MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Führt die Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt zum Abbau des Mieterschutzes?

 

 

Gerhard Eichmann

Der Schutz vor Mietwucher ist beendet
Seit Erscheinen des Berliner Mietspiegels 1996 gab es zuerst vereinzelt und in letzter Zeit gehäuft bei Richtern des Landgerichts die Auffassung, dass Mietpreisüberhöhung nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) nicht mehr stattfinden kann, auch wenn die vereinbarte Miete mehr als 20 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Zur Begründung muss das fehlende "Ausnutzen einer Wohnungsmangellage" durch den Vermieter herhalten. Nach Ansicht dieser Richter ist ein Mieter, der eine überhöhte Miete heute vereinbart, selbst schuld und nicht schutzwürdig. Er ist in keiner Weise gezwungen worden und hat seine "Marktmacht auf dem Mietermarkt " nicht hinreichend ausgenutzt. Als Konsequenz soll der Mieter die ausgehandelte Wuchermiete zahlen. Dass die gleichen Richter die Verbotsnorm des § 5 WiStG schon vorher nicht geliebt haben und durch Nichtanwendung des Mietspiegels oder anderer Mittel den Rückforderungsbetrag zu marginalisieren wussten, bleibt außen vor.


Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum beerdigt
Am 13.6.2002 hat das Berliner Oberverwaltungsgericht (OVG) durch ein Urteil die seit 30 Jahren ununterbrochen geltende Zweckentfremdungsverbotsverordnung rückwirkend zum 01.09.2000 beerdigt. Danach durfte Wohnraum ohne ausdrückliche Genehmigung weder leer stehen, noch in Gewerberaum umgewandelt oder gar abgerissen werden. Genüsslich hat das OVG zur Begründung auf die "Öffentlichkeitsarbeit" von Stadtentwicklungssenator Strieder verwiesen. Sein wiederholtes Gerede vom "Mietermarkt" und "dauerhaftem Leerstand von mehr als 100.000 Wohnungen", aber auch seine Taten: die Einstellung des sozialen Wohnungsbaus, der Verzicht auf die Fehlbelegungsabgabe, die Vergabe von Sozialwohnungen ohne WBS und die geplante Abrissförderung für noch brauchbaren Wohnraum belegten für das Gericht die abgeschlossene Entwicklung im Sinne einer dauerhaften Entspannung des Wohnungsmarkts. Das Gericht folgerte daraus, dass eine Landesregierung verfassungswidrig handelt, wenn sie das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum nicht aufhebt, weil die Voraussetzung dafür, die Wohnungsmangellage, nicht mehr besteht. Zitat aus der OVG-Begründung: "Die Weigerung von Wohnungssuchenden, ihren angestammten Wohnbezirk zu verlassen, vom Ostteil der Stadt in den Westteil oder umgekehrt zu wechseln, sowie die Ablehnung eines Umzugs in eine Plattenbausiedlung sind nicht Ausdruck einer Wohnungsnot, (...) sondern Ausdruck eines gesättigten Wohnungsmarktes". Wie viele Arztpraxen, Rechtsanwalts- und Architekturbüros etc. demnächst zur Mieterverdrängung aus gutbürgerlichen Stadtteilen, wie Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg oder Trendbezirken wie Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain beitragen werden, wird nicht zuletzt durch die Renditeerwartungen der Hauseigentümer in Berlin bestimmt werden. Dass die Gewerbemiete leicht das Doppelte der Wohnraummiete beträgt, ist kein Geheimnis! Bei Rechtskraft des Urteils und ohne Gesetzesänderung sind hier der Politik dann die Hände gebunden.


Kündigungssperrfrist von zehn Jahren bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen abgeschafft?
Eine der Wohltaten der Mietrechtsreform besteht für Berlin darin, dass der Senat als Verordnungsgeber gefordert ist, bis spätestens zum 31.08.2004 darüber zu entscheiden, ob die gesetzliche Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfskündigungen durch den Erwerber umgewandelter Mietwohnungen von drei Jahren ausreicht oder ob in Abhängigkeit zur Wohnungsmarktsituation die Sperrfrist auf bis zu zehn Jahre durch Rechtsverordnung verlängert wird. Eine Wohltat deswegen, weil die zehnjährige Kündigungssperrfrist in Berlin schon vor der Mietrechtsreform galt und ohne sie noch über den 31.08.2004 hinaus unbefristet gelten würde. Das Bedrohungspotenzial für diese Eigenbedarfskündigungen ist erheblich: Laut Umwandlungsbericht des Berliner Senats sind bis Ende 2000 für ca. 314.000 Mietwohnungen Abgeschlossenheitsbescheinigungen erteilt und bei ca. 185.000 Wohnungen ist die Umwandlung bereits im Grundbuch vollzogen worden. Im Westteil der Stadt ist in fast allen Bezirken jede dritte bis fünfte Wohnung zur Umwandlung vorbereitet. Im Ostteil sind Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain etwa gleichstark betroffen - im Durchschnitt des gesamten Ostteils mehr als jede zehnte Wohnung. Ohne die Verordnung einer zehnjährigen Sperrfrist für die Erwerber umgewandelter Mietwohnungen wird die Umwandlungsspekulation in noch nie da gewesener Weise angeheizt. Der Mieterverdrängung aus der Innenstadt wird Tür und Tor geöffnet.
Hier ist der Senat gefordert, politisch gegenzusteuern, zumal die rechtliche Voraussetzung (Ermächtigungsnorm) für den Erlass einer zehnjährigen Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfskündigungen nicht identisch ist mit der für die Zweckentfremdungsverbotsverordnung. Die Ermächtigungsnorm lässt eine zehnjährige Kündigungssperrfrist unter der Maßgabe zu, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde gefährdet ist. In Berlin werden preisgünstige Wohnungen von Haushalten mit durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Einkommen - wobei es sich häufig um Familien mit Kindern handelt - benötigt. Aber für diese Mietinteressenten nützt der Leerstand teurer Innenstadtwohnungen oder unsanierter Wohnungen am Stadtrand wenig. Der Berliner Senat ist aufgefordert, in dieser Frage politischen Willen und Mut und etwas mehr Distanz zu den Eigentumsideologen in der Wohnungspolitik zu zeigen.

 

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