im Ernst-Reuter-Saal am Rathaus Reinickendorf. Tief betroffen aber ratlos. Die Regie der Veranstaltung konnte nicht ausgeklügelter sein. Im Zentrum des Podiums thronte der Aufsichtsrat aus Haslers Zeiten unter dem Vorsitz des Herrn Roß (Bankkaufmann, immer wieder gewählt seit 1984). Herr Hasler selbst saß dem Aufsichtsrat unmittelbar gegenüber in der Mitte der ersten Reihe des Auditoriums. Der neue Vorstand klebte irgendwie zufällig an einer Seite des Podiums. Die vorderen Reihen des Auditoriums, Herrn Hasler umhüllend, waren besetzt von Genossen, die unschwer als Honoratioren aus der Ära Hasler identifiziert werden konnten. Kritische bis empörte Stimmen vernahm man aus weiter Ferne vom Rang her. Herr Hasler dominierte den Raum zwischen Podium und Auditorium, hüpfte immer wieder zwischen seinem Platz und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Roß hin und her und okkupierte das Mikrophon, von dem ihn nur ziemlich deutlicher Unwille des Ranges vertrieb. Nicht ohne dass er seinen Protest dagegen unbedingt in das Protokoll aufgenommen wissen wollte. Eine Forderung, die er mit blitzenden Blicken des Triumphes nachdrücklich begleitete.

Haslers Unterstützer machten die Banken und die Prüfungsgesellschaft verantwortlich, bezeichneten den neuen Vorstand mit Vorliebe als "Fremdvorstand", was immer wie "Fremdarbeiter" klang, und unterstellten ihm die Absicht, die wirtschaftlich maroden Bestände preisgünstig an die Banken verscherbeln zu wollen. Der neue Vorstand stellte krasse Einsparungen bei der Verwaltung in Aussicht, bedauerte die Einnahmen nicht steigern zu können, weil bei dieser Genossenschaft die Mieten teilweise schon deutlich über dem Mietspiegelniveau liegen und hatte ein Stillhalteabkommen mit den Banken bis 31.01.2003 anzubieten sowie Verkäufe in Aussicht zu stellen. Die Forderung nach Abwahl des Aufsichtsrats wurde zurückgezogen - ein neuer wäre eh nicht in Sicht gewesen - und auch die Schadensersatzforderung erwies sich als leere Drohgebärde. Schließlich kam es irgendwie zur Annäherung zwischen neuem Vorstand und altem Aufsichtsrat, wodurch Herrn Hasler das Ende seiner Zeit zu dämmern begann.

Angemessen war die Veranstaltung dem Anlass nicht im Entferntesten. Und nach zwei Stunden voller Frustration verlief sie sich während einer katastrophal unfähig durchgeführten Abstimmung ohne Ende, ohne Ergebnis, bei vielen Genossen den Eindruck hinterlassend, ein genaues Abbild der Tätigkeit der leitenden Genossenschaftsfunktionäre geliefert bekommen zu haben.

Schlussfolgerungen

In der Märkischen waren die Genossenschaftsanteile mit 6000 DM vergleichsweise hoch (inzwischen für Neumitglieder nur noch 820 Euro). Ihr aktueller Wert dürfte gegen Null tendieren, aber das ist für die Genossen das kleinere Problem. In der Satzung der Märkischen ist eine Nachschusspflicht verankert und wenn die in Anspruch genommen wird, kann es noch einmal teuer werden. Viele Genossen würden die Genossenschaft daher gerne verlassen. Doch das ist nicht ganz so einfach. Zunächst bedarf es einer Kündigung, die Streichung aus der Rolle der Genossenschaft erfolgt dann erst Jahre später und bis dahin ruhen die Pflichten der Genossen keinesfalls.

Auch durch den Verkauf ihrer Wohnungen verlieren die Genossen nicht die Mitgliedschaft. Als Mieter haben sie durch den Verkauf allerdings weniger zu befürchten. Schon jetzt sind sie durch das Mietrecht geschützt und das bleiben sie auch gegenüber einem neuen Eigentümer. Da die Mieten oder wie die Genossenschaften gerne sagen, Nutzungsgebühren teilweise bereits jenseits des Mietspiegels liegen sollen, wären auch keine Mieterhöhungen zu dulden.

Allerdings ist der Organisationsgrad der Genossen in Mieterorganisationen beklagenswert niedrig. Dementsprechend gering die Ausstattung mit Rechtsschutz. Das sollten die Genossen schleunigst ändern, denn Rechte als Mieter zu haben ist eines, sie wahrnehmen zu können ein zweites.

Das Drama der Märkischen zeigt, dass die Genossenschaften als Selbsthilfeorganisationen zwischen Markt- und Planwirtschaft nur dann eine Chance und eine Daseinsberechtigung haben, wenn die Marktferne wirklich gewährleistet ist. Genossenschaften ohne staatliche Unterstützung sind nichts anderes als kommerzielle Anbieter und unterliegen denselben privatwirtschaftlichen Bedingungen. Sie sind ihnen nur viel weniger gewachsen. Ein Nachteil ist damit aber noch längst nicht zwangsläufig verbunden.

Bei einer klugen Förderung könnten sie wie in der Vergangenheit eine mietpreisdämpfende Funktion wieder gewinnen. Dass die Märkische und andere Genossenschaften, diese Funktion längst nicht mehr erfüllen, ist der Abschaffung der Gemeinnützigkeit und des Fördersystems des sozialen Wohnungsbaus geschuldet. Allerdings dürfen damit keine betriebswirtschaftlichen und demokratischen Freibriefe für Genossenschaftsvorstände ausgestellt werden.

Es bedarf einer neuen Gemeinnützigkeit und die muss - dafür ist das Schicksal der Märkischen ein Lehrbeispiel - an erweiterte soziale und demokratische Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten gebunden sein.