Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr.293/2002

Bürgerbeteiligung ist machbar, Herr und Frau Nachbar! - Einfach ist es jedoch nicht

Hermann Werle

Workstation e. V. Berlin und der Verein RAW-Tempel rufen alle BürgerInnen auf, sich einzumischen. Wie wird das Brachgelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) "Franz Stenzer" zukünftig genutzt werden? Auf die Planung für das Terrain nahe der Warschauer Brücke in Friedrichshain kann noch Einfluss genommen werden, so dass mehr als ein großflächiges Konsum- und Gewerbegebiet entstehen könnte.

Mit dem Aufkommen der Eisenbahn entstand 1867 das Reichsbahnausbesserungswerk an der Warschauer Brücke. Zum hundertjährigen Bestehen wurde es zu Ehren des bayrischen Eisenbahners und Reichstagsabgeordneten der Kommunistischen Partei 1967 in RAW-"Franz Stenzer" umbenannt. Stenzer war 1933 von den Nazis festgenommen, nach Dachau verschleppt und dort am 22. August 1933 "auf der Flucht erschossen" worden. Bis 1994 zählte das Werk noch über 1000 Beschäftigte, bevor im Rahmen der Deindustrialisierung der früheren DDR auch hier das Licht ausgeknipst wurde.

Aus der unmittelbaren Nachbarschaft des RAW entwickelte sich 1998 eine Initiative, die sich um die Nutzung der zehn Hektar großen Brachfläche bemühte. Verwalterin des Geländes ist die Vivico Management GmbH, eine Tochtergesellschaft der Bahn AG. 1999 schloss die Vivico mit der Initiative, die sich als RAW-Tempel e.V. konstituiert hatte, einen Zwischennutzungsvertrag. Während die Bahn an einer möglichst rentablen Verwertung interessiert ist, das heißt Bereitstellung von Büro- und Gewerbefläche, setzt sich der Verein für eine bürgerInnennahe Nutzung ein, die kulturelle sowie politische Angebote und ein Programm für Kinder beinhalten soll. "Die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger sollen im Mittelpunkt stehen und aus vorhandenen Bedürfnissen ein Engagement für eine lebenswertere Stadt ermöglicht werden", heißt es im Programm des RAW-Tempel e.V. Seit drei Jahren setzen sich rund 30 Gruppen durch ein buntes Angebot für die Umsetzung dieses Vorhabens ein.

Urbane Dichte mit Raum für Zwischennutzungen?

Der auf dem Gelände ansässige Workstation e.V. initiierte im Frühjahr 2001 einen Ideenaufruf, "um die Öffentlichkeit und besonders die Anwohner für die Entwicklung des RAW-Geländes in Friedrichshain zu interessieren." Bei neun Befragungen der Anwohner wurden etwa 1800 Anregungen für die Entwicklung des Areals gesammelt, die insbesondere Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Grün- und Freiflächen vorsahen. Diese Vorstellungen gingen ansatzweise in das städtebauliche Gutachterverfahren ein, bei dem es um die zukünftige Nutzung des Geländes an der Revaler Straße ging. Gewinner dieses Verfahrens wurde der Architekturprofessor Kees Christiaanse, dessen Entwurf eine prozesshafte Entwicklung der Nutzung vorsieht. Es gibt also keine Komplettverplanung, sondern ein Konzept, welches Zwischennutzungen und Kulturprojekten Raum geben soll. Der RAW-Tempel e.V. begrüßt diese Einbeziehung ihrer Bestrebungen. Es gibt jedoch auch vehemente Kritik. Der UBI Mieterladen merkt an, dass der Plan wohl als Bebauungsplan vom Bezirk übernommen wird und "das übliche Beteiligungsverfahren natürlich laufen wird", aber es wird nach bisherigen Erfahrungen kaum Einfluss auf die tatsächliche Bebauung haben. Des Weiteren soll die Bruttogeschossfläche doppelt so hoch wie bei den umliegenden Bauten liegen und damit wird es eine Verschattung der umliegenden Häuser geben. An der Warschauer Straße und an der Modersohnstraße sollen auf den lukrativsten Flächen Hochhäuser entstehen. Bei der Planung hat allerdings niemand das Grundwasserproblem in Betracht gezogen. Schon jetzt stehen alle Fundamente im Bezirk im Wasser und verrotten. In den letzten zehn Jahren stieg der Grundwasserpegel um zwei Meter und liegt jetzt bei ca. 2,50 Meter.

Die negativen Auswirkungen werden sich nicht nur auf die Häusersubstanz, deren Fundamente im Wasser stehen, erstrecken, sondern auch auf die BewohnerInnen des Stadtteils: Ein Steigen der Mieten durch die "Aufwertung des Gebietes" ist zu befürchten.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gibt sich indes bürgernah. Am "Tag des offenen Denkmals 2002" lobte die Senatsverwaltung den RAW-Tempel e.V.: "Erst 1999 wurde ein Teil des romantischen Geländes für die Öffentlichkeit zurückgewonnen. Der gemeinnützige RAW-Tempel e.V. entwickelt in derzeit drei der ältesten Gebäude ein lebendiges soziokulturelles Zentrum." An dieser Aussage wird sich der Senat zukünftig messen lassen, ob er es ernst meint mit den Interessen und der Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt.