MieterEcho
Nr. 283 - Januar/Februar 2001

Genossenschaften - Vom wohnungspolitischen Stiefkind zu 'Everybody's Darling'

 

von Andrej Holm

Genossenschaften im Wohnbereich spielten bis vor kurzem eine untergeordnete Rolle im bundesdeutschen Wohnungswesen. Mit Ausnahme einiger, aus der DDR hinüber geretteter, Großgenossenschaften in den Neubausiedlungen des Ostens war diese gemeinschaftliche Eigentumsform eine marginale Erscheinung. Nur ganze 4% des Wohnungsbestandes im Westen gegenüber 18% im Osten waren 1992 in genossenschaftlichem Eigentum. Durch die Privatisierungen im Zuge des sogenannten Altschuldenhilfegesetzes hat sich dieser Anteil seither auf knapp 14% verringert. Vor allem Benachteiligungen in der Steuergesetzgebung, die geringen Subventionsmöglichkeiten und die komplizierten Anforderungen des Gesellschaftsrechts an Neugründungen von Genossenschaften macht sie gegenüber anderen Eigentumsformen unattraktiv. Als im ostdeutschen Altbaubereich nach 1990 der umfangreichste Vermögenstransfer und Eigentümerwechsel in der bundesdeutschen Geschichte stattfand, setzen sich professionelle, an kurzfristiger Verwertung orientierte und vor allem an die umfangreichen Abschreibungsmöglichkeiten angepasste, Eigentumsformen durch. Neben den Einzeleigentümern waren das meist als GbR oder GmbH organisierte Privateigentümer. Einer Untersuchung der Eigentümerstruktur in einem Ostberliner Altbaugebiet (Kollwitzplatz, Prenzlauer Berg) zufolge gab es 1998 - also nach der Klärung von offenen Vermögensfragen und der sich anschließenden Verkäufe - lediglich einen Anteil von 2% der Häuser in genossenschaftlichem Besitz. Dabei handelte es sich in der Regel um Bewohnerinitiativen, die mit dieser Rechtsform (und umfangreichen Fördergeldern) eine Möglichkeit sahen, alternative Wohnvorstellungen durchzusetzen oder zu legalisieren. Kurzum: Genossenschaften im Altbaubereich waren eine Nische für idealistische Enthusiasten und subventionspolitische Experimente (Programm Selbsthilfe), denen zumindest wohnungspolitisch lediglich eine Randbedeutung beigemessen werden konnte.

Neubewertung von Genossenschaften

Mitte der Neunziger Jahre änderte sich zumindest die öffentliche Darstellung von Genossenschaften. Infolge von Verkäufen der bisher öffentlichen Bestände (WIP, WBF und WBM) kam die Genossenschaft in den Ruf eines Hoffnungsträgers, eine drohende Spekulation mit jenen Wohnungen zu verhindern, oder doch zumindest ein kleineres Übel zu sein. Mieterproteste gegen die Privatisierung wurden mehrfach in Forderungen nach Vorkaufsrechten und "fairen Chancen" für eine Genossenschaftsgründung umgelenkt. (MieterEcho Nr. 278 berichtete). Gleichzeitig wird von einem wesentlichen Stadterneuerungsakteur wie der S.T.E.R.N. GmbH (Sanierungsbeauftragte für Prenzlauer Berg) in Zusammenarbeit mit der Selbstbau e.G. eine farbige Glanzpublikation über den Erfolg einer Genossenschaft veröffentlicht. In den Debatten um lokale und quartiersbezogene "Strategien gegen die Armut" - wie sie in Berlin seit 1998 mit den Schlagworten der "Sozialen Stadtentwicklung" und des "Quartiersmanagements" geführt werden - wurden die Genossenschaften sowohl von Stadtpolitikern verschiedenster Parteien als auch von wissenschaftlicher Seite als mögliche Keimzellen eines "stadtbürgerlichen Engagements" angesehen. Eine wahrhaft prominente Unterstützung.

