MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Geplanter Konkurs? - Selbstverwaltete Hausgemeinschaft im Streit mit den Architekten

 

 

HausbewohnerInnen protokollieren chronologisch die Ereignisse in der Schliemannstraße 40

1990

Am 28. April 1990 werden die Gebäude auf dem Grundstück Schliemannstraße 40 und 39 besetzt und im Verlauf des Sommers erste Ziele formuliert. Geplant ist Selbstverwaltung. Wohn- und Lebensraum soll nach eigener Vorstellung verwirklicht werden. Es wird das repariert was zu reparieren geht. Nach den Räumungen der Häuser der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain herrscht Ernüchterung. Es wird ernst. Zu den Angriffen von Rechts gesellen sich nun die der bürgerlichen Moral.

1991 - 1994

Anfang 1991 bekommen die Bewohner Mietverträge von der WIP. Das bedeutet Ende der Illegalität. Als typisches Restitutionshaus erleben wir eine turbulente Geschichte von unklaren Besitzverhältnissen und Eigentümerwechseln. Wir wollen einen Pachtvertrag, der uns ermöglicht das Haus im Rahmen der bau- und wohnungspolitischen Selbsthilfe instandzusetzen. Dieser Wunsch trifft bei den Eigentümern auf taube Ohren. Das Haus verfällt derweil weiter. Mancher Bewohner gibt auf und zieht aus, andere rücken nach.

1994 tauchen die Architekten Drepper und Wasmuth auf: Man ist gleich per Du und aus dieser lockeren Runde heraus, unterbreiten die beiden den Bewohnern einen Vorschlag: "Wir kaufen die Gebäude, Ihr dürft hier wohnen, selbst gestalten und modernisieren und unser Büro West bekommt den Architektenvertrag."

Es schien eine glückliche Fügung: Auf der einen Seite Bewohner, die gemeinsam ihre Gebäude ausbauen wollten, und auf der anderen Seite zwei Architekten, die ohne eigenes Kapital nur über das Konstrukt mit einem Hausverein und hohen staatlichen

Fördermitteln den Hauskauf und die Sanierung finanzieren konnten.

1994 - 1997

Die Verhandlungen um den Fördervertrag gestalten sich schwierig. Die Personalunion von Eigentümer und Architekt wird von einer Servicegesellschaft zum Grund der Ablehnung. Doch mit der STERN übernimmt eine andere die Federführung. Im November 1997 kann der Fördervertrag über ein Bauvolumen von 5,3 Mio. DM bei 15% Eigenleistung abgeschlossen werden.

1998

Der Bau beginnt. Voller Euphorie legen wir los. Mit Einkaufswagen statt Schubkarren überbrücken wir die baugeldlose Zeit. Das Einleben in den Bau ist für die Bewohner kompliziert. Familie, Beruf und Ausbildung wollen mit den Anforderungen eines Bauvorhabens eingetacktet werden. Der Rhythmus der Abnahmen, mit ihrem Erfüllungsdruck, bestimmt mehr und mehr unser Leben.

Nach einem halben Jahr Bauzeit fehlen in der undurchsichtigen Finanzkalkulation des Büro West mal 800.000 DM, später 300.000 DM. Architekt Drepper dazu: Dass das"am Bau so üblich sei und sich das Projekt am Ende rechnen werde". Eine Aussage der Architekten wird zum Standart: "Das drücken wir weg".

Der Verein sucht eine Klärung der Finanzsituation. Sitzungen werden eingefordert, die aber die Problematik eher verwischen. Immer klarer wird, dass "wegdrücken" ein erhöhtes Arbeitsvolumen der ohnehin stark belasteten Selbsthilfegruppe bedeutet.

Wir suchen Hilfe bei unserem Betreuer der STERN. Doch auch in dieser Runde ist mittels der von unseren Architekten und Eigentümern vorgelegten Zahlen keine Klärung zu erreichen.

Inzwischen sind Firmen beauftragt. Alle Bewohner sind in das Vorderhaus umgezogen, um Baufreiheit im Seitenflügel und Hinterhaus zu schaffen. Während weitergebaut wird, suchen wir den Erfahrungsaustausch mit anderen Projekten und dem AKS. Langsam wird bewusst, wie viel in diesem Projekt schiefläuft. Der Architekt kommt seinen Aufgaben aus dem Architektenvertrag nicht nach. Die Koordinierung der Selbsthelfer und der Firmen erfolgt de facto durch den Verein. Zusätzlich kämpfen wir mit technischen Planungsfehlern, wie z.B. vergessenen Balkonaufhängungen. Von den durch diese Fehler verursachten Mehrkosten, wird in den Zahlenwerken Dreppers nie die Rede sein. Wir werden nicht über Einsparungsmöglichkeiten und Baualternativen informiert. Es erfolgt keine regelmäßige Fortschreibung der Bauplanung. Der Katalog der Bauleistungen, Grundlage des Fördervertrages, wird nicht eingehalten. Als Bauherr erhalten wir keine Beratung von Seiten des Architekten. Unser Platz im Räderwerk ist der der Unterschrifts- und Bausklaven. Planungen für die Wohnungen und Gemeinschaftsräumen werden durch die Architekten allein entwickelt. Nur widerstrebend führen unsere Vorstellungen zu Umplanungen. Das Schlagwort der Architekten ist "Wiedervermietbarkeit". Das leuchtet uns nicht ein, denn keiner von uns wollte in den nächsten Jahren ausziehen. Wer ist hier der Bauherr?

