MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Alte Helden - neue Kämpfe

 

 

Peter Nowak

Während sich die Protagonisten der ersten Ostberliner Mieterbewegung zum 10-jährigen Jubiläum trafen, wurden aktuelle Kämpfe nicht zur Kenntnis genommen. Jubiläumstreffen umweht nicht selten der Hauch von Peinlichkeit. Veteranen einer Bewegung oder eines Ereignisses erinnern noch einmal an alte Zeiten und stellen ihre Rolle besonders heraus.

Berühmt-berüchtigt sind die Dauerjubiläen der Alt-68er. Aber auch die Ostberliner Bewegung hat ihre Jubiläen. Über eines ihrer Treffen hieß es in der vom Bezirksamt Prenzlauer Berg finanzierten Kiezzeitung Vorort im Januar 2001: "Manche Passanten, die am Abend des 12. Dezember durch das Schaufenster in den Kiezladen Dunckerstraße 14 blinzelten, zogen mit dem wissenden Lächeln weiter, soeben eine Selbsterfahrungsgruppe erlebt zu haben. Ihr Eindruck ist nachvollziehbar, denn sie sahen ca. 30 Erwachsene im besten Alter auf Stühlen im Kreis platziert und zum Teil heftig aufeinander einredend". Die vom TAZ-Journalisten und Mieterexperten Uwe Rada moderierte Runde brachte Menschen in einem Raum zusammen, die 10 Jahre zuvor eine erstaunlich breite Bewegung gegen Mieterhöhungen und soziale Vertreibung in Berlin mitorganisiert hatten.

Widerstand im Osten

Es war gleich in mehrfacher Weise ein Paukenschlag, als im Sommer 1992 eine Demonstration mit ca. 20.000 Menschen vom Alexanderplatz zum Wittenbergplatz zog. Die Route hatte durchaus Symbolcharakter. Es war die erste soziale Bewegung Berlins, die vom Ostteil der Stadt ausgegangen ist. Während die Westberliner Linke im Niedergang war, engagierten sich unabhängig von ihnen so viele Menschen für soziale Belange. Das Kürzel, unter dem sie liefen, war einfach und einleuchtend. "WBA - Wir Bleiben Alle", die Losung stand bald auf zahlreichen Ost- und Westberliner Häuserwänden, wenn es darum ging, gegen Ausgrenzung und Vertreibung zu protestieren. Doch spätestens 1995 war es mit der Zugkraft der Losung vorbei. Nach mehreren vergeblichen Mobilisierungsversuchen geriet sie weitgehend in Vergessenheit. Es brauchte wohl auch dieses Jubiläumstreffens, um noch einmal an die ursprüngliche Bedeutung des Kürzels zu erinnern, die wahrscheinlich vielen Aktivisten aus dem Westen nicht bekannt war. WBA war in der DDR die Abkürzung für Wohnbezirksausschuss, ein Stück Rätedemokratie auf Wohnbezirksebene. Die Zusammensetzung war unterschiedlich. Oft dominierten Vertreter der Wohnungsverwaltung und Parteiangehörige. Dass auch aktive Bewohner dort mitarbeiten konnten, zeigte sich am Beispiel des WBA in der Oderberger Straße. Diese engagierten Bewohner verhinderten Ende der 80er Jahre den Abriss der um die Wende zum 19. Jahrhundert erbauten Häuser in unmittelbarer Nähe zur Mauer. Mit diesem Erfolg im Rücken kämpften sie auch nach der Wende weiter. Es war im Wesentlichen der gleiche Personenkreis, dem es gelungen war, die drei Buchstaben WBA zum Symbol gegen Ausgrenzung und Verdrängung zu machen.

Ein verlorener Kampf

Soweit wäre es eine Erfolgsgeschichte. Doch als sich im Dezember 2000 die Veteranen trafen, trafen sie sich doch als Verlierer. Das ist ihnen nicht vorzuwerfen. Schließlich ist der Prozess der Umstrukturierung keine Frage des guten oder bösen Hausbesitzers. Eine erfolgreiche politische Strategie dagegen muss noch erfunden werden. Zweierlei aber kann man den Veteranen vorwerfen. Ihre mangelnde Kritikfähigkeit in Bezug auf die Bewegung und die totale Ignoranz gegenüber Initiativen, die sich den gleichen Zielen auch 10 Jahre später noch verpflichtet fühlen.

