Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr.293/2002

Stadtplanung oder Monopoly? - Der Rahmenvertrag Gleisdreieck kurz vor dem Abschluss

Matthias Bauer

Stell Dir vor: Ein neuer Park mitten in Berlin, 35 Hektar groß, mit einer seit 1945 gewachsenen wilden Vegetation und mit großzügigen Freiflächen für Picknick, Sport, Kultur und zum Spazierengehen. Nicht nur ein Stadtteilpark für Anwohner, sondern ein wirklich hauptstädtischer Park. Teil eines grünen Netzes, Teil einer Kette von Parks, die die Stadt in Nord-Süd-Richtung durchzieht. Nach Süden führt der Weg im Grünen entlang der Bahntrassen bis zum Stadtrand. Nach Norden ist das Gleisdreieck über Fußgängerbrücken mit dem Wäldchen am Tempodrom und mit dem "Prachtgleis", dem Park am Potsdamer Platz, verbunden. Von dort geht es weiter über das Lennédreieck, durch den Tiergarten, an Brandenburger Tor und Reichstag vorbei zum Humboldthafen, weiter entlang dem Spandauer Schifffahrtskanal. Das Regierungsviertel und der Potsdamer Platz werden so auf neue Weise mit der Stadt verbunden. Eine realisierbare Vision!

Zur Realisierung dieser Vision wurde 1998 nach jahrelanger Diskussion ein neuer Flächennutzungsplan für das Gleisdreieck beschlossen. Der neue Flächennutzungsplan für das Gleisdreieck enthielt drei neue Bauflächen mit rund elf Hektar Fläche, der Rest sollte Grün werden. Endlich schien eine Lösung gefunden für den seit 1994 schwelenden Konflikt zwischen der Bahn als Grundstücksbesitzerin und dem Land Berlin. 1994 hatten die beiden vereinbart, dass das Land von der Bahn 16 Hektar auf dem Gleisdreieck bekommen sollte, um hier die ökologischen Ausgleichsflächen für den Potsdamer Platz zu realisieren. Im Gegenzug sollten der Bahn auf weiteren Flächen im Bereich des Gleisdreiecks Baurechte zugestanden werden. Strittig blieb jedoch: wie viel Baufläche.

Heute, im Herbst 2002, sind die Verhandlungen zwischen dem Land Berlin und der Vivico, der Immobilienverwertungsgesellschaft der Bahn, abgeschlossen. Der ausgehandelte Rahmenvertrag Gleisdreieck sieht nun statt drei fünf Bauflächen vor mit rund 21 Hektar. Also fast doppelt soviel wie 1998. Von den 21 Hektar liegen 17 Hektar im Bereich der Vivico, drei Hektar im Bereich des Postbahnhofs. Auf 1,3 Hektar wurde schon gebaut: das Parkhaus der Firma Debis für 1500 Autos.

Eine der beiden zusätzlichen Bauflächen liegt am westlichen Rand des Bahngeländes entlang der Flottwell- und der Dennewitzstraße. Der gültige Flächennutzungsplan sieht hier Grün vor. An dieser Stelle sollte ursprünglich der ökologische Ausgleich zum Potsdamer Platz realisiert werden. Nun wird hier an die bauliche Fortsetzung der Potsdamer-Platz-Bebauung gedacht. Entlang der Flottwellstraße sollen bis zu 80 m hohe Gebäude ein "Pendant" zum Potsdamer Platz bilden. Dabei war in den Umweltgutachten zum Potsdamer Platz der Erhalt der über das Bahngelände verlaufenden Frischluftschneise gefordert worden: "keine weiteren geometrischen Hindernisse in die Belüftungsbahn stellen" und "eine qualitätvolle Parkanlage schaffen", hieß es dort wörtlich. Nun werden zwar die geforderten 16 Hektar Ausgleichsflächen nachgewiesen - überwiegend auf für Bauzwecke nicht interessanten oder nicht geeigneten Flächen. Die qualitativen Anforderungen an den ökologischen Ausgleich - insbesondere die stadtklimatische Funktion des Gleisdreiecks - werden jedoch völlig ignoriert und die Vernetzung mit den anderen Parks wird in Frage gestellt.

