MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Auf der Flucht vor Luxusmodernisierung - nicht nur ein Problem in der Choriner Straße 33!

 

MieterInnen der Choriner Straße

Bis vor einiger Zeit dachten wir noch, dass es auch für Menschen mit einem geringeren Einkommen möglich wäre, im Prenzlauer Berg kostengünstig zu wohnen. Wir fanden eine Wohnung in der Choriner Straße 33, einer Parallelstraße zur Kastanienallee, die sich in eine Flaniermeile des Sehens und Gesehenwerdens verwandelt. In der kurzen Zeit, in der wir in der Choriner Straße wohnen, konnten wir beobachten, wie viele Häuser zur Sanierung hinter einer Plastikplane verschwanden. Jedoch wussten wir lange nichts davon, dass hinter unserem Rücken die Verhandlungen für den Verkauf "unseres" Hauses schon auf Hochtouren liefen. Eines Morgens lag der Brief im Briefkasten und die Firma Belle Epoque stellte sich uns als neue Besitzerin vor. Der Brief beruhigte uns, dass wir vorerst keine Mieterhöhung zu erwarten hätten, da der Lasten-Nutzenwechsel noch nicht abgeschlossen sei. Aber: Das Haus solle "umfassend modernisiert" werden und der Geschäftsführer Torsten Nehls bekundete, dass er sich über ein persönliches Treffen mit uns in unserer Wohnung zwecks Bestandsaufnahme freuen würde. Als nicht sofort alle Mieter auf das Schreiben reagierten, kam ein zweiter Brief, in dem stand, wir hätten wohl geschwiegen, weil man uns zu freundlich angesprochen hätte und zu wenig Wert auf Formalismus gelegt habe. Man bat uns, uns "nunmehr kurzfristig" mit der Firma in Verbindung zu setzen, aber wir MieterInnen warteten auf eine Vollmacht vom eigentlichen Eigentümer, der noch im Grundbuch stand. Eine Vollmacht erhielten wir dann von einer uns unbekannten Vermögensverwaltung. In den nächsten Wochen standen sich verschiedene Interessen gegenüber: die der Firma Belle Epoque, die möglichst schnell unsere Wohnungen besichtigen wollten, um ein Protokoll auszufüllen, in dem vermerkt werden sollte, was in unserer Wohnung erhaltenswert sei und was nicht, in welchem Zustand sich die Wohnung befände oder ob sie verwahrlost sei und auf Kosten des Mieters gereinigt werden müsse. Unser Interesse war, auf dem rechtlichen Weg zu bleiben. Belle Epoque schrieb uns, dass in unserem Haus umfassende Maßnahmen geplant seien. Man habe vor, eine Zentralheizung sowie moderne Küchen und Bäder einzubauen und die Fassade zu erneuern. Des Weiteren fordere die Sanierungsverwaltungsstelle vom Eigentümer ein Holzschutzgutachten von unserer Wohnung. (Bei Erkundigungen bei der Sanierungsverwaltungsstelle stießen wir auf Verblüffung: Diese könne dies nicht fordern und habe es auch nicht gefordert.) Im gleichen Brief war von dem Unmut der Mieter die Rede. Und von Gerüchten, die im Hause umgingen. Man wolle dem entgegenzuwirken und bot uns an, ein Mieterbüro einzurichten. Die Mietersprechstunde solle von der Hausverwaltung Berlin Projekte-Kattusch geleitet werden und als Ort wurde uns vorgeschlagen, unsere Küche zur Verfügung zu stellen. Es könne "ein wöchentlich wiederkehrender Termin" vereinbart werden, gerne auch an Samstagen. Die Auslagen würden von der Hausverwaltung getragen. Die Gerüchte, die im Haus umgingen, lagen in einer Internetpage begründet, auf die einige Mieter bereits im Oktober gestoßen waren und auf der unsere Wohnungen als modernisierte Eigentumswohnungen verkauft werden sollten.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, sich dem Ort, an dem man lebt und an dem man sich sicher fühlt, mit verändertem Grundriss als Verkaufsangebot gegenüberzufinden.
Wir Mieter kamen auf der Internetpage nicht vor. Bilder vom modernisierten Haus Choriner Straße 33 zeigen eine Gaststätte, wo jetzt noch eine Wohnung ist. Die Kaufpreise der Wohnungen betragen zwischen 320.000 und 870.000 DM. Ebenfalls im Internet konnte man schon damals mitverfolgen, wie der Verkauf voranging. Wohnungen, die nicht mehr zu haben waren, wurden ausgeblendet. Es existiert auch eine Hochglanzbroschüre, in der das Bauvorhaben beschrieben und die angeblich schon fertigen Wohnungen angepriesen werden: In dieser gibt es einige Wohnungen nicht mehr, andere sind um ein Vielfaches vergrößert. Uns stehen regelmäßig Menschen im Hausflur gegenüber, die wir nicht kennen, die aber einen Schlüssel zu unserem Haus haben. In einem Brief bat uns die Hausverwaltung, uns doch dem Erwerber gegenüber kooperativ zu verhalten: "Wir alle wissen, dass dringend Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Hause erfolgen müssen. Hierzu sollten bei der Planung dem Erwerber, der diese Arbeiten durchzuführen bereit ist, keine Steine in den Weg gelegt werden." Auch die Mieterberatung Prenzlauer Berg ist der Meinung, dass wir nicht genügend Energie investieren, uns mit dem Eigentümer auseinander zu setzen und zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Doch wir fragen uns, wie diese