MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

BUCHREZENSIONEN

 

URBAN 21 - Ein Nachtrag

Volker Eick

Der im vergangenen Sommer von der Redaktion des Berliner MieterEcho herausgegebene Reader zur "URBAN 21-Konferenz" in Berlin hat erneut Niederschlag - diesmal in der wissenschaftlichen Debatte - gefunden. John Friedmann, einer der Autoren unseres Readers, stellte Mitte März in Los Angeles auf der Jahreskonferenz der nordamerikanischen Geografen (American Association of Geographers, www.aag.org) sein neues Buch, The Prospect of Cities, vor. Den dortigen Text zu unserer Initiative und der parallel stattfindenden Konferenz "Local Heroes 21", an der wir uns nach längerer Diskussion nicht beteiligt haben, wollen wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten und drucken ihn an dieser Stelle zuerst in deutscher Übersetzung und nachfolgend im englischen Originaltext ab.
Außerdem möchten wir Ihnen auch den neuen Band von John Friedmann empfehlen.

"Im April 2000 erhielt ich zusammen mit 44 weiteren Stadtforschern aus Westeuropa und Nordamerika, die wegen ihrer politisch ‚fortschrittlichen' Haltung bekannt sind, eine E-mail. Absender des Schreibens war die in Berlin beheimatete Zeitschrift MieterEcho, die vom Verein MieterGemeinschaft herausgegeben wird. Im Anhang der E-mail fand sich die Zusammenfassung dessen, was die Weltkommission 21 unter der Leitung von Sir Peter Hall als Ergebnis ihrer Debatten auf der Berliner URBAN 21-Konferenz präsentieren wollte. Das Papier war von empirica, einem deutschen think tank mit einer gewissen Nähe zur SPD, vorbereitet worden. Die 45 Empfänger der E-mail waren eingeladen, einen kurzen Kommentar zu diesem Papier zu schreiben. Die MitarbeiterInnen des MieterEchos hofften, die anstehende Weltkonferenz nutzen zu können, um damit ‚eine internationale Debatte' anzustoßen, in der fortschrittlich orientierte Leute mit ihrer Meinung Position beziehen würden.
Das Dokument selbst war ohne Bezugnahme auf Nichtregierungsorganisationen vorbereitet worden. Allerdings hätte die Weltkonferenz URBAN 21 die stategische Möglichkeit beinhalten können, alternativen Stimmen auf diesem globalen Forum Gehör zu verschafffen. In Hinblick darauf entschieden sich AktivistInnen der deutschen und französischen städtischen Neuen Sozialen Bewegungen, eine ‚ergänzende' parallele Konferenz unter dem Titel ‚Städte für alle - Local Heroes 21 - Europäisches Treffen städtischer Basisinitiativen' zu veranstalten. Ziel der Konferenz sollte es sein, ein Forum zu bieten, auf dem über die Rolle der Zivilgesellschaft in Hinblick auf die Zukunft der Städte gesprochen werden kann. (...) Bedauerlicherweise aber ließ der Ökonomismus der Berliner Konferenz die Stimmen der Befürworter eines alternativen ‚Basis'-Ansatzes am Rand der Hauptveranstaltung verhallen. Während davon die Rede war, dass auf der Berliner Konferenz mehr als 3000 Personen anwesend gewesen sein sollen, fanden sich beim parallelen Treffen der Basisinitiativen gerade mal 200 ein. Dem MieterEcho wurde die Verteilung von Informationsmaterial (und des ziemlich beeindruckenden Readers) außerhalb des Konferenzhalle verboten. Und die Abschlussresolution der zivilgesellschaftlichen (!) AktivistInnen war eher ein Ausdruck von Schwäche denn von Stärke, die im Kern nicht viel mehr enthielt, als die Bitte darum, mehr Ressourcen in soziale Projekte fließen zu lassen."
Übersetzung: Volker Eick

"In April 2000, I received an e-mail message addressed to myself and forty-four other urban scholars in Western Europe and North America who were widely known for their politically ,progressive' views. The origin of this communication was a Berlin-based publication, MieterEcho (Renters' Echo), published by the NGO MieterGemeinschaft (Renters' Association). Attached to the e-mail was the executive summary and text of a draft paper that would eventually be presented at the Berlin conference as the outcome of the deliberations of the World Commission 21, headed by Sir Peter Hall. The draft had been prepared by empirica, a German think tank reputedly with close links to the Social Democratic Party. The forty-five recipients were invited to write a short comment on this draft. The staff at MieterEcho hoped to use the upcoming world conference ,to force an international' debate in which progressive and forward-looking people give their opinions.
The document itself had been prepared without consulting the NGO community, and URBAN 21 would be a strategic opportunity to make alternative voices heard in a global forum. In view of this, German and French urban social movements had decided to stage a ,supplementary' parallel conference in Berlin, ,Cities for All - Local heroes 21 - European Meeting of the Urban Grassroots Organizations'. Its aim was to provide a forum for the role of civil society in shaping urban futures. (…) Unfortunately, the economism of the Berlin conference left the advocates of an alternative, ,grassroots' approach to merely bark on the margins of the main event. Some say more than three thousand people attended the Berlin conference, while the parallel people's forum attracted mere two hundred. MieterEcho was prohibited from distributing its broadsheets (as well as a rather impressive Reader) outside the conference hall. And the final resolution of the activists from civil society (!) was a statement of weakness than strength, containing little more than a plea for channeling more resources to social projects." (S. XIIIf., XXI)
John Friedmann will auf der in Berlin stattfindenen Bundeskonferenz zum Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" sprechen; auf seinen kritischen Sachverstand wird man sich freuen dürfen.
Friedmann, John 2002: The Prospect of Cities, University of Minnesota, Minneapolis/London, 194 S., ca. 20 Euro. Der Reader zum Weltbericht (Für die Zukunft der Städte - URBAN 21) "Und die Welt wird zur Scheibe..." ist noch bei der Berliner MieterGemeinschaft erhältlich und kann gegen Zusendung der Portokosten (1,53 Euro) in Briefmarken bestellt oder gegen Schutzgebühr von 1,50 Euro direkt in der Geschäftsstelle erworben werden.

