MieterEcho
Nr. 258 September/Oktober 96

Ist Kaufen wirklich fortschrittlicher als Mieten?
Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Berlin

So vorteilhaft der Erwerb einer umgewandelten Wohnung für den Einzelnen auch sein kann - er hat seine Kehrseite: Er geht zu Lasten der Mieterhaushalte und zu Gunsten Einkommensstarker, der Umwandler und der Banken.
 
Ein Großteil der Wohnungen (80%), die heute als Eigentumswohnungen veräußert werden, sind ehemalige Mietwohnungen. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist kein neues Phänomen. In anderen bundesdeutschen Großstädten setzte bereits in den 80er Jahren eine rege Umwandlungstätigkeit ein; Berlin erreichte der Umwandlungsboom erst in den 90er Jahren. Hier fanden zwischen 1990 und 1994 ein Drittel aller seit 1951 durchgeführten Umwandlungen statt. In diesen fünf Jahren wurden in Berlin, überwiegend in West-Berlin, insgesamt mehr als 50.000 Mietwohnungen umgewandelt. Im Westteil der Stadt wurde inzwischen aus jeder achten Mietwohnung (von 1.050.000 Wohnungen) eine Eigentumswohnung.
 
Die individuellen Vorteile des Erwerbes einer Eigentumswohnung liegen auf der Hand: Eigentümer einer Wohnung sind dauerhaft vor Kündigung und lästigen Auseinandersetzungen mit dem Vermieter geschützt; die finanziellen Belastungen sind anfangs sehr hoch, aber besser kalkulierbar als die Mietbelastung und im Alter, wenn der Kredit zurückgezahlt ist, relativ gering. Der Kauf einer Wohnung wird zur privaten Rentenversicherung. Was spricht also dagegen, eine Wohnung zu kaufen, wenn sie finanziert werden kann? Im folgenden werden einige Aspekte der Schattenseite der Umwandlungen aufgezeigt.
 
Umwandlung vernichtet preiswerten Wohnraum vernichtet
 
Von der Umwandlung bzw. dem Verkauf umgewandelter Wohnungen ist zu 80-90% der bislang relativ preisgünstige Wohnraum betroffen, insbesondere vor 1918 fertiggestellte Altbauwohnungen mit Mieten unter 7 DM/qm sowie Sozialwohnungen der 50er und 60er Jahre, die Mieten von etwa 8 DM/qm aufweisen. Durch den Verkauf der Wohnungen wurde und wird weiterhin das Mietwohnungsangebot insbesondere in den Marktsegmenten verringert, deren Erhalt für die Wohnungsversorgung einkommensschwacher Bevölkerung besonders dringlich ist.
 
Mindestens ebenso gefährlich sind die indirekten Folgen der Umwandlung auf den Mietwohnungsmarkt. Durch diese Art der Verwertung werden einerseits die Immobilienpreise spekulativ in die Höhe getrieben, andererseits führen die durch Umwandlung hervorgerufenen Mieterwechsel und Modernisierungen zu einem allgemeinen Anstieg des Mietniveaus. Davon sind mittelfristig nicht nur Mieter in Umwandlungsobjekten, sondern alle Mieter in der Stadt betroffen.
 
Eigentumswohnung nur für einkommensstarke Haushalte
 
Eine bezugsfreie Eigentumswohnung mit 90-100 qm kostet in Berlin (Stand 1994) etwa 350.000 DM. Bei einer soliden Finanzierung führt dies über einen Zeitraum von 26 Jahren zu einer monatlichen Belastung von etwa 2.500 DM. Wenn die monatlichen Wohnkosten nicht mehr als 30% des Haushaltseinkommens betragen sollen, muß das Nettoeinkommen des Haushaltes über 8.000 DM betragen. Das mittlere Einkommen betrug aber 1994 in Berlin 2.650 DM. Für die übergroße Mehrzahl der Berliner Haushalte kommt daher der Kauf einer Wohnung nicht in Frage.
 
Mieterverdrängung durch Umwandlung
 
Umfangreiche Untersuchungen belegen, daß die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zur Verdrängung der Bevölkerung führt. Am stärksten bedroht sind alle einkommensschwachen Haushalte, insbesondere kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Ausländer und alte Menschen. Langfristig sind von der Verdrängung jedoch alle Haushalte bedroht, die nicht in einer eigenen Wohnung wohnen, deren Finanzierung gesichert ist. (Erinnert sei hier an die steigende Anzahl von Zwangsversteigerungen.)
 