Durch diese Umbewertung des Genossenschaftswesens gelang es im Fall der "Bremer Höhe" nicht nur den Verkauf an die sich gründende Genossenschaft durchzusetzen, sondern zugleich langfristige Förderzusagen aus den Modernisierungs- und Instandsetzungs-Programmen des Berliner Senats zu erhalten. So wurde den Genossenschaften "Bremer Höhe" und "Wöhlertgarten" der Fördermittelbedarf für 634 Wohnungen aus Bestandserwerbsprogrammen gewährt, was ca. 25% der Gesamtsumme des Jahresetats 2000 ausmachte. Daneben gab es eine Förderzusage aus den Mitteln des Programms "Soziale Stadterneuerung" für insgesamt 430 Wohnungen; auch hier konzentrierte sich etwa ein Viertel des Gesamtprogramms auf die Genossenschaftsprojekte, worin etwa 2/3 des üblichen Fördermittelbedarfs veranschlagt wurden. Bezogen auf den Bezirk Prenzlauer Berg bedeutete dies: Es gab für die 514 Wohnungen der Genossenschaft "Bremer Höhe" eine verbindliche Fördermittelzusage durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (das war eine Voraussetzung für die Gesamtfinanzierung des Projektes durch die Investitionsbank Berlin Brandenburg). Umgerechnet auf durchschnittliche Sanierungskosten entspricht das etwa 350 Wohnungen - in den vergangenen Jahren wurde im Bezirk jeweils in einer Größenordnung von 500 bis 600 Wohnungen umfassend gefördert. Die Genossenschaft bindet demzufolge etwa die Hälfte aller Fördermittel des Programms "Soziale Stadterneuerung" im Bezirk.

Eine weitere wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Erwerb des Areals durch die Genossenschaft war neben diesen öffentlichen Bürgschaften die (erstmals) umgesetzte Möglichkeit, die Eigenheimzulage für eine Genossenschaftsgründung in Anspruch zu nehmen, da die zu zahlenden Genossenschaftsanteile dadurch für die einzelnen Genossenschaftsmitglieder auf ein für viele Bewohner finanzierbares Maß reduziert werden konnte. Sowohl subventionsbezogen als auch in der wohnungspolitischen Gewichtung hat sich das ehemalige Stiefkind zum allseits akzeptierten Familienmitglied gemausert. Doch weit davon entfernt, Utopien von gemeinschaftlichem Eigentum eine späte Gerechtigkeit erfahren zu lassen, ist der zumindest diskursive Genossenschaftsboom Ausdruck einer Reprivatisierung in der Wohnungspolitik. Denn die Förderung aus den Mitteln der Eigentumsprogramme des Berliner Senats ist nur für die Neugründung von sogenannten eigentumsorientierten Genossenschaften möglich. Einer langfristigen sozialen Bindung steht dabei die jederzeit mögliche Umwandlung in Einzeleigentum entgegen. Obwohl die Begründung für den kleinen Genossenschaftsboom gerade in der vorgeblich sozialen Garantieleistung dieser Eigentumsform für die Quartiere liegt, halten sich die Experten mit Aussagen über die langfristige Perspektive merklich zurück.

Abschied von der alten Wohnungspolitik

Um die wohnungspolitische Bedeutung der Genossenschaftsorientierung bewerten zu können, ist es hier notwendig, einen kleinen Exkurs in die bundesdeutsche Wohnungspolitik zu unternehmen. Sich selbst in der Tradition der Wohnungsreformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts stellend, verstand sich die Wohnungspolitik in der BRD als ein Versuch, durch staatliche Regulationsmechanismen zur Lösung der Wohnungsfrage beizutragen. Sowohl die quantitativen als auch die qualitativen Aspekte der Wohnungsversorgung sollten dabei Berücksichtigung finden. Kernpunkt der Orientierung war das sogenannte Allgemeinwohl, die "Sicherung der Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung". Mit einem Mix an Gesetzen, Förderprogrammen, Steuersubventionen aber auch mit der beschränkten Kommunalisierung von Wohnungsbeständen wurde in Prozesse der Wohnungsproduktion, Wohnungsversorgung und die Gestaltung von Nutzungsverhältnissen eingegriffen. Kennzeichnend für die Eingriffe war das Doppelziel der Maßnahmen, gleichzeitig die Kapitalverwertung und die Reproduktionsbedingungen zu sichern, die Legitimation durch umfassende und über sich hinausweisende Effekte (insbesondere lohnpolitische, sektorale, konjunkturelle und regionale Aspekte), Verteilungswirkungen durch eine Orientierung an bestimmten Verdienerschichten und indirekte Orientierung auf eine gesellschaftliche Disziplinierung (vom Abriss von ordnungspolitisch kaum beherrschbaren Vierteln bis zur Kleinfamilienorientierung des Wohnungsbaus). Hinsichtlich dieser vier Aspekte stellt sich eine Genossenschaftsorientierung als ein widersprüchlicher Abschied von der bisherigen Wohnungspolitik dar.