Historische Ladestraße soll weichen
Die zweite zusätzliche Baufläche liegt im Bereich der Ladestraße auf dem Anhalter Güterbahnhof an der Möckernstraße. Der Flächennutzungsplan sieht hier bisher einen Kulturstandort und Grün vor. Konkret war geplant, die Ladestraße als Ausstellungsfläche für das Museum auszubauen. Westlich und östlich sollte die Ladestraße von Grünflächen flankiert werden. Laut Rahmenvertrag wird hier nun ein neues Baufeld mit Namen "Schwechtenpark" entstehen. Dabei soll die vom Architekten des Anhalterbahnhofs, Franz Schwechten, vor rund 120 Jahren entworfene Ladestraße abgerissen werden. Ein Armutszeugnis für die Planer im Bezirk und Senat, dass sie mit dem Besonderheiten des Ortes nicht klarkommen und keine Lösung zur Rettung der Ladestraße gefunden haben. Anstatt das historisch bedeutsame Ensemble in eine neue Planung zu integrieren, wird einfach zum Radiergummi gegriffen, dem später die Abrissbirne folgen soll.

Wenn die Parlamentarier im Bezirk und Land demnächst diesem Vertrag zustimmen, hätte die Vivico die erste Runde im Monopoly um das Gleisdreieck gewonnen und zwar ‚haushoch'.

In der zweiten Runde Monopoly wird es dann darum gehen, die gewonnenen Baurechte möglichst ‚haushoch' zu realisieren. Die Spielregeln für diese zweite Runde sind im Rahmenvertrag weitestgehend festgelegt: der 1999 aufgestellte - damals gestoppte Bebauungsplan - soll nun mit veränderten Inhalten weitergeführt werden. Nach der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange wird das Bebauungsplanverfahren in Teilbebauungspläne aufgeteilt werden. Erst zu diesem Zeitpunkt ist wieder Bürgerbeteiligung vorgesehen.
Bürgerbeteiligung mit wenig Auswirkungen
Die Beteiligung der Bürger an den Teilbebauungsplänen kann jedoch die grundsätzliche Aufteilung des Geländes in Bau- und in Freiflächen nicht mehr in Frage stellen. Auch die Größe der Baufelder und die Dichte sind schon im Vertrag festgelegt. Sollte an einzelnen Stellen die bauliche Dichte nicht erreicht werden, verpflichtet sich das Land Berlin, an anderer Stelle auf dem Gelände für Ausgleich zu sorgen - oder die Vivico finanziell zu entschädigen. Die Bürgerbeteiligung wird sich unter diesen Bedingungen nur noch auf die Ausgestaltung der Baufelder im Detail beziehen können, aber nicht mehr auf die Frage, ob überhaupt gebaut werden soll. Das Gesamtkonzept für die Aufteilung des knapp 60 Hektar großen Geländes in Bau- und in Freiflächen soll so ohne jede Bürgerbeteiligung durchgesetzt werden.

Die Übertragung der Flächen für den Park an das Land Berlin ist gekoppelt an den Fortgang der Bebauungsplanverfahren. Die Parkfläche Ost mit 9,5 Hektar auf dem Anhalter Güterbahnhof soll an das Land Berlin übergehen, wenn die erste Phase des Bebauungsplanverfahrens, also die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange am Gesamt-Bebauungsplan im Sinne des Vertrags abgeschlossen ist. "Wollt ihr die erste Fläche für den Park schon im Jahr 2003?" Mit diesem Hinweis wird grundsätzliche Kritik (z.B. an der Aushebelung der Bürgerbeteiligung) abgebügelt werden. Die Parkfläche West mit 6,5 Hektar - also der Restpark auf dem Potsdamer Güterbahnhof - wird erst an das Land Berlin übergehen, wenn der Abwägungsbeschluss zum Teilbebauungsplan Flottwell- und Dennewitzstraße vorliegt. Geplant ist dies für das Jahr 2007.
Insgesamt bekommt das Land Berlin durch den Rahmenvertrag 25,6 Hektar Freifläche. 16 Hektar davon sind Ausgleichsflächen für den Potsdamer Platz, 5,6 Hektar sind Ausgleichsflächen für die Baufelder der Vivico, davon werden allerdings vier Hektar unzugänglich in Gleisinseln liegen, sollten die projektierten S-Bahnlinien S 21 und die Regionalbahn nach Potsdam gebaut werden. Anstelle der Laubenkolonie auf dem Potsdamer Güterbahnhof sollen vier Hektar Sportfläche angelegt werden. Die Sportflächen werden durch einen Grundstückstausch finanziert. Berlin gibt dafür ein landeseigenes Grundstück im Yorckdreieck an die Vivico. Dazu kommt noch eine Option auf ein Hektar Freifläche, die das Land als Ausgleichfläche für Eingriffe auf Baustellen an anderer Stelle erwerben kann.