Mieter umgewandelter Wohnungen werden durch Kündigung, Mieterhöhung, Belästigungen oder Schikanen seitens der Eigentümer verdrängt. Viele Mieter verlassen aber auch bereits im Vorfeld aus Angst vor diesen Belastungen oder aus Unwissenheit über ihre Rechte ihre Wohnung. In Berlin ist damit zu rechnen, daß nach Auslaufen der Kündigungssperrfrist (10 Jahre) etwa die Hälfte der Mieter ihre Wohnung als Folge der Umwandlung verlassen haben werden. Daß es sich dabei keineswegs um übertriebene Schätzungen handelt, belegen folgende Zahlen: Allein 1994 wurden fast 6.000 "bezugsfreie" umgewandelte Mietwohnungen als Eigentumswohnungen veräußert. Bei einer durchschnittlichen Belegungsdichte von 2 Personen je Haushalt bedeutet dies, daß zuvor etwa 12.000 Mieter ihre Wohnung (unfreiwillig) verlassen hatten. Hierzu zählen auch Mieter, die durch eine sog. Auszugsprämie dazu veranlaßt wurden, ihre Wohnung zu verlassen. Diese Abfindungen sind letztendlich nur eine Beteiligung am Gewinn des Umwandlers.
 
Die Gewinner des Umwandlungsgeschäftes
 
Konnte ein Eigentümer den Mieter dazu bewegen, die Wohnung vor deren Verkauf zu verlassen, lag der Verkaufspreis in den letzten Jahren durchschnittlich 40% über dem einer vermieteten Wohnung. So läßt sich allein dadurch, daß der Mieter ausgezogen ist, schnell ein Gewinn von 120-160.000 DM erzielen. Selbst wenn der Mieter davon 30.000 DM als Abfindung erhält, ist dessen Auszug ein gutes Geschäft für den Umwandler.
 
Ein Teil der Mietwohnhäuser wird mit der Absicht erworben, sie so schnell wie möglich in Eigentumswohnungen aufzuteilen und zu veräußern. Für diese Gebäude werden besonders hohe Kaufpreise gezahlt, denn die dabei erzielten Gewinne des Umwandlers sind enorm. Wurden alle Wohnungen in vermietetem Zustand verkauft, lag 1994 der Verkaufserlös um bis zu 2 Mio. DM höher als der Kaufpreis für das Gebäude, der ein Jahr zuvor gezahlt wurde. (Vermietete Eigentumswohnungen werden vorrangig an Kapitalanleger verkauft, die dafür staatlicherseits mit steuerlicher Abschreibung belohnt werden.) Wurden zuvor alle Mieter zum Auszug veranlaßt, lag der Gewinn bei bis zu 4 Mio. DM. Um diesen Gewinn zu erzielen, bedarf es für den Umwandler keinerlei Investitionen. Ein prima Geschäft also.
 
Wer nun die Hauseigentümer als eigentliche Gewinner im Geschäft mit der Umwandlung betrachtet, sollte zuvor noch einen Blick auf die Kreditinstitute werfen, denn sie haben allen Grund, für den Kauf von Eigentumswohnungen kräftig die Werbetrommel zu rühren.
 
... und die Banken.
 
Bei einer soliden Finanzierung ist es üblich, Wohneigentum mit 50% Hypothekendarlehen zu finanzieren. Demnach wurde für die umgewandelten Wohnungen, die 1994 in Berlin veräußert wurden, bei Banken ein Fremdkapital von mehr als 1 Mrd. DM aufgenommen. Bei dem derzeitigen Zinssatz fallen dafür jährlich mehr als 75 Mio. DM Zinsen an, die von Käufern umgewandelter Wohnungen an Banken zu begleichen sind. Wohlgemerkt, diese überschlägige Berechnung bezieht sich nur auf die umgewandelten Wohnungen, die innerhalb eines Jahres (1994) in Berlin veräußert wurden. Die Zinsen in Höhe von 75 Mio. DM werden dann, der Beispielrechnung entsprechend, 26 Jahre lang an Kreditinstitute gezahlt. Die Banken ihrerseits treten auf dem Immobilienmarkt als Käufer auf und machen den Erwerb steuerlich geltend.
 
Durch Umwandlung entsteht kein zusätzlicher Wohnraum.
 