Bezogen auf langfristige Reproduktionssicherung, die ja vor allem eine dauerhafte, kalkulierbare Mietpreisentwicklung bedeutet, ordnet sich die Genossenschaftsunterstützung in eine massive Verringerung der öffentlich verwalteten Bestände ein (in Berlin haben sich die öffentlichen Bestände seit 1992 etwa halbiert). Mit den Übertragungen an Genossenschaften wird jedoch die Hoffnung verbunden, sozialorientierte Eigentümer mögen die Versorgungsfunktionen des Wohnungswesens übernehmen und staatliche Initiativen in diesem Bereich überflüssig machen. Obwohl noch nicht eingeschätzt werden kann, ob Genossenschaften diesen Ansprüchen gerecht werden, ist die öffentliche Hand in diesen Beständen aus der Verantwortung entlassen. Die neue Orientierung lässt sich also als eine Flucht in die Entwicklung eines sozialisierten Eigentumssektors begreifen. Genossenschaften scheinen dabei zum Legitimationsvehikel einer forcierten Privatisierung des Wohnungswesens zu werden.

Während eine Privatisierung an Genossenschaften die Aufgabe von Eingriffsmöglichkeiten in die Bestände darstellt, sind die darüber hinaus weisenden wohnungspolitischen Effekte gering. Vor allem strukturpolitische und konjunkturelle Anstöße sind in diesem Bereich des Wohnungsbestandes nicht mehr kalkulier- und steuerbar. Die bisherigen Erfahrungen von Genossenschaftsgründungen infolge von Privatisierungen kommunaler Bestände beziehen sich auf einzelne Vorhaben, die sich in ihren gewünschten Wirkungen auf einzelne Wohnviertel beschränken. Damit ordnen sich die Genossenschaftsgründungen in die politische Schwerpunktverlagerung der lokalen und quartiersbezogenen Ansätze ein und werden zu einem Teil der "endogenen Potentiale" der Quartiere, die es zu fördern gilt. So stellt die Unterstützung der Genossenschaft "Bremer Höhe" für das Quartiersmanagement Helmholtzplatz gemäß ihrem "Strategischen Konzept" einen "Handlungsbedarf von erster Priorität" dar. Obwohl die gewünschten Effekte dieser Maßnahme mehr als schwammig bleiben - unter dem Stichwort "Ziele" wird in besagtem Konzept schlicht auf die Genossenschaft selbst verwiesen - wird deutlich, dass zumindest räumlich den Genossenschaften nur eine beschränkte Reichweite zugeschrieben werden kann. Genossenschaften werden somit eingeordnet in die Neuorientierung einer Stadtpolitik, die sich einer quartiersbezogenen Moderation statt einer gesamtstädtischen Entwicklung widmet.