Sicherheit von A bis Z:
Weltprobleme im Wahrnehmungsraster der Sicherheitspolitik

Volker Eick

Einmal angenommen, Osama bin Laden sei tatsächlich für die Anschläge auf das World Trade Center in New York City und das Pentagon in Washington D.C. verantwortlich - und diese Lesart gilt nach wie vor als die offizielle -, dann war er seit langem kein Unbekannter und seine Gefährlichkeit unstrittig. Dass er gleichwohl noch bis kurz vor den Anschlägen enge Kontakte zu verschiedensten Geheimdiensten, unter anderen auch zum CIA unterhielt, wurde nach dem 11. September nach und nach durch Journalisten enthüllt. Davon überzeugen konnte sich aber auch schon, wer in den im letzten Sommer erschienenen Band "Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen" hineingeschaut hat. Das vom Verlag zu Recht als "erstes Grundlagenwerk" zu einem "erweiterten Sicherheitsbegriff" bezeichnete Werk handelt in insgesamt 42 Aufsätzen erweiterte Sicherheitspolitik als Stabilitätspolitik ab. Neben der Außen- und Verteidigungspolitik, stehen so auch wirtschafts- und finanzpolitische, innenpolitische, staats- und völkerrechtliche, entwicklungspolitische, soziale und selbst ökologische Fragestellungen auf der Agenda der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, einem 1992 gegründeten Think tank der Bundesregierung.
Nachdem die ersten drei Kapitel in die Problematik eines "erweiterten Sicherheitsbegriffes" einführen, wird das Feld für Forscher, Militärs und Politiker eröffnet. "Innenpolitische Herausforderungen für die Europäische Union und Deutschland" sowie "Konfliktregionen mit Auswirkungen auf die europäische Sicherheit", die von Südosteuropa über den Kaukasus bis nach Afrika und in den asiatisch-pazifischen Raum identifiziert werden, nehmen den breitesten Raum ein. Als zentrale innenpolitische Herausforderungen Deutschlands werden ökonomische und soziale Disparitäten, Organisierte Kriminalität, die demografische Entwicklung der Bevölkerung und Extremismus identifiziert.
Allein elf Aufsätze des vierten Kapitels widmen sich den "Überregionalen und globalen Herausforderungen", die von "Islam und Fundamentalismus" (Peter Heine) über den eher peinlichen Aufsatz zum "Phänomen Terrorismus - Entwicklung und neue Herausforderungen" (Kai Hirschmann) bis zu dem kenntnisreichen Beitrag von Ulrich Marcus und Bernhard Schwartländer zu "AIDS als globaler sicherheitspolitischer Herausforderung im 21. Jahrhundert" reichen. Insgesamt möchte man sich wünschen, es sei eine globale gesundheitspolitische Herausforderung für das 21. Jahrhundert, auch wenn es im Text heißt, in Hinblick auf "die sich ändernde Konzeption der Bundeswehr ist darauf zu achten, dass bei Auslandseinsätzen das HIV-Risiko für deutsche Soldaten in vielen Regionen der Welt deutlich größer ist als in Deutschland."

Das fünfte Kapitel legt einen Schwerpunkt auf den institutionellen Rahmen internationaler Kooperation und behandelt im "Regionaler Rahmen" geheißenen ersten Abschnitt die OSZE, die NATO sowie OECD, BIZ und G-7, nicht ohne mit dem Beitrag von Heinrich Vogel "Russland - Ein Sicherheitsrisiko?" dem Rumpfstaat der Sowjetunion einen Organisationsstatus zu geben. Der zweite Abschnitt - "Der globale Rahmen" - würdigt dann die UNO, IWF, Weltbank und WTO, um sodann mit der Rolle der USA, Chinas und der von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) abzuschließen; gerade der letzte Beitrag, unter Beteiligung des in Berlin am Wissenschaftszentrum Berlin forschenden Eckhardt Priller entstanden, weist auf die prekäre Rolle hin, in die NGOs geraten können, wenn sie sich staatlicherseits oder durch die Privatwirtschaft instrumentalisieren lassen.
Das sechste Kapitel schließlich widmet sich dem "Sicherheitsmanagement im 21. Jahrhundert" und ist die Domäne von (abgewickelten) Bundespolitikern, Militär- und Medienpraktikern wie Heidemarie Wiczorek-Zeul ("Friedensentwicklung und Krisenprävention"), Klaus Naumann ("Krisenreaktion") und Bodo Hombach, der die Folgen des Angriffskriegs auf Jugoslawien als "Krisennachsorge am Beispiel des Stabilitätspaktes" bezeichnet. Zwei ZDF-Mitarbeiter beleuchten die "Rolle der Medien in internationalen Konflikten". Man wird dem Band vorwerfen können, er dokumentiere im Wesentlichen, dass die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden sei - das aber ist ihm detailliert wie differenziert gelungen.
Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.) 2001: Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Mittler Verlag, Hamburg u.a., 929 S., 47 Euro.