Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 294/ 2002

Praxis ohne Theorie

wo die Soziale Stadt sich (nicht) verorten mag

Volker Eick

"Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - Die Soziale Stadt", so nennt sich das seit 1999 existierende Bund-Länder-Programm, auf dessen Agenda die Stabilisierung der Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen in benachteiligten Stadtteilen steht.

Das Programm setzt die klassische Stadterneuerung mit Verfahren der Bürgerbeteiligung und kleinräumigen Ansätzen fort. Es will aber mit Hilfe eines integrativen Handlungsansatzes wichtige Defizite der bisherigen Praxis überwinden und dabei auch einen Beitrag zur so genannten Modernisierung der Verwaltung leisten. Neben Akteuren verschiedener Ebenen des politisch-administrativen Systems stehen dabei vor allem die Bürger und deren Mitwirkung vor Ort im Mittelpunkt des Interesses, denn sie sind es, die zur Überwindung einer identifizierten Krise der so genannten benachteiligten Stadtquartiere "aktiviert" werden sollen.

Inzwischen wurden bundesweit über hundert Kommunen in das Programm aufgenommen, in Berlin sind es derzeit 17 Gebiete. Dieser rasanten Entwicklung konnte und, wie manche argwöhnen, sollte eine theoretische Fundierung nicht zu Grunde gelegt werden. Obwohl mittlerweile eine Vielzahl wissenschaftlicher Gutachten für die vorbereitenden Untersuchungen vorliegen, die Zahl von Workshops und Erfahrungsaustauschen Legion ist und auch die ersten Bücher publiziert sind, ist das Programm nach Ansicht vieler Beobachter durch tagespolitische, pragmatische und aktionistische Vorgehensweisen zu charakterisieren. Von einer wissenschaftlichen Einbindung kann (bisher) nur sporadisch die Rede sein.

Wenig thematisiert werden auch die Akzeptanz sowie die Auswirkungen der vom Programm geforderten ressortübergreifenden Koordination und Kooperation von Politik und Verwaltung mit Akteuren aus den Stadtteilen. Zu diesen gehören neben den Quartiersmanagern ehrenamtlich Tätige, (aktivierte) BürgerInnen und zu gewissen Teilen auch (Wohnungsbau-)Unternehmen - jedenfalls dann, wenn ihnen der überwiegende Bestand an Wohnungen in dem jeweiligen Quartier gehört und sie sich daher über das Programm eine kostengünstige Sanierung ihres Wohnungsbestandes sowie des Wohnumfeldes versprechen können.

Zwischen Empowerment und Streetworking Bureaucracy

Der (gewollte) Mangel an Theorie - von der es ja durchaus einmal hieß, nichts sei praktischer als eben jene, so sie gut sei - wird bisweilen durch Alltagsweisheiten ersetzt oder es wird gleich explizit Zurückhaltung geübt. So hat unlängst Rolf-Peter Löhr, beim Deutschen Institut für Urbanistik (DifU) zuständig für die Projektbegleitung des Bund-Länder-Programms, auf einem Fachgespräch zum Thema "Wirtschaften im Quartier" geäußert, dass zwar die Globalisierung für viele der derzeit von Kommunen zu vergegenwärtigenden Probleme verantwortlich sei, er jedoch daraus "keine besonderen Schlussfolgerungen" ziehen wolle, "sondern nur auf die komplexe Problematik in Staat und Wirtschaft hinweisen, die so in früherer Zeit nicht bestanden hat." Ein Verzicht auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit Globalisierung unter gewissen Voraussetzungen ist ganz ohne Zweifel legitim.

Das kann aber dann nicht gelten, wenn nun gerade deren ökonomische Verwüstungen dafür verantwortlich zeichnen, dass es eben dieses Bund-Länder-Programm gibt - und man das Programm sogar begleitet. Geradezu unverantwortlich wird es, wenn der Eindruck vermittelt werden soll, Quartiersmanagement und das Bund-Länder-Programm hätten mit der internationalen Wirtschafts- und Sozialpolitik eigentlich kaum etwas zu tun. Aus dieser Perspektive ist dann das allenthalben geforderte spezifische Empowerment, also die Aktivierung der BürgerInnen und der Aufbau einer "Streetworking bureaucracy", wie der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, seine Vorstellung von Verwaltungs- und Bürgerreform formuliert, ein Wert an sich. Dabei wird allenthalben behauptet, die Globalisierung falle sozusagen vom Himmel und habe mit politischen und ökonomischen Entscheidungen von Eliten, den Anforderungen, die sie an ‚ihre` Bürger stellen, und den damit verbundenen weltwirtschaftlichen Verwerfungen nichts zu tun. Und das, obwohl mittlerweile die Politik mehr als deutlich formuliert, dass angesichts der veränderten wirtschaftlichen Prioritätensetzung, die alternativlos sei, jeder selbst für sich verantwortlich zu sein habe.