Konzentration von Fördermitteln

Wie alle neuen Politiken führt auch Privatisierung mittels Genossenschaften zu einer Neuordnung von öffentlichen Ressourcen. Während die auf den Bestand bezogenen Handlungsspielräume aufgegeben werden, findet eine Konzentration insbesondere von Fördermitteln statt. Auf der Ebene des Berliner

Finanzhaushaltes heißt das,

die Förderung von Genossenschaften hinsichtlich Modernisierungs-/Instandsetzungsmaßnahmen sowie für Mietwohnungsbau verschiebt die zur Verfügung stehenden Gelder insgesamt weiter in Richtung Eigentumsförderung. Im Vergleich zu 1993 hat sich der Förderumfang des Mietwohnungsbaus auf 25% verringert, die Mittel für die verschiedensten Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramme im Altbaubereich haben sich um mehr als ein Drittel verringert. Im selben Zeitraum haben sich die Fördermittel für den Eigentumsbereich fast verdoppelt. Aber auch auf die lokale Verteilung der Mittel aus dem Programm "Soziale Stadterneuerung" wirken sich die neuen Genossenschaften aus. Eine wohnungswirtschaftliche Rentabilität zu akzeptablen sozialen Konditionen scheint zur Zeit nur mit der umfangreichen Subventionierung von Erneuerungsmaßnahmen möglich. Werden in großem Umfang Genossenschaften gefördert, so führt dies zu einer erheblichen Mittelkonzentration auf bestimmte Bestände in den Sanierungsgebieten. Die Förderprogramme sind dadurch schnell ausgeschöpft und verlieren an ihrer bisherigen Einsatzmöglichkeit als Disziplinierungsinstrument von Eigentümern, die vorgeben, aus wirtschaftlichen Gründen heraus die Auflagen der Sanierungssatzungen nicht einhalten zu können. Die bisherige Praxis, diese "schwierigen Eigentümer" mit den Förderprogrammen zu ködern und somit die sozialen Ziele der Erneuerung durchzusetzen wird zugunsten einer zunehmenden Förderung von vorgeblich "sozialorientierten Eigentümern" eingeschränkt.

Die gesellschaftlichen Subkontexte der Genossenschaftsorientierung sind widersprüchlich. Zum einen ermöglichen gerade die nach innen demokratischen Genossenschaftssatzungen ein größeres Maß an Mitbestimmung durch die Bewohner. Zugleich jedoch - das ist vielleicht der eigentliche Lehrplan - sind alle möglichen Vorteile für den Genossen an den Status eines Miteigentümers gebunden. Damit werden die Genossenschaften für Argumentationen attraktiv, die auch in anderen Bereichen verstärkt auf Eigenverantwortung und die Aufgabe staatlicher Eingriffe drängen. Zugleich erscheint die aus der frühen Arbeiterbewegung herrührende Tradition einer Genossenschaft (s. S. 9 ff) als ein besonders geeignetes Zugpferd, um für eine Privatisierung und Deregulierung des Wohnungswesens einen breiten Konsens zu erlangen.

Damit tragen die Genossenschaften letztendlich zur politischen Marginalisierung einer Mieterbewegung bei, die immer auf staatliche Eingriffe zielen muss, da das privat organisierte Wohnungswesen weder bisher angemessenen Wohnraum zu vertretbaren Preisen für alle sozialen Gruppen bereitstellen konnte noch es zukünftig tun wird.

Fazit:

Der Genossenschaftsgedanke - das sollte hier kurz angerissen werden - ist gerade aus der Sicht einer MieterInnenorganisation zumindest widersprüchlich, hebt er doch die gegensätzliche Stellung von Mietern und Eigentümern auf, ohne jedoch die ökonomischen Grundlagen auf einer gesamtstädtischen Ebene in Frage zu stellen. Ob allerdings Berlin zu einem Eldorado der Genossenschaften werden wird, muss in Frage gestellt bleiben, denn nach dem bisherigen Stand der Dinge sind Neugründungen aus dem Bestand heraus an eine umfangreiche öffentliche Subventionierung (beim Kauf und bei der Erneuerung) gebunden. Nach dem heutigen Stand reichen diese Mittel für eine Genossenschaftsprivatisierung von 3.000 Wohnungen pro Jahr. Nachhaltige Struktureffekte für den Berliner Wohnungsbestand sind also nicht zu erwarten - ein tatsächlicher Ausweg für den geplanten Verkauf der öffentlichen Bestände auch nicht. Aus diesem Grund erscheint es um so wichtiger, sich mit den Intentionen der losgetretenen Genossenschaftsdiskussionen zu befassen.

 

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