MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Ende der behutsamen Stadterneuerung?

 

Karin Baumert

Am 1. März 2002 fand unter dem Titel "Neue Strategien für die Stadterneuerung" eine Veranstaltung des Stadtforums von Unten in dem legendären BVV-Saal im Kreuzberger Rathaus statt, zur Zeit Rathaus Kreuzberg-Friedrichshain.

Um es kurz zu machen: Man kannte sich. War das einer der Gründe, warum die zu erwartende hitzige Debatte nicht aufkam? Aber vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, vielleicht war ich der einzige überlebende Bewohner eines Sanierungsgebiets, der mit einer gewissen Trotzhaltung an diesem Thema hängt. Nichts Kämpferisches, eher eine Diskussion mit langen Statements unter Eingeweihten, Profis und Berufsinteressierten. Irgendwie schien alles schon einmal gesagt. Natürlich wurden zwischen den Zeilen auch neue Nuancen diskutiert. Sie verflogen wie Schmetterlinge und nur die Gegenwart meines Banknachbarn versüßte mir das Warten auf Godot.
Ulli Lautenschläger von der Mieterberatung Prenzlauer Berg fasste alles zusammen, was man zu diesem Thema auf eine letzte Zigarette noch hätte sagen müssen. Katrin Lompscher, als neue Baustadträtin von Lichtenberg, zeigte, dass sie den Inhalt des Koalitionsvertrages deuten konnte. Volkmar Strauch wehrte den Versuch ihn parteipolitisch einzuordnen erfolgreich ab. Den Rest habe ich vergessen. Die Moderation von Werner Orlowsky gab mir das sympathische Gefühl von Kontinuität und Urgestein, das eigentliche Salz in der Suppe des Abends. Während des Wartens schweiften meine Gedanken ab, behutsam zu meinem Banknachbarn und behutsam zu Splittern der Stadterneuerung. Die damalige Stadträtin für Sport, Schule und Bildung stellte anlässlich des Berichts zur Entlassung des Sanierungsgebietes "Schöneberg-Nord" nach 15 Jahren Sanierung fest, dass die baulichen Ziele zwar erreicht wären, die soziale Infrastruktur und das Wohnumfeld aber nach wie vor defizitär und eine soziale Stabilisierung nicht gelungen sei. Dies zeige sich vor allem im Wegzug von Familien mit Kindern und in der hohen Konzentration der Arbeitslosigkeit. Ähnlich sehe es im Wedding aus. Resümierend schätzte der Stadtplanungsleiter ein, dass soziale Ziele in Sanierungsgebieten nicht durchsetzbar seien.
Dann kam der Quartiersmanager und richtete Bolzplätze ein.
Zur Geschichte der behutsamen Stadterneuerung und zur Segregation (arm wohnt schlechter als reich) sind Studien, Diplomarbeiten, Dissertation und Bücher geschrieben worden, die Bibliotheken füllen. Dennoch bleibe ich bei meiner Lieblingsthese: Segregation ist kein naturgesetzlicher Prozess! Die erste Voraussetzung für die Umsetzung sozialer Ziele ist, das Ziel selbst zu bestimmen. Man muss das Zusammenleben in sozial gemischten Strukturen mögen, es als politisches Ziel definieren und die Bewohner und ihre Interessen in den Mittelpunkt stellen. In den Zeiten leerer Stadtkassen bleibt die Miete das entscheidende planungsrechtliche Instrument. Wenn der Koalitionsvertrag von SPD und PDS das Papier wert sein soll, auf dem es geschrieben wurde, dann ist die Umsetzung von Mietobergrenzen oberstes Gebot und zwar ohne wenn und aber und sofort. Weitere planungsrechtliche Instrumente sind nicht in Sicht und das ist vielleicht auch gut so (betrachtet man die Finanzierung der Stadterneuerung im Verhältnis zu ihrer sozialen Effizienz ...). Um so nötiger sind planungsrechtliche Instrumente zur Steuerung sozialer Ziele. Jedoch: Die planungsrechtliche Durchsetzung der Mietobergrenzen wird vom Senat mit höchster Geheimhaltungsstufe behandelt: Man hört nichts davon. Die zweite Voraussetzung für die Umsetzung sozialer Ziele ist die Bürgerbeteiligung. Zu allen Zeiten ungeliebt, professionalisiert und durchfinanziert fristet sie ihr Dasein in den sogenannten Feuerwehrtöpfen der Quartiersmanager. Formen des zivilen Ungehorsams, der etwas komplizierte Begriff für die Inbesitznahme fremder Räume und Interessenvertretung unterhalb der Kriminalisierbarkeit, haben wir schon lange nicht mehr erlebt. Die Professionalisierung durch Berufsveteranen hat die Bürgerbeteiligung scheinbar überflüssig gemacht. Diese sitzen dann in diesen endlosen Veranstaltungen und hören einander reden. Wenigstens mein Banknachbar gab noch ein Lebenszeichen ab, vielleicht war der Abend ja noch nicht ganz vorbei.

Epilog
Nun rächt sich die Haltung der Väter, Bewohner als Betroffene zu behandeln. Auch dieser Konflikt wird seine Chance bekommen. Partizipationsprozesse unterliegen schon seit längerem dem Mittelschichtsyndrom. Wo sind die Ressourcen der Hilfe zur Selbsthilfe? Doch nicht nur in der öffentlichen Förderung von Stadterneuerungsprozessen. Ein Frühwarnsystem als Grundlage der Interventionspolitik unter Beteiligung der Bewohner könnte diese Ressourcen aktivieren. Indikator müsste die Armut als Resultat von Auf- und Abwertungsprozessen sein. Gebt den Betroffenen eine Chance - im Zusammenspiel von politischer Zielsetzung, Beteiligungsformen und zielgerichteter öffentlicher Finanzierung.

"Und die auf den Parkbänken übernachten, hören wir, sollen
Mit ganz unerlaubten Gedanken
Diese leeren Hochhäuser sehen vor dem Einschlafen.
Welch ein Bankrott! Wie ist da
Ein großer Ruhm verschollen! Welch eine Entdeckung:
Dass ihr System des Gemeinlebens denselben
Jämmerlichen Fehler aufwies wie das
Bescheidener Leute."
Schlusszeilen aus: Bertolt Brecht, Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York (1929)