Mangelnde Kritikfähigkeit

Wie wenig man doch an der eigenen politischen Praxis zweifelt, wird am Interview deutlich, das die Stadtzeitung Scheinschlag für die Februarausgabe 2002 mit Wolfram Kempe führte. Der heutige Geschäftsführer der PDS-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Prenzlauer Berg war auch beim WBA-Jubiläumstreffen dabei und wurde im vorher erwähnten Vorort-Artikel als "der einst Radikalste im Denken und Tun" vorgestellt. Im Interview werden von Kempe die solidarischen Strukturen in Prenzlauer Berg Anfang der 90er Jahre herausgestellt und mit gemeinsamen Erfahrungen in Alltag und Opposition der DDR erklärt. Spätestens seit Mitte der 90er Jahre hätte sich das verändert, so Kempe: "Die Bevölkerung des Prenzlauer Bergs hatte sich schon zu fünfzig Prozent ausgetauscht". Dieser sicher zutreffende Befund hätte natürlich die Frage aufgeworfen, ob die WBA-Strukturen auch die Neuzugänge hätte integrieren können. Denn es waren ja nicht nur Neureiche in luxussanierte Dachgeschosswohnungen des Prenzlauer Bergs gezogen. Auch viele Menschen mit wenig Geld zog es in den "alternativen" Prenzlauer Berg. Sie wurden nicht selten Ende der 90er Jahre durch zunehmende Luxussanierung wieder verdrängt. Bei Kempe heißt es aber, dass sich durch die Veränderung der Stadtteilstrukturen, ihrer Umstrukturierung, die Widerstandsmöglichkeiten minimieren. Besonders deutlich wird das in folgender Interviewpassage: "Der Gemüseladen Kollwitzstrasse Ecke Sredzki beispielsweise gehörte der Frau Steiner. Und bei Frau Steiner im Laden saßen wir bei der Besetzung der Kollwitzstraße 89 und schauten zu, was die Bullen machen. Doch Frau Steiners Laden gehört jetzt einem Vietnamesen." Im Kontext des Interviews wird deutlich, dass dieser Besitzerwechsel ein Ausdruck für das Umkippen des Prenzlauer Bergs weg von einem Stadtteil mit solidarischen Strukturen ist. Kempe führt nirgends weiter aus, warum dabei eine Rolle spielen sollte, dass die Ladenbesitzer statt eines deutschen einen asiatischen Namen tragen. Da würde sich doch eher die Frage stellen, warum die Aktivisten nicht ein genau so gutes Verhältnis zu den vietnamesischen Ladenbesitzern entwickelt haben, dass sie auch deren Namen kennen. Hier könnte tatsächlich der Verdacht aufkommen, dass "Wir Bleiben Alle" ein Pseudonym für "Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist" war. Wie sagt doch Kempe im Interview: "Man kann uns jedoch durchaus restaurative Tendenzen vorwerfen. Wir wollten erhalten, was wir hatten". Ein solcher Ansatz müsste im Jahr 2002 aus zweierlei Gründen kritisiert werden: einmal, weil er politisch nach rechts anschlussfähig ist und zweitens, weil er politisch in eine Niederlage führen musste. Denn ein Bewohnerwechsel im Stadtteil konnte nicht aufgehalten werden und war auch nicht wünschenswert. Doch man hätte neue Bündnisse mit all den Zuzüglern knüpfen müssen, die ebenfalls ein Interesse an bezahlbaren Mieten hatten und haben.

Da hätte sich die Frage angeschlossen, ob die Fokussierung auf die Ost-Tradition des WBA nicht irgendwann zu einem Hemmschuh für neue Bündnisse wurde. Eine Frage, die aber auch im Rahmen der Jubiläumsveranstaltungen kaum gestellt wurde. Bis auf eine Ausnahme: Die Sozialarbeiterin Sonja Kemnitz regte an, dass bei einem Bevölkerungsaustausch von ca. 50% das Kürzel WBA einen neuen Inhalt bekommen müsse. "Wir Bleiben Auch." Eine leicht zweideutige Formulierung. Könnte sie doch als letztes Aufbäumen der ursprünglichen Bevölkerung oder als Angebot an Alt- und Neubewohner verstanden werden, gemeinsam gegen soziale Vertreibung einzutreten.

Wir Bleiben Alle Hier

Die Aktivisten der Initiative "Wir Bleiben Alle Hier" (WBAH), die sich im Herbst 2000 in der Oderberger Straße erstmals zu Wort meldeten, konnten sich nicht an der Diskussion beteiligen. Sie waren zum Jubiläumstreffen gar nicht eingeladen und wurden von den Veteranen auch sonst völlig ignoriert. Am Nichtwissen kann es nicht gelegen haben. Schließlich hat doch der WBAH mit einem Hoffest in der Oderberger Straße am 30. September 2000 nicht nur die unmittelbare Umgebung auf sich aufmerksam gemacht. In mehreren Berliner Tageszeitungen wurde über diese Initiative berichtet. Außerdem war Bernd Holtfreter, einer der WBA-Aktivisten und Diskussionsteilnehmer auf der Jubiläums-Veranstaltung, selbst für einige Stunden auf dem Hoffest anwesend.

Die Ignoranz ist einfach zu erklären. Man sieht die Kämpfe als abgeschlossen. Auch hier kann man als Beleg noch einmal einen Ausschnitt aus dem Kempe-Interview anführen. Er redet über eine der erfolgreichen WBA-Aktionen, mit der verhindert wurde, dass das Haus in der Kollwitzstrasse 89 zum Hotel umgebaut wurde. Originalton Kempe im Jahr 2002: "Heute überlege ich, ob es nicht zur Lebendigkeit des Kiezes beigetragen hätte. Aber damals wollten wir das nicht".

So trägt es vielleicht auch zur "Lebendigkeit des Kiezes" bei, wenn die Firma Stenschke Häuser in der Oderberger Straße in Eigentumswohnungen umwandelt. Zahlreiche billige Altbauwohnungen wurden dafür vernichtet. Betroffen davon sind sowohl Rentner, die jahrelang in den Häusern lebten, aber auch Zugezogene aus Westdeutschland oder anderen Ländern. Sie alle haben nicht das Geld, um die teureren Mieten nach der Modernisierung zu bezahlten. Das war auch die Basis der Initiative WBAH. Die Namengebung sollte einerseits spielerisch an den WBA der frühen 90er Jahre anknüpfen und andererseits deren Ostfixierung aufbrechen.

Der Kern der WBAH-Aktivisten bestand aus drei von Luxusmodernisierung betroffenen Häusern in der Oderberger Straße. Neben Informationsveranstaltungen und dem schon erwähnten Hoffest wurde ein Mieterstammtisch in einem Café in der Oderberger Straße installiert. Nach anfänglichem Interesse war ab Mitte 2001 die Luft aus der Initiative raus. Die Gründe sind vielfältig. Einige Mieter beteiligten sich zunächst an den Treffen, einigten sich dann mit dem Hauseigentümer und waren anschließend nicht mehr an der Mitarbeit interessiert. Andere aber haben nicht ganz freiwillig auf ein Engagement verzichtet. Weil sie nur befristete Untermietverträge hatten, wollten oder konnten sie nichts riskieren. Gleichzeitig haben viele Mieter auch gesagt, dass sie nur kurze Zeit dort wohnen wollten und sie keine Energie für einen Kampf um bezahlbare Wohnungen investieren würden. Das ist natürlich das Gegenteil der "gewachsenen Kiezstrukturen", die die WBA-Aktivisten als Geheimnis ihres Erfolges betonten. Andererseits gab es auch außerhalb der direkt betroffenen Häuser positive Resonanz auf die Initiative. Doch für eine stadtteilübergreifende Arbeit war die Anzahl der WABH-Aktivisten zu gering. Ein Mitbegründer meint rückblickend ernüchtert "Wir hätten uns schon etwas mehr Unterstützung von den WBA-Kämpfern gewünscht. Doch für die ist die Auseinandersetzung erledigt und durch ihr Verhalten sorgen sie auch dafür, dass es so bleibt."

 

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