Immer deutlicher werden die Interessensunterschiede: Wir wollen (Zusammen)Leben gestalten, die Architekten den Wert ihrer Immobilie erhöhen.

Parallel dazu werden die Lebensbedingungen für die Bewohner immer unerträglicher. Einige Probleme in der Bauablaufplanung führen dazu, dass wir im Vorderhaus ohne Dach und Heizungsmöglichkeit bei Minusgraden leben. Doch wir halten durch. Um so erstaunter sind wir, als wir erfahren, wie Architekt Drepper gegenüber der STERN äußert, dass der Verein aufgeben möchte und den Wechsel in die soziale Stadterneuerung wünscht. STERN gegenüber ist dieser Fehler rasch ausgeräumt. Wir schaffen die nächste Abnahme und ziehen in das beheizbare Hinterhaus. Diese Runde ging an uns, aber welches Spiel wird hier gespielt? Die Unsicherheit bei uns Selbsthelfern wächst.

Ende 1999 trifft uns der nächste Maurerhammer. Das Darlehen, Bestandteil des Fördervertrages, wird nicht ausgezahlt. Begründung seitens der IBB ist eine neue, geringere Bewertung der Immobilie. Ein Darlehen kann nur ausgereicht werden, wenn es neben dem Grundbuch privat abgesichert wird. Ein einjähriger Verhandlungs- und Sitzungsmarathon beginnt, der mit einem Darlehen aus Landesmitteln endet. Abgesichert wird dieses Darlehen, dass vollständig in die Sanierung des Hauses von Drepper und Wasmuth fließt, ausschließlich durch persönliche Schuldversprechen der Selbsthelfer. Wir wollen unsere bereits investierte Arbeit nicht verlieren und schlucken diesen faulen Kompromiss. Einige der Firmen werden durch die lange Verzögerung in der Ausreichung der Gelder fast in den Konkurs getrieben. Auf Druck des Senates legen die Architekten ein Sanierungskonzept vor, welches die "Auskömmlichkeit" der Fördermittel belegt. Zu Beginn des Jahres 2001 fließt Geld, die Firmentätigkeiten gehen weiter.

Im Sommer 2001 fordern die Eigentümer von uns Pachtzahlungen für noch nicht fertiggestellte Flächen, die sie als Architekten in der Bauplanung hinten an gestellt haben. Der Pachtvertrag könnte kippen, worauf die IBB die nächste Rate nicht auszahlt. Wieder stehen wir auf der Kippe. Wieder wird verhandelt. Der Senat schaltet sich ein. Es wird eine Einigung gefunden, die für beide Seiten schmerzlich ist. Die Eigentümer müssen Abstriche von ihren Forderungen machen, wir müssen einen Teil der Pacht für nicht nutzbare Flächen aufbringen. Möglich ist das nur durch private Spenden der Selbsthelfer. Da wir alle inzwischen seit 3 Jahren Job und Selbsthilfe koordinieren, sind unsere privaten Kassen nicht gut gefüllt. Die Zahlung soll über einen Zeitraum von 2 Jahren gestreckt werden.

Plötzlich tauchen 2 Rechnungen auf, die in dieser Form im Sanierungskonzept nicht vorhanden waren. Die Rechnungen sind verhandelbar wird uns durch die Architekten bedeutet. Wir verhandeln nicht mehr. Im Februar 2002 stellen wir den Insolvenzantrag. Die Eigentümer fordern uns auf, diesen Antrag zurückzunehmen und eine höhere Miete (teilweise über den Mietobergrenzen) zu akzeptieren. Ansonsten müssten sie verkaufen. Wir wollen keine höhere Miete. Statt dessen suchen wir Verbündete, um das Haus zu kaufen. Wir finden sie in der Selbstbau e.G. Die Lust auf Verkauf der Eigentümer lässt deutlich nach. Erst wollen sie gar nicht mehr, dann nur noch zu einem Preis, der 2 Mio. DM über ihrem Einkaufspreis liegt. 2 Mio. sollen wir für unsere Arbeit zahlen. Der Kauf ist so nicht finanzierbar. Wir bekommen regelmäßig Post von RA Dr. Hingerl aus München, der zur sofortigen Räumung des Hauses bzw. zum Akzeptieren neuer Mietverträge auffordert.

1998 haben unsere Eigentümer einen Vertrag mit dem Senat geschlossen, dass sie bei Untergang des Vereins in den Fördervertrag eintreten können. Da allerdings 3 Mio. Förderung und 1,5 Mio. Darlehen doch ein zu großes Geschenk an 2 Privatpersonen darstellen, - ihr Selbsthilfeanteil betrüge 25% - müssten sie ca. 0,5 Mio. DM Fördergelder an den Senat zurückzahlen. Die Finanzierung dafür ist in ihren Augen einfach: unsere 15% Selbsthilfe zuzüglich ihrem Anteil von 10%, den wir durch höhere Mieten aufbringen sollen. (siehe 1994 zwei Menschen ohne Geld kaufen ein Haus aufgrund der Bereitschaft der Bewohnerinnen zur unbezahlten Bauarbeit und des Senates zur hohen Förderung der Initiative der Bewohner).

War der Konkurs von Anfang an geplant? Sollte auf diese Weise von der öffentlichen Hand und blauäugigen Selbsthelfern finanziertes Privateigentum an einem Haus entstehen, dass nicht erst nach Ablauf des Pachtvertrages, sondern sofort Früchte abwirft? Von der Seriosität der Eigentümer Drepper und Wasmuth ist inzwischen keiner der Verfahrensbeteiligten mehr überzeugt.

 

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