MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Abrissbirne über Berlin

 

 

Christian Linde

Aus wohnungsmarktpolitischen Gründen werden in Berlin erstmals Häuser abgerissen

Während in mehreren ostdeutschen Bundesländern die Bagger den Schutt von abgerissenen Gebäuden bereits beiseite schaffen, um den Leerstand von rund 1 Mio. Wohnungen zu reduzieren, nehmen nun auch in Berlin Abrisspläne konkrete Formen an. Nachdem Peter Strieder (SPD) noch vor Jahresfrist lediglich leerstehende Kindertagesstätten und Schulen im Rahmen des Bundesprogrammes "Stadtumbau Ost" in die Planung einbezogen hatte, kündigte der Stadtentwicklungssenator nun auch den Abriss von Wohnungen an.

Unklar ist allerdings, wie viele Mietshäuser der Abrissbirne zum Opfer fallen sollen. Sollten es laut Aussage von Strieder zunächst nur 1000 sein, korrigierte der Senator seine Angaben auf rund 3000. Nach einer internen Studie seiner Verwaltung bewegt sich die Zahl bis zum Jahr 2010 bei nunmehr 7000. Immerhin stehen nach Angaben des Berliner Senates derzeit etwa 100.000 Wohnungen leer. Dies sind rund 5 % aller in der Region verfügbaren Wohnungen in der Hauptstadt. Unter den Bezirken sind es vor allem die östlichen, die mit Leerstand konfrontiert sind. Im Ostteil liegt die Leerstandsquote bei den sich im städtischen Besitz befindlichen Wohnungsbaugesellschaften bei 9 %, im Westteil hingegen bei 4 %. Allein die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn verzeichnet einen durchschnittlichen Leerstand von 13 %. Allerdings nicht, wie noch nach dem Mauerfall, in den Plattenbauten, denn heutzutage ist in erster Linie der Altbaubestand von dieser Entwicklung betroffen. Während von den sanierten Häusern 7 % als nicht mehr vermietbar gelten, liegt der Anteil bei den unsanierten Altbauten inzwischen bei 20 %. Zu den Hauptursachen des wachsenden Leerstandes gehören der Wegzug aufgrund fehlender Arbeitsplätze und der Wunsch nach den eigenen vier Wänden in Stadtrandgebieten, bilanzieren die Wohnungsbaugesellschaften. Um durch ausbleibende Mieteinnahmen nicht in den Konkurs zu schlittern, hat die Wohnungsbaugesellschaft in Marzahn nun die Notbremse gezogen und sämtliche Sanierungsmaßnahmen für die noch ausbleibenden 30.000 Wohnungen des Bezirks eingestellt. Da die Gesellschaft davon ausgeht, dass die Wohnungen selbst nach einer Sanierung auf dem Markt kaum Abnehmer finden werden, beabsichtigt das Unternehmen den ersten Gebäudeabriss mit einem Doppelhochhaus in der Marchwitzastraße 1-3. Mit diesem Vorstoß bringt die Gesellschaft auch in Berlin einen Stein ins Rollen, der einer Empfehlung folgt, die eine noch von dem ehemaligen Bundesbauminister Reinhard Klimmt (SPD) eingesetzte Expertenkommission zum Thema "Wohnungswirtschaftlicher Wandel in den neuen Bundesländern" abgegeben hat. Danach sei der dramatisch ansteigende Leerstand ohne die Beseitigung nicht mehr marktfähiger Wohnungen nicht zu bekämpfen. Dies fordert auch der Bundesverband der Wohnungswirtschaft (GdW). Die andauernde Stadtflucht werde nach Einschätzung der Organisation weiter zunehmen und verlangt deshalb einen raschen Abriss des dauerhaft leerstehenden Wohnungsbestandes.

