Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 294/ 2002

Was machen wir - im Quartier?

Ungewisses Lokalmanagement im Bund-Länder-Programm

Elvira Vernes

Unter dem ambitionierten Titel "Quartierskonzepte im Vergleich" führte das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) Ende September eine Tagung zu Neighborhood Housing Projects (NEHOM) durch, die im Rahmen eines EU-finanzierten Forschungsprojekts in acht europäischen Ländern veranstaltet wurde.

Neben der Bundesrepublik Deutschland sind Ungarn, Estland, Schweden, Norwegen, Frankreich, Italien und Großbritannien mit verschiedenen "problembelasteten" Metropolen beteiligt. Ziel des Projekts ist es, voneinander bei der Bekämpfung von Armutsphänomenen zu lernen, denn, so die Veranstalter, "15 bis 20 % der Bevölkerung in europäischen Metropolen sind von sozialer Ausgrenzung betroffen und so arm, dass sie am normalen öffentlichen Leben nicht teilnehmen können."

Für die unzweifelhaft bestehenden Armutsphänomene auch in der Bundesrepublik ist das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" aufgelegt worden, in Berlin das "Quartiersmanagement" (vgl. MieterEcho Nr. 291), wobei jedoch in beiden Fällen von Armutsbeseitigung keine Rede ist: Vielmehr geht es um die "Stabilisierung" der Quartiere. Gleichwohl sind Berliner Projekte neben Stadtquartieren in Hessen und Nordrhein-Westfalen Teil der EU-finanzierten Untersuchungen. Wesentliche Grundlage für gegenseitige Lernprozesse des mit mehreren Millionen Euro im Jahr finanzierten Quartiersmanagements ist dabei eine genaue Evaluation der Projekte, also die Frage danach, was genau mit welchen Mitteln erreicht wurde - und was eigentlich erreicht werden soll. Die Tagung, das ist ihr zu danken, legte den Finger unerschrocken in diese offene und mittlerweile schwärende Wunde. Denn seit zehn Jahren gibt es in der Bundesrepublik spezielle Förderprogramme: in NRW "Quartiere mit Erneuerungsbedarf" genannt, in Hamburg wurde 1994 ein so genanntes "Armutsbekämpfungsprogramm" aufgelegt, und auch in Berlin läuft das "Quartiersmanagement" bereits seit vier Jahren.

Wissenswertes zur "Sozialen Stadt" ...

Um so erschütternder musste auf alle Beteiligten der Tagung, vorrangig QuartiersmanagerInnen und wissenschaftlich mit Stadtentwicklung und -planung Befasste, wirken, was der Dortmunder Ralf Zimmer-Heegmann vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) zu berichten wusste. Zwar gäbe es in NRW bereits seit 1993 das "Integrierte Handlungsprogramm für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf", das derzeit 65 Stadtteile betreut. Auch habe man im Jahre 2000 eine so genannte Vorevaluation erstellt, die nun durch Expertengespräche und Befragungen kommunaler Mitarbeiter so aufbereitet werden soll, dass in 2003 eine erste echte Evaluation möglich wird. Aber mit anderen Worten, seit knapp zehn Jahren ist keinem politisch Verantwortlichen wirklich bekannt, welchen Ertrag - das im Vergleich zu Berlin gut ausfinanzierte Programm - bisher gebracht hat.

Zimmer-Heegmann macht dafür vor allem jene zentralen Probleme verantwortlich, die bei allen Evaluationen anfallen. Zuförderst seien das methodische Probleme, denn die hohe Komplexität des Untersuchungsgegenstands - dazu gehören die hohe Zahl und große Heterogenität der beteiligten Quartiere, die Vielfalt der Projekte mit ihren unterschiedlichen Handlungsfeldern sowie höchst unterschiedliche Organisations- und Kooperationsstrukturen - macht eine Systematisierung schwierig. Mindestens genauso bedeutsam sind jedoch zwei andere Aspekte: So beklagen immer wieder Quartiersmanager, aber auch (lokale) Verwaltungsmitarbeiter, dass eigentlich nicht klar sei, welches Ziel mit dem Bund-Länder-Programm oder dem Quartiersmanagement verfolgt würde. Diese unzureichende Zielformulierung führt mit häufig unzureichenden quantitativen Daten dazu, dass nicht einmal klar sei, was man untersuchen wolle.

Für das ILS sei daher zur Zeit nur klar, dass die Quartiersmanager nicht durch Datenabfragen überlastet werden dürfen und dass an zentraler Stelle stehe, mit Evaluationen Lernprozesse zu initiieren. Dabei sei nicht zu übersehen, dass die politisch Verantwortlichen in einem Umfeld von rigider Haushaltspolitik die Akteure dazu zwingen, einen Kompromiss zwischen wissenschaftlich Wünschenswertem und politisch-finanziell Machbaren zu finden.

... fehlt auch in Berlin

Das gilt auch für das mit mehreren Milliarden Euro verschuldete Berlin. Heidrun Nagel, in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in der Abteilung Stadtentwicklungsplanung tätig, kam die Aufgabe zu, den Wissenstand zum Quartiersmanagement in Berlin aufzubereiten. Eine Evaluation des Berliner Quartiersmanagements, so Nagel, gibt es in Berlin noch nicht.

Man habe 1998 mit einer Empfehlung zur Installierung des Quartiersmanagements begonnen, 1999 dann einen politischen Beschluss zur Installierung gefasst, der auch festlegte, dass nicht die Verwaltung selbst, sondern intermediäre Träger für die Quartiersarbeit einzuschalten seien. Erst im Jahr 2000 habe man dann auf der Basis des so genannten Häußermann-Gutachtens die Identifizierung der Problemquartiere abschließen und mit der Einrichtung der Quartiersmanagementgebiete beginnen können. Seit 2002 befinden sich insgesamt 17 Berliner Quartiere im Programm. Zwar habe es zwei Zwischenberichte gegeben, auch seien in den Quartieren selbst verschiedene Papiere zu Potentialen und Problemen erstellt worden, aber eine Evaluation, nein, Fehlanzeige.

Im Oktober 2000 wurde daher durch den Senat eine Evaluierung beauftragt, für die - man möchte sagen: ausgerechnet - die empirica GmbH verantwortlich zeichnen soll (vgl. zu empirica unsere Dokumentation zu deren Arbeit am Weltbericht zu den Städten "Und die Welt wird zur Scheibe... URBAN 21"). Wenige Tage vor der Konferenz, so Heidrun Nagel in ihrem Referat, hat nun empirica einen ersten Vorschlag zur Evaluation vorgelegt. Sie könne heute erstmals öffentlich Ausschnitte daraus zeigen, "aber das ist noch mit keiner Senatsverwaltung abgestimmt und in diesem Sinne auch nicht öffentlich", so Nagel. Derzeit laufe ein intensiver Diskussions- und Austauschprozess - hinter verschlossenen Türen. Derzeit sei daher nur klar, dass eine Zielanalyse mit Prozess- und Ergebnisanalysen zur weiteren Feinsteuerung verbunden werden muss, wobei man zwischen generellen und Zwischenzielen zu unterscheiden habe. Zu den Letzteren gehöre, derzeit jedenfalls, unter anderem eine verbesserte Sprachbildung, aufgewerteter öffentlicher Raum, ausreichend Spielplätze, erfolgreiche Qualifizierung, weniger Kriminalität, weniger Schulschwänzer und bessere Schulabschlüsse.

Institut empirica wieder im Boot

Da im Vorfeld der Beauftragung von empirica von allen Beteiligten kritisiert worden war, es gebe keine klaren Zielbestimmungen, habe man jetzt neun so genannte strategische Ziele benannt, darunter: "Mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt, mehr Partizipation der Bewohner, mehr Fort- und Weiterbildung." Unklar sei allerdings, wie man zu dem jeweiligen strategischen Ziel entsprechende Messindikatoren entwickeln könne, die eine erfolgreiche Zielerreichung messbar machen. Bisher habe empirica einen "Relevanzkatalog der strategischen Ziele" für die Gesamtstadt erarbeitet, der dann auf die einzelnen Quartiere bezogen werden muss. Danach ist die Relevanz der strategischen Ziele je nach Quartier unterschiedlich. Derzeit fehle eine inhaltliche Schwerpunktsetzung in den Quartieren, gleichzeitig sei Berlin aber auch die Stadt, die im Bundesvergleich eine sehr breite Zielebene habe, so Nagel. Allerdings, ob das nun gut oder schlecht sei, darüber müsse noch gesprochen werden. Insgesamt rechne Nagel damit, dass der verwaltungsinterne Abstimmungsprozess und dessen politische Untermauerung gegen Ende des Jahres abgeschlossen sei. Zu diesem Zeitpunkt könnte dann auch durch die Veröffentlichung und öffentliche Diskussion mit ersten Ergebnissen gerechnet werden, was Quartiersmanagement zukünftig sein solle.

Das scheint sich mittlerweile unter den Mitarbeitern des Quartiersmanagements als Wunsch herauszukristallisieren, denn die Quartiersmanagerin Ingrid Sander betonte in ihrem Statement, dass es aus "meiner Sicht notwendig ist, dass zum Beispiel so ein Begriff wie ‚Integration` von den politisch Verantwortlichen definiert wird. Das ist die Aufgabe der Auftraggeber, uns zu sagen, was das sein soll." Sollte sich so eine Haltung durchsetzen, würden Quartiersmanager zukünftig - trotz ihres angeblich spezifischeren Wissens der Bedingungen vor Ort und größerer Nähe zu den Quartiersbewohnern - auf eine politische (Mit-)Gestaltung der Arbeit verzichten.

Man darf gespannt sein, zu welchem Ende hin diese Diskussion geführt werden wird, denn auch Thomas Franke, beim Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) zuständig für die Programmbegleitung des Bund-Länder-Programms, betonte, dass zwar die strategischen Ziele bundesweit weitgehend einheitlich seien, aber vor Ort eine Definition der unterschiedlichen Begriffe und ihrer Inhalte fast vollständig fehle. So könne unter Quartier, unter Management, unter integrierter Handlungsansatz, selbst unter Aktivierung und Beteiligung jede und jeder verstehen, was sie oder er wolle.

Noch vor wenigen Jahren galt - in Replik auf Kritik, man wisse nicht, was denn Quartiersmanagement sein und was es erreichen solle - genau diese Unbestimmtheit als Vorteil; sie gereicht jetzt zum Problem. In Berlin bahnt sich - unter Regie von empirica möglicherweise die zweite Runde des Managements der Quartiere an. Man darf gespannt sein, ob mit dem angekündigten Klartext dann auch Klarheit geschaffen wird.