Nr. 257 Juni/Juli/August 96

Prenzlauer Berg:
Wie eine Mietergenossenschaft funktioniert

Sie hatten es gewagt, die Mieter/innen der Häuser Rykestraße 13 und 14: Sie schlossen sich im März 1990 zur ”Mietergenossenschaft SelbstBau e.G.” zusammen und erwarben und sanierten ihre Häuser. Waren sie anfangs rund drei Dutzend, so zählt die Genossenschaft heute etwa 120 Mitglieder und besitzt fünf Altbauten: neben den beiden bereits genannten Häusern noch die Oderberger Straße 50, die Fehrbelliner Straße 87 und die Rykestraße 25. Die beiden ersten Häuser wurden in den Jahren 1992-94 saniert, in zwei weiteren Häusern ist die Sanierung im Gange, in der Rykestraße 25 wird in Kürze begonnen.
 
Zum Beispiel Rykestraße 13/14...
Fabian Tacke, bisheriger Geschäftsführer der Genossenschaft, nennt uns Zahlen für die beiden bisher fertig sanierten Häuser in der Rykestraße 13/14 - Zahlen, die bestätigen, daß eine Genossenschaft in der Lage ist, modernes Wohnen zu bezahlbaren Mieten zu ermöglichen und dabei auch noch die Ökologie zu ihrem Recht kommen zu lassen:
Die Grundmiete pro Quadratmeter beträgt 4,70 DM. Sie deckt alle Kosten für diese Häuser, einschließlich Kapitaldienst bzw. Pachtzahlung. Die kalten Betriebskosten belaufen sich auf ca 1,30 DM/qm - z.B. auch dadurch, daß die Häuser selbst verwaltet und die Bewohner/innen selbst für die Hausreinigung sorgen. Die Heizkosten liegen unter 1,30 DM/qm - genauer: Die Kosten für die Beheizung durch die Zentralheizung, die die Kohleöfen abgelöst hat, sowie für Warmwasser und Elektroenergie machen zusammengenommen nur knapp 1,30 DM/qm aus. Erklärung: Die Genossenschaft hat statt der üblichen Brennwertkessel ein Blockheizkraftwerk eingebaut.
 
Blockheizkraftwerk: sparsamer und ökologischer
Dieses Blockheizkraftwerk umfaßt zwei Motoren, die mit Erdgas betrieben werden und ihrerseits zwei Generatoren antreiben, die den elektrischen Strom für die Häuser liefern; Die Kühlwasser- und die Abgaswärme wiederum sichert die Heizung und die Warmwasserbereitung. Im Vergleich zu herkömmlichen Heizungsanlagen bringt der ”Block” eine Heizkostenersparnis um ein Drittel; die Umwelt wird entlastet, weil es im Vergleich zu konventionellen Heizkesseln im Jahr rund 100 Tonnen weniger Ausstoß an Kohlendioxyd gibt. Und schließlich ist der Strom aus dem eigenen Kleinkraftwerk auch billiger als bei der BEWAG.
 
Bedingungen für den Erfolg
Dieses Ergebnis spricht für sich. Für Fabian Tacke war das möglich, weil die Genossenschafter/innen den festen Willen hatten, ihr Vorhaben auszuführen; weil sie dabei die Unterstützung guter, kompetenter Berater gefunden hatten; weil es Rahmenbedingungen gab, die das Gelingen sicherten. Bis auf eine ältere Mieterin wurden 1990 alle Bewohner/innen Mitglied der Genossenschaft, mit einem Pflichtanteil von 1.000.-DM. Auf jeden Quadratmeter Wohnfläche entfielen weitere Anteile in Höhe von 300.-DM, die zum allergrößten Teil in Eigenleistung (à 15.-DM die Stunde) erbracht wurden. Das eine Haus samt Grundstück wurde mit Hilfe eines Bankkredits erworben, für das andere Haus besteht ein 20jähriger Pachtvertrag.
 
Die Sanierungsarbeiten wurden mit Fördermitteln aus dem damaligen Programm von Magistrat und Senat für die behutsame Stadterneuerung (”25-Millionen-Programm”) durchgeführt bzw. mit Baukostenzuschüssen aus dem Programm für bauliche Selbsthilfe, nach dem Schlüssel: 85 % Zuschüsse und 15 % Eigenleistung der Genossenschaft. In diese Eigenleistung der Genossenschaft ging die bereits erwähnte Selbstarbeit der Mitglieder entsprechend ihren Anteilen ein. Die Fördermittel bedingen eine 20jährige Mietpreisbindung um die 5.-DM/qm mit jährlicher Steigerungsmöglichkeit um 0,25 DM/qm. Die Bewohner/innen sind Mitglieder der Genossenschaft mit allen daraus erwachsenden Rechten und besitzen zugleich einen Dauermietvertrag, so daß ihr Nutzungsentgelt hier auch Miete heißt.
 