Aus wohnungspolitischer Sicht ist die Umwandlung widersinnig, da dadurch keine einzige Wohnung neu geschaffen wird. Das private Kapital, das durch den Erwerb von Bestandswohnungen in den Wohnungssektor fließt, wird teilweise dem Wohnungsneubau entzogen und nur zu einem geringen Teil in die Erneuerung des Bestandes reinvestiert.
 
Wohnungen, die zuvor auch dem einkommensschwächeren Teil der Bevölkerung zur Verfügung standen, stehen durch die Umwandlung nur noch dem finanzkräftigeren Teil zur Verfügung. Umverteilt wird gleichermaßen die Inanspruchnahme von Wohnfläche, die der freien Persönlichkeitsentwicklung aller dienlich ist. Eigentümer verfügen in Berlin durchschnittlich über 10 qm mehr pro Person (!) als Mieter. Nun ist die Einschränkung des Wohnflächenkonsums aus stadtstrukturellen und ökologischen Erwägungen durchaus zu begrüßen. Gerade hinsichtlich der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird aber deutlich, daß das Problem des zunehmenden Wohnflächenkonsums zu Lasten bestimmter Bevölkerungsgruppen ausgetragen wird. Während die Käufer einer Eigentumswohnung eine Vergrößerung ihrer Wohnfläche pro Kopf anstreben und in der Regel auch realisieren, müssen aus diesen Wohnungen verdrängte Haushalte ihre Wohnfläche reduzieren.
 
Das Recht auf sichere Wohnverhältnisse wird zum käuflichen Gut.
 
Nicht zuletzt trägt die Umwandlung zur Zerstörung des Systems sozialer Sicherheit bei. Der bislang in der Bundesrepublik weitreichende Schutz der Mieter vor Kündigung wird zu einem käuflichen Luxus, der den finanzstärkeren Teilen der Bevölkerung vorbehalten bleibt.
 
Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen stellt einen weitgehenden Eingriff in die Rechte der Mieter dar und steht damit in engem Zusammenhang mit dem Abbau von sozialer Sicherheit in der Bundesrepublik der 90er Jahre.
 
Goldene Aussichten
 
Es ist davon auszugehen, daß die Umwandlungen in Berlin in den nächsten Jahren weiterhin zunehmen werden. Noch gibt es in der Stadt einen großen Mietwohnungsbestand, der umgewandelt werden kann. Der angespannte Wohnungsmarkt wird für Kaufinteressenten sorgen; mit den Bundesbediensteten kommt ein zusätzliches Potential an Käufern nach Berlin. Sowohl die Einkommen als auch die "Umzugshilfen" dürften geeignet sein, Wohneigentum zu erwerben.
 
Insbesondere in Ost- Berlin, wo die Anzahl der Umwandlungen bis 1994 noch relativ gering war, ist mit einem rapiden Anstieg zu rechnen. Hier wird nicht nur die Privatisierung nach dem sog. Altschuldenhilfegesetz, sondern auch die Klärung der Restitutionsansprüche zu Buche schlagen. Gerade für Erbengemeinschaften ist es lukrativ, ihr Mietswohnhaus zu Höchstpreisen an einen Umwandler zu veräußern.
 
Doch auch in West-Berlin, wo sich der Schwerpunkt der Umwandlungen in die Bezirke Kreuzberg, Neukölln und Tiergarten verlagert hat, ist weiterhin mit einer großen Anzahl von Umwandlungen zu rechnen. Der Senat von Berlin hat nicht zuletzt mit seinem Beschluß, 15% des städtischen Wohnungsbestandes zu privatisieren, diese Entwicklung besiegelt.
 
Kathrin Wolff
 
Kathrin Wolff hat am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin studiert und kürzlich zu diesem Thema eine Diplomarbeit geschrieben, die derzeit dort mit Unterstützung der Berliner MieterGemeinschaft veröffentlicht wird.
 
Anzahl der Umwandlungen in West-Berlin 1970-1994 und Ost-Berlin 1992-1994
          Ost     West
1970               325
1975               650
1980              7800
1983             13000
1984             14000
1985              8557
1986              5418
1987              3687
1988              4074
1989              4664
1990              1282
1991              2325
1992      310     9559
1993     2066    22133
1994     2663    14844
Quelle: Geschäftsstelle des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in Berlin, eigene Darstellung

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