Dass es einen solchen Zusammenhang gibt, mögen aber einige nicht akzeptieren. Nur so ist zu erklären, dass Löhr schreibt: "Quartiersmanagement und Empowerment (...) sind wichtige Elemente, nicht nur um Kosten zu sparen, sondern um die Qualität und Akzeptanz der Leistungserbringung deutlich zu erhöhen. Mit Neoliberalismus, wie manche argwöhnen, hat dies also gerade nichts zu tun." Eine solche Positionierung darf schon als ausgesprochene Realitätsresistenz gelten, die um so alberner wirkt, je genauer das seit den 70er Jahren entwickelte neoliberale Projekt der Globalisierung mittlerweile untersucht ist.

Auf dem Weg zum Quartier

So waren schon die späten 70er Jahre vor allem durch eine ideologische Offensive gegen den Wohlfahrtsstaat geprägt, die ihren Ausdruck etwa in Thatchers Großbritannien, in Reagans Nordamerika und schließlich in Kohls Bundesrepublik fand. Die späten 80er und frühen 90er Jahre waren (vor allem in den Städten) durch einen rücksichtslosen "lemmingartigen Wettlauf hin zur unternehmerischen Stadt" gekennzeichnet, der ausschließlich auf die Mobilisierung von Kapital und Profiten zielte, wie dies unlängst die britischen Geografen Jamie Peck und Adam Tickell formulierten. Dabei wurden vor allem Pflichten auf die Kommunen und Bürger verlagert, ohne sie aber mit den entsprechenden Mitteln auszustatten. Parallel wurde gezielt gegen gewerkschaftlich und wohlfahrtsstaatlich erkämpfte Rechte, soziale Projekte und politische Bewegungen vorgegangen. In den frühen 90er Jahren zeichnete sich - charakterisiert durch Clintons USA und Blairs Großbritannien - das als "Dritter Weg" bezeichnete Modell des Neoliberalismus ab, das zumindest propagandistisch auch im Deutschland Schröders und Fischers seinen Niederschlag fand - und nach dieser Wahl offenbar in seine zweite Phase geht.

Arbeitspolitik nach Hartz

Diese Politik, die international unter der Überschrift ‚freier Handel` steht und im Innern von der Notwendigkeit ‚flexibler Arbeitsmärkte` getragen ist, wird mittlerweile von einer umfassenden Agenda von Interventionen begleitet. Den jüngsten Versuch stellt in der Bundesrepublik das so genannte Hartz-Papier (siehe auch nachfolgenden Beitrag, die Red.) dar, dessen Hauptziel im Aufbau eines Niedriglohnsektors und erhöhtem Arbeitszwang liegt. Überhaupt stehen soziale Fragen, von Kriminalität über Migration, von Sicherheit bis Sozialhilfereform, von öffentlicher Ordnung bis Überwachungstechnologie im Vordergrund politischer Debatten. Dazu gehört seit einigen Jahren in Deutschland, und damit später als in Frankreich, Großbritannien und den USA, Stadtteilpolitik und lokale Sozialpolitik. Auf diese Weise ist mittlerweile der Neoliberalismus mit Institutionen im Quartier angekommen. Für Jamie Peck und Adam Tickell zeigt das die enorme Anpassungsfähigkeit des neoliberalen Projekts, das "einerseits die Marktlogik auf immer mehr Felder ausweitet und institutionell absichert, während gleichzeitig die Individuen in dieser Logik erzogen oder aber zurechtgewiesen und abgestraft werden, wenn sie nicht kooperieren."

Im Mai 2003 will in Stuttgart der Arbeitskreis Lokale Politikforschung gemeinsam mit dem Institut für Sozialforschung und Sozialplanung (IfSS) einen Theorie-Praxis-Diskurs zum Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" anregen, der unter anderem der Frage nachgehen soll, wie sich das Spannungsfeld zwischen Politik, Verwaltung und Bürger durch das Bund-Länder-Programm verändert und welche Rolle dabei das Quartiersmanagement vor Ort spielt. Das könnte spannend werden, denn vielleicht treffen so diejenigen Gelehrten und Professoren, die der Zerschlagung des wohlfahrtsstaatlichen Modells das Wort geredet haben, auf diejenigen, die eben jenes zu verteidigen suchten. Mehr noch, es könnten die wissenschaftlichen ‚Architekten` des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" und des Berliner Quartiersmanagements mit denen zusammen treffen, die es seit geraumer Zeit ‚nur` beobachten und jetzt theoretisch einordnen (lassen) möchten. Zum Teil - und das zielt auf die Verantwortung von Wissenschaft - käme dann ein und dieselbe Person.

Quartiersmanagementgebiete

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