Einen Vorgeschmack auf die zweite Runde im Monopolyspiel bietet die Diskussion um den Bau des neuen Headquarters der Bahn AG, die im Bereich der Ladestraße auf dem Anhalter Güterbahnhof ein 120 m hohes Verwaltungsgebäude errichten will. Hier wird eine besondere Schwäche des ausgehandelten Rahmenvertrags sichtbar: Wenn in einem Baufeld die vereinbarte Dichte nicht erreicht wird, muss dies an anderer Stelle ausgeglichen werden. Nur für den umgekehrten Fall gibt es keine Absicherung. Für das Baufeld "Schwechtenpark" ist sogar ausdrücklich formuliert, dass eine Überschreitung des Maßes der Nutzung an dieser Stelle keinen Einfluss auf die anderen Baufelder haben darf. Die im Rahmenvertrag für dieses Baufeld vorgesehene Dichte (GFZ 1,5) würde durch diese Projekt jedoch vervielfacht werden.

Warum waren Land und Bezirk
bisher so chancenlos?
1999 hatte der Bezirk auf Basis des Flächennutzungsplans einen Bebauungsplan aufgestellt, um die elf Hektar Baufläche und die Flächen für den Park planungsrechtlich abzusichern. Die Vivico (bzw. ihre Vorgängergesellschaft, die Eisenbahnimmobilienmanagement) reagierte mit einem klaren "Nein". Solange das Gleisdreieck "planfestgestelltes Bahngelände" sei, habe der Bezirk kein Recht, das Gelände zu überplanen. Anstatt an seinen Planungszielen festzuhalten, stoppte der Bezirk das Bebauungsplanverfahren. In den anschließenden Verhandlungen setzte die Vivico dann fast alle ihre Ziele mit folgendem Druckmittel durch: Die Vivico wird beim Eisenbahnbundesamt erst dann den Antrag auf Aufhebung der Planfeststellung stellen, wenn Einvernehmen über die Bauflächen hergestellt ist. Solange jedoch die Planfeststellung gilt, gibt es keine kommunale Planungshoheit. Damit bemisst sich der Wert der Grundstücke nach der Frage, ob sie nach Baugesetz nach § 34 als Innenbereich oder nach §35 als Außenbereich anzusehen sind. §34-Flächen sind Bauflächen, die je nach Standort zwischen 500 und 2000 Euro/qm wert sind. Dagegen sind §35-Flächen als Freiflächen nur 40 Euro/qm wert. So sind die drei Hektar an der Flottwell- und der Dennewitzstraße als Grünfläche vier Mio. Euro wert, als Baufläche aber 40 bis 60 Mio. Euro.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet das Gutachten, das Prof. Schäfer, Planungsrechtler an der TU Berlin und Moderator des Stadtforums, im Auftrag der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck erstellt hat. Hauptinhalt: Wenn offensichtlich ist, dass die Flächen nicht mehr für Bahnbetrieb benötigt werden, kann auch der Bezirk beim Eisenbahnbundesamt den Antrag auf Aufhebung der Planfeststellung stellen. So erlangt er seine Planungshoheit, kann dann seine Planungsziele verfolgen, wobei natürlich auch die Interessen des Grundstücksbesitzers angemessen zu berücksichtigen sind. Dass dabei jedoch Flächen, die vorher in allen offiziellen Plänen als Grün definiert wurden, plötzlich zur Bauflächen werden, ist sehr unwahrscheinlich.
Das Gutachten wird inzwischen im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen geprüft, da das Thema bundesweite Bedeutung hat. Es ist zu hoffen, dass die Berliner Abgeordneten das Ergebnis dieser Prüfung abwarten, bevor sie über den Rahmenvertrag Gleisdreieck abstimmen. Letztlich geht es um die Frage, ob Städte und Gemeinden auf brachliegenden Bahngeländen überhaupt eigene Stadtplanung betreiben können oder ob tatsächlich nur Monopoly gespielt wird.

Weitere Information im Netz:
www.berlin-gleisdreieck.de
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Matthias Bauer, 46 Jahre, von Beruf Architekt, Vater von zwei Kindern. "Als Kind sah ich gelegentlich von oben, aus der U-Bahn auf das Gleisdreieck hinunter. Anfang der 80er Jahre entdeckte ich es zu Fuß. Als der geplante Park 1992 für die Baulogistik abgesagt wurde, fing ich an, mich in der Bürgerinitiative zu engagieren".

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