Genossenschaft baut zweckmäßiger und billiger
Die Genossenschaft, bestätigt uns Fabian Tacke, baut natürlich effizienter und billiger, weil sie für die künftigen Bewohner/innen und mit ihnen zusammen baut, entsprechend ihren tatsächlichen Bedürfnissen, und sich an Kostendeckung und nicht an Gewinn orientiert. Ihre Mitglieder bestimmen selbst, nach demokratischen Spielregeln, was wann und wie gebaut und was für die Zukunft geplant wird. Es sitzt ihnen kein renditegeiler Eigentümer im Nacken, der über Luxusmodernisierung und entsprechend erhöhten Mieten Alteingesessene aus Haus und Kiez verdrängt. Sie wissen, ihnen bleibt die Wohnung sicher und bezahlbar - und selbstbestimmt dazu ...
 
Genossenschaftliches Wohnen
Was sich die Genossenschafter/innen in der Rykestraße 13/14 geschaffen haben, kann sich sehen lassen: Aus den beiden Altbauten mit den teilweise schon unbewohnbar gewesenen Hinterhäusern bzw. Quergebäuden ist ein modern ausgestatteter Gebäudekomplex mit 44 familiengerechten, preiswerten Wohnungen geworden. Die historischen Altbaufassaden einschließlich der traditionellen Kastendoppelfenster wurden bewahrt bzw. wiederhergestellt. Beim Bauen selbst ging Instandsetzung vor Austausch von Bauteilen, und Details wurden restauriert. Für Wohnungen in den Hinterhäusern/Quergebäuden wurden die Belüftungsmöglichkeiten verbessert. Die Fenster wurden auch vergrößert und schallisoliert und zusätzlich Balkone angebaut. Hinzu kam die Dach- und die Hofbegrünung, die Spielplatzgestaltung auf dem Hof, die Schaffung einer Hauswerkstatt, eines Gemeinschaftsbereiches und von Freizeitraum auf Dachterrassen.
Und im Erdgeschoß, zur Straße hin, gibt es als Wohnumfeldbereicherung zwei Läden - den ”Lanzelot”, zum Anziehen und Schmücken, und die ”AnsichtsSache”, Buchhandlung und Verkaufsgalerie - sowie die ”Schankwirtschaft Seeblick”. Genossenschaftserweiterung denkbar
 
Die Mittel für all das Geschaffene in der Rykestraße 13/14 hat die Genossenschaft selbst bewirtschaftet und dabei ihren Maßstab, die Kostendeckung, eingehalten. Das will sie auch bei den neuen Genossenschaftsgebäuden schaffen. Und es ist nicht ausgeschlossen, daß die ”Mietergenossenschaft SelbstBau e.G.” sich noch vergrößert, wobei jeder Wohnungszuwachs, möglicherweise durch Erwerb weiterer Häuser, neuen Genossenschaftsmitgliedern zufallen würde.
 
Jonny Granzow
 
 
Fragen an Fabian Tacke, bisheriger Geschäftsführer der Mietergenossenschaft SelbstBau e.G.
 
ME: Wie kam es zur Erweiterung Ihrer Genossenschaft um die Bewohner/innen der Oderberger Straße 50 und Fehrbelliner Straße 87 und ihrer Häuser?
 
F.T.: Ausgangspunkt in beiden Häusern war die Initiative der Bewohner/innen zur Wohnverbesserung, die aber mit den alten Eigentümern nicht zum Tragen kam. So nahmen sie mit uns Kontakt auf, und die Zusammenarbeit mit unserer Genossenschaft führte zu dem Ergebnis, daß diese Häuser von uns erworben werden konnten und ihre Sanierung inzwischen ihrem Ende zu geht.
 
ME: Die jüngste Erweiterung betrifft die Rykestraße 25 - wie kam diese zustande?
 
F.T.: Das Grundstück Rykestraße 25 wurde Ende 1993 im Rahmen der Privatisierung nach dem Altschuldenhilfegesetz von der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg nicht an die Mieter/innen, sondern an einen Investor verkauft. Da im Kaufvertrag ein eigenständiges Ankaufsrecht für die Bewohner/innen formuliert war, forderte die alteingessene Mietergemeinschaft des Hauses dieses Recht auch ein. Nachdem der Investor sich anfänglich geweigert hatte, ihr dieses Recht zuzugestehen, konnte letztendlich in Zusammenarbeit mit uns und nach langen, zähen Auseinandersetzungen das Grundstück auf dem Wege gütlicher Einigung von unserer Genossenschaft erworben werden. Und die Sanierung des Hauses in baulicher Selbsthilfe und nach der Vorstellung der Bewohner/innen, die nunmehr Genossenschaftsmitglieder sind, wird im Juli beginnen.

MieterEcho Archiv | Inhaltsverzeichnis Nr. 257

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