Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 294/ 2002

Lesetipp zur Hartz-Kommission

"Tatort Arbeitsmarkt - Bekämpft die Armen statt die Armut"

Hermann Werle

Wenn ein Auto-Kanzler einen Industrie-Manager beauftragt, Vorschläge für die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zu machen, so verspricht das Resultat nichts Gutes für Lohnabhängige und Erwerbslose. Der rot-grüne Koalitionsvertrag sieht nun vor, bis März 2003 die Vorschläge der Hartz-Kommission eins zu eins Realität werden zu lassen. Die Broschüre "Tatort Arbeitsmarkt - Bekämpft die Armen statt die Armut" vom GegenInformationsBüro Berlin fasst die 13 Module des Hartz-Papiers zusammen und erläutert ihre strategische Ausrichtung sowie deren praktische Bedeutung.

Seit Monaten wird über die Module geredet, sie werden von allen Seiten kritisiert, als "Wahlkampfnummer" deklariert oder als untauglich, um Arbeitsplätze zu schaffen. Auf der anderen Seite werden sie aber auch gelobt und vorangetrieben und gelten als Schritt in die richtige Richtung. So konnte sich gar der IG-Metall-Boss Klaus Zwickel für die Vorschläge begeistern und fordert, den Arbeitslosen doch mal richtig in den Hintern zu treten: "Wer jung und ohne Familie ist, muss künftig bereit sein, für einen Job auch bundesweit umzuziehen" (Der Spiegel 28/2002). Was die Diskussion um die Vorschläge der Hartz-Kommission so wenig nachvollziehbar macht, ist dem Umstand geschuldet, dass sich kaum jemand durch den 343-seitigen Bericht gekämpft hat. So ist schlecht verständlich, was sich hinter dem geflügelten Begriff der Ich-AG verbirgt oder welche Befugnisse die mancherorts bereits installierten Personal-Service-Agenturen (PSA) haben und wer nun bitte schön die "Profis der Nation" sein sollen - hoffentlich nicht die lahmen aber hochdotierten Kicker der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Ein Sanktionskatalog

Es benötigte etwas Zeit, aber inzwischen formiert sich ein unübersehbares Protestpotenzial an der Gewerkschaftsbasis sowie bei Erwerbslosen- und Jobberinitiativen. Und das mit gutem Grund: "Die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte ist eingeleitet", heißt es in dem rot-grünen Antragspapier für den Deutschen Bundestag und das ist nicht übertrieben. Wenn man bislang mit "Reformen" eine Veränderung zum Besseren verband, so gilt das heute nicht mehr - zumindest nicht aus der Perspektive der Mehrheit der Bevölkerung. "Bei dieser Umstrukturierung handelt es sich um einen umfassenden Angriff gegen alle (Lohn-) ArbeiterInnen, unabhängig davon, ob sie zur Zeit in Arbeit sind oder nicht. Sie zielt auf eine Entwertung von Arbeit im doppelten Sinn: auf eine Senkung der Löhne und den Abbau erkämpfter Rechte", schreibt das GegenInformationsBüro und stellt zudem fest, dass "keine einzige in dem Papier der Hartz-Kommission vorgeschlagene Maßnahme geeignet ist, auch nur einen zusätzlichen Arbeitsplatz zu schaffen." Vielmehr könne der Schluss gezogen werden, dass es sich bei den neuen Voraussetzungen für den Leistungsbezug lediglich um einen Sanktions-Katalog handele, "mit dem der Leistungsbezug bei ‚Fehlverhalten` stufenweise gesenkt oder aufgehoben werden kann." Eine Einschätzung, die der VW-Vorstand Peter Hartz in einem Spiegel-Interview vom 5. August bestätigt: "Während es für das Arbeitsamt heute ausgesprochen schwierig ist, Arbeitslose zur Annahme bestimmter Jobs zu zwingen, kann die Service-Agentur so etwas künftig einfach durchsetzen: Denn anders als das Amt ist die Agentur ein echter Arbeitgeber - und kann, genauso wie ein Unternehmen, die bewährten Sanktionsprinzipien des Arbeitsrechts nutzen." Somit wäre der Charakter der sogenannten Personal Service Agenturen grob umrissen. In der Broschüre werden die PSA genauer unter die Lupe genommen und resümierend als das "zentrale Instrument zur Ausweitung des Niedriglohnsektors und dem Zwang zur entgarantierten (Lohn-)Arbeit" dargestellt, welche es zu verhindern gelte.

Ich-AG und andere Profis

Mit der Begründung Schwarzarbeit bekämpfen zu wollen, sollen Arbeitslose per "Ich-AG" künftig vermehrt zu kleinen Unternehmern gezüchtet werden, die vornehmlich im Dienstleistungsbereich (Pflege, Erziehung, Betreuung und Versorgung) tätig werden sollen. Des Weiteren soll damit die Beschäftigung in kleineren Unternehmen flexibilisiert werden. Nach Einschätzung des GegenInformationsBüros kann diese Form der Selbstständigkeit nur für jene Arbeitslose eine realistische Chance bieten, deren Angebot auf eine ausreichende Nachfrage trifft. Ansonsten drohen "Arbeitslosigkeit mit hohen Eigenkosten", "Kümmerexistenzen, Pleiten und Schulden." Ein weiterer Effekt sei der "Austausch- bzw. Verdrängungseffekt von regulären Arbeitsverhältnissen".

Um all die negativen Aspekte dieses "Reformpakets" zu verschleiern, werden im letzten der 13 Module die "Profis der Nation" aufgerufen, "proaktiv" die Umsetzung der Vorschläge zu begleiten. Mit Hilfe einer eigens hierfür zu gründenden Stiftung sowie in der Öffentlichkeit Tätigen, von der Wissenschaftlerin in der Universität bis zum Geistlichen, der in seinen Predigten das Thema aufzugreifen hat, soll die "lähmende Ja-Aber-Statik" durchbrochen werden. Wohl denen, die derlei Profis auszuweichen wissen. Um dieses Konzept zum Scheitern zu bringen, lohnt es sich, die 36 Seiten der Broschüre zu studieren und als "Profi der Betroffenen" gegen die Umsetzung der Hartz-Pläne aktiv zu werden.

Die Broschüre ist kostenlos in der Geschäftsstelle Möckernstraße zu erhalten.

Als PDF-Datei unter: http://www.gegeninformationsbuero.de/hartz/tatort_arbeitsmarkt.pdf

Hrsg.:
GegenInformationsBüro
Kohlfurterstr. 40
10999 Berlin