Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft

Nr. 277 - Dezember/Januar 2000

Arbeitslosenticket Jetzt!

Morgens ab acht stehen Manne und Dieter vor dem Arbeitsamt. Seit Mai sammeln sie Unterschriften für die Wiedereinführung des Arbeitslosentickets. Der mit der roten NGG-Mütze (NGG ü Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten) ist Bäcker, der andere Tierarzt. Ali ist Bankkaufmann und rechnet den Leuten vor, was eine Familie mit drei Schulkindern monatlich an die BVG zahlt, "fast vierhundert Mark!". Das ist ihm zuviel, deshalb sammelt er Unterschriften.

Olaf sammelt auch, aber heute filmt er für den Offenen Kanal.

"Helden der Nichtarbeit" berichten dort montags ab 16 Uhr. Olaf braucht für seinen Heimweg heute länger, sein Fahrrad hat schon wieder einen Platten und die BVG ist zu teuer.

Eigentlich finden die meisten Berliner die BVG zu teuer. Erwerbslose trifft es besonders. Ihre soziale Isolation ist erschreckend hoch. Wenn der Besuch von Freunden und Verwandten an überteuerten Fahrpreisen scheitert, vereinzeln sie noch mehr.

Erwerbslose der IG Metall protestierten 1996 gegen die Abschaffung des Arbeitslosentikkets per Unterschriftenaktion. Anfang 1998 entstand in Berlin eine größere Arbeitslosenbewegung. Zur vierten Demonstration im Mai 98 wurde offen schwarzgefahren. Fast 2000 TeilnehmerInnen kamen, elf wurden erwischt. Das "erhöhte Beförderungsentgelt" erstatteten Peter Grottian und die Grünen auf der Demo zurück.

Das Thema BVG blieb ein Dauerbrenner der Erwerbslosen. Im Mai 1999 starteten einige die Kampagne für ihr Ticket. Sie aktivierten andere. Sie lamentierten, dass es immer die gleichen sind, die Unterschriften sammeln, aber sie gaben nicht auf. Endlich reagierten auch der DGB und einige seiner Gewerkschaften und nahmen die großen Parteien in die Pflicht.

Ausgerechnet die CDU stellte den Antrag zur Wiedereinführung des Arbeitslosentickets.

"Die haben es in der Großen Koalition selbst abgeschafft!" beschwerte sich Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Grüne. Am 23. September 1999 stimmten alle Fraktionen zu. Da war noch Wahlkampf.

Während CDU und SPD bis Dezember um Posten stritten, arbeiteten öffentlich Bedienstete längst gegen das Ticket. Die Verkehrsverwaltung behauptet, dass 50% der Arbeitslosen regelmäßig eine Umweltkarte für 99 DM kaufen. Wenn diese

demnächst 40 DM zahlen, ergibt das einen Fehlbetrag von 46,8 Millionen. Die BVG gibt vor, dass 6% aller Erwerbslosen eine Umweltkarte kaufen, der Fehlbetrag durch das verbilligte Ticket ergebe 8,2 Millionen. Weiß nur der VBB (Verkehrsverbund Berlin Brandenburg), dass ein verbilligtes Ticket mehr zahlende Kunden und dadurch Mehreinnahmen bringt? Vielleicht sollte die Verwaltung mal morgens um acht die wahren Verkehrsexperten fragen. Manne, Ali und andere sammelten über 55.000 Unterschriften. Sie sprachen mit über 55.000 Erwerbslosen!

Von ca. 270.000 registrierten Arbeitslosen haben rund 80.000 Anspruch auf ein Sozialhilfeticket. Um das Arbeitslosenticket nicht allen anderen einfach zugänglich zu machen, entwickeln preußische Bürokraten bereits komplizierte Verfahren, eine Mitarbeit der überlasteten Arbeitsämter ist eingeplant. Ohne Verwaltungsaufwand und ohne Ausgrenzung funktioniert der Vorschlag der Erwerbslosen : " Ab 1. Januar 2000 benutzen wir die bereits existierenden Sozialtickets. Als Berechtigungsnachweis gilt der letzte Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes."

Die Erwerbslosen powern weiter bis zur Einführung ihres Tickets. Sie fordern Mobilität.

Konkret heißt das:

Berliner KünstlerInnen solidarisieren sich mit den Erwerbslosen. Jim Avignon machte den Anfang. Sein Arbeitslosenfahrschein ist seit dem 18.11. in Umlauf. Immer, wenn ein attraktiver Entwurf eingeht, werden 4.000 Stück gedruckt. KünstlerInnen schicken ihren "Fahrschein" an: "Arbeitslosenticket jetzt!", c/o IG Medien, Dudenstr. 10, 10965 Berlin.

Für den Ticketdruck werden noch edle Spender gesucht. Die Spenden sind steuerlich abzugsfähig. Spendenkonto: LBJV, Bank für Gemeinwirtschaft, BLZ 100 10 111, Konto-Nr. 14 96 83 19 00, Stichwort "Arbeitslosenticket".

Erwerbslose, die auch Unterschriften sammeln wollen, frühstücken mittwochs 11-14 Uhr bei ERWIN (Erwerbsloseninitiative Neukölln), Weichselstr. 58, U-Bhf. Rathaus Neukölln.

Die Treffs der Erwerbslosengruppen der Gewerkschaften können beim DGB und seinen Einzelgewerkschaften telefonisch erfragt werden.

Antje Grabenhorst
(Aktionsbündnis Erwerbslosenproteste, Dudenstr. 10, 10965 Berlin)