Bestätigt wird der befürchtete Trend in Berlin durch die Zahlen des Statistischen Landesamts. So ist ein anhaltender Wegzug vor allem aus den Großsiedlungen in den Ostberliner Bezirken zu verzeichnen. Seit 1994 ist die Zahl der Bewohner allein in Marzahn von knapp 163.000 auf rund 140.000 zurückgegangen. Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich auch in Hohenschönhausen, Hellersdorf und Lichtenberg.

"Durch Neubau Leerstand
selbst erkauft"

Kritiker einer Abrisspolitik werfen den Wohnungsunternehmen eine Mitschuld an der entstandenen Situation vor. Danach haben neben dem hemmungslosen Neubau zu Anfang der neunziger Jahre und den nach wie vor ungeklärten Eigentumsverhältnissen im Altbaubestand vor allem der Umgang mit den Mietern und die zu hohen Mieten im Preis-Leistungsverhältnis nicht nur zu dem eklatanten Leerstand geführt, sondern sei mitverantwortlich für die Finanzsituation der Unternehmen - der Schuldenberg der Berliner Wohnungsbaugesellschaften beläuft sich auf derzeit 10 Mrd. Euro. Gleichzeitig verhindere die restriktive Belegungspolitik der Sozialämter den Zuzug von neuen Mietern. Allein die zu enge Grenzziehung bei der Wohnungsgröße bei maximal 50 qm für einen Ein-Personen-Haushalt verhindere Tausende von Mietabschlüssen. Doch während immer mehr Wohnraum leer steht, setzen einzelne Vermieter die Hürden für einen Vertragsabschluss sogar noch höher und betreiben die Ausgrenzung von potenziellen Mietern. "Gute Wohnqualität, heißt gute Qualität von Mietern. Wer billig saniert, um die Mieten niedrig zu halten, bekommt auch nur Mieter, die geringe Mieten bezahlen wollen oder können. Wir wollen Doppelverdiener und problemlose Mieter", sagt Karl Heinz Heinken, Mitglied der Investorengruppe ASA, die als Zwischeneigentümer im Zuge der Altschuldenregelung vor fünf Jahren rund 5000 Plattenbauwohnungen erworben hat und diese - neben Vermietung - vorzugsweise als Eigentum in den Leerstandsgebieten zu veräußern versucht. Offenbar mit nur mäßigem Erfolg.

"Durch Neubau haben sich die Wohnungsunternehmen den Leerstand selbst erkauft. Deshalb darf es nicht sein, dass erst öffentliche Gelder für den Neubau zur Verfügung gestellt wurden, um jetzt öffentliche Gelder für den Abriss auszugeben", kritisiert Barbara Oesterheld, wohnungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Denn im Programm "Stadtumbau Ost" ist verankert, dass sich der Bund mit 30 Euro/qm beim Rückbau von Wohnfläche - bei variablem Länderanteil - beteiligt und das Votum der vom Bundesbauminister eingesetzten Expertenkommission sah im vergangenen Jahr sogar vor, als Folge der desolaten Finanzlage der Eigentümer den Abriss von Wohnungen mit bis zu 140 DM/qm aus staatlichen Mitteln zu fördern. "Wenn jetzt Wohnraum in großem Umfang zerstört wird, müssen in absehbarer Zeit wieder neue Wohnungen gebaut werden. So ist in Zukunft mit einer vermehrten Zuwanderung aus Osteuropa zu rechnen", warnt Oesterheld.

Um eine Abrisswelle zu verhindern, verlangen Bündnis 90/Die Grünen ein stadtplanerisches Gesamtkonzept, niedrigere Mieten, die Umnutzung einzelner Gebäude für den Kinder- und Jugendbereich und gegebenenfalls die zeitweilige Schließung von Miethäusern. Dass die Wohnungsunternehmen aus wohnungsmarktpolitischen Gründen Panik machen und auf Abriss setzten, verwundere kaum, so Oesterheld. Denn die Vermieterseite befände sich durch den derzeitigen Wohnungsüberhang gegenüber den Mietern in einer ungünstigeren Lage, denn Mieterhöhungen seien schließlich schwerer durchsetzbar. n

 

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