Lösung aussehen soll, wenn der neue Eigentümer das Haus nur kauft, um die Wohnungen modernisiert als Eigentumswohnungen zu verkaufen und sich eher an seinem Profit als an unseren Vorstellungen orientiert. Die Auseinandersetzung spielt sich inzwischen auf zwei Ebenen ab: zum einen die formale mit Modernisierungsankündigung, die uns eine Frist von drei Monaten zur Überprüfung gewährt, und zum Zweiten die mit psychologischemTerror, den man nicht nachweisen kann. So wurde das ganze Haus Ende Januar mit einem Gerüst einschließlich einer Plane versehen, woraufhin man in den Wohnungen bei Tageslicht kaum mehr Zeitung lesen konnte ohne das elektrische Licht einzuschalten. Tatsächliche Bauarbeiten fanden bisher allerdings nicht statt. Und außerdem kam es kurze Zeit nach Ankunft der Modernisierungserklärung allerhand merkwürdige Vorfälle: Erst tauchten zwei Männer mit sehr kurzen Haaren und Bomberjacken im Hinterhaus auf und klingelten an den Türen. Sie wollten mal hören, wann die Mieter endlich ausziehen wollten, denn die Arbeiten müssten ja bald mal beginnen. Oder, dass im Haus mal andere Seiten aufgezogen werden müssten. Von dieser verbalen Attacke an der Wohnungstür fühlten sich einige MieterInnen bedroht.
Anfang März wurde das Hinterhaus nachts um halb elf von einem Buttersäureanschlag getroffen. Die Buttersäure wurde durch die Schlüssellöcher in die Wohnungen gespritzt und die Schlüssellöcher und Türspione mit blauem Bauschaum verklebt. Das Haus stank erbärmlich. Ein Mann, der sich als Mitarbeiter des Eigentümers ausgab und sich Schmitz nannte, erklärte einigen MieterInnen am folgenden Tag, dass es nicht geklärt wäre, ob die Mieter nicht etwa selber Buttersäure in ihre Wohnungen gespritzt hätten. Es ist vielleicht wert, erwähnt zu werden, dass die Mieter vorher nicht von "Buttersäure in den Wohnungen", sondern lediglich von "Buttersäure" gesprochen hatten. Welche Schlüsse man daraus ziehen mag, bleibt jedem selbst überlassen - gesehen wurde niemand. Auch die Hausverwaltung ist der Meinung, dass die MieterInnen den Anschlag selbst verübt hätten, um dem Eigentümer und dem Haus zu schaden, wobei Buttersäuregeruch sich nach etwa zwei Wochen auflöst und somit nur diejenigen schädigt, die in den Wohnungen leben. Spricht man mit Freunden, so kennt jeder viele, die aufgrund psychologischen Terrors ihre Häuser verlassen haben und aufgrund teurer Mieten nicht wieder zurückziehen konnten. Im Internet findet sich allerhand darüber, wie Mieter weichgeklopft wurden und Luxusmodernisierungen wichen. Wir wissen nicht, ob unser Vermieter hinter dem Buttersäureanschlag auf unser Haus steht. Dennoch sehen wir die Geschehen in unserem Haus natürlich vor dem Hintergrund der Ereignisse um uns herum. Menschen, die im Prenzlauer Berg wohnen, fürchten sich vor Spekulanten.
MieterInnen sind misstrauisch, weil bereits genug Menschen aus ihren Wohnungen durch Brände, Wasserschäden und Buttersäureanschläge vertrieben wurden. In der Oderberger Straße, gleich um die Ecke, gibt es drei Häuser, die nicht nur denselben Besitzer, sondern auch dasselbe Schicksal teilen. Man liest im Internet über Anschläge auf die Häuser. Es bildete sich eine Gemeinschaft mit dem Namen "Wir bleiben alle", um gegen die "Herausmodernisierung" zu kämpfen. Die Artikel im Internet sind ein Jahr alt. Heute ist eines der Häuser fertig modernisiert, ein anderes trägt eine Plane, hinter der niemand mehr wohnt und im dritten Haus in der Mitte herrscht bereits großer Leerstand. Unser Haus ist noch fast vollständig bewohnt. Wir verharren hinter einer Plane. Vorschläge irgendeiner Art vom Hausbesitzer gab es nicht, abgesehen von einem Nebensatz im letzten Brief, in dem er versichert, dass er zu Gesprächen mit uns immer bereit war und über gemeinsame Lösungen wie z.B. Umsetzwohnungen sprechen will. Warum, so fragen wir uns, diese Eile? Die uns gegebene Frist der Modernisierungsankündigung läuft erst nach drei Monaten aus. Viele Beispiele, ebenfalls in der Nähe, zeigen, dass eine normale Sanierung möglich ist. Die Plane wurde kurz vor Ostern geöffnet. Voraus ging ein Gespräch mit der Mieterberatung, in dem klar wurde, dass sich die Mieter vor dem Hintergrund der Plane kein normales Gespräch vorstellen können.
Es bleibt zu sagen, dass wir es nicht als ein Geschenk betrachten, nun wieder den Himmel sehen zu dürfen, sondern als eine Notwendigkeit. Die Plane ist offen, unser Problem bleibt. Denn die Plane ist nur ein Teil davon. Ein Teil, der zeigt, wie an den Interessen der Mieter vorbeigeplant wird. Wir möchten, dass das Wohnen im Kiez bezahlbar bleibt, auch für normale Menschen. Wir können nicht denken: "Nach uns die Sintflut". Jeder und jede muss sich dafür einsetzen, wenn wir nicht wollen, dass der Prenzlauer Berg zu einem Nobelviertel wird, das nur noch von gutbetuchten, kinderlosen, jung-dynamischen Leuten bewohnbar sein wird.