Nr. 255 Januar/Februar 96

Nach 15 Monaten Streit bei VORWÄRTS-Lichtenberg:
Genossenschaftsvorstand "entdeckt" seine Mitglieder

Noch am Vorabend des Weihnachtsfestes 95 vermieste der Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft VORWÄRTS den Leuten in 120 "seiner" Wohnungen die Festtagsstimmung, indem er ihnen am 23.12.(!) einen Drohbrief zukommen ließ. Die meisten der angeschriebenen Genossenschaftsmitglieder, die alle in dem Plattenblock Rosenfelder Ring 78-84 wohnen, hatten zuvor einer ungenügenden Modernisierungsankündigung widersprochen. Nun wurden alle rechtsanwaltlich aufgefordert, eine beigefügte Zustimmungserklärung zur Modernisierung zu unterschreiben - andernfalls würden sie vor den Kadi zitiert.
 
Erst Drohbrief, dann Kompromißvorschlag
 
Am 9.1.96 aber bot der Vorstand den gewählten Vertreter/innen aus diesen Häusern einen Kompromiß an: Er verzichte auf die Zustimmungserklärung zur Modernisierung, die Bewohner/innen gewähren dafür den Bauleuten den Zutritt, damit die geplanten Arbeiten nicht verzögert werden. Dazu versprach der Vorstand noch einiges, so Mietminderung für die Zeit der Bauarbeiten, den Zugang zu den Toiletten und Bädern leerstehender Wohnungen statt der Benutzung von Sanitärzellen auf der Straße (!), einen ansprechbaren Baubetreuer Tag für Tag statt nur für wenige Sprechstunden in der Woche.
 
"Zoff" seit November 1994
 
Was hatte den Vorstand zum Einlenken veranlaßt? Mit Sicherheit die seit November 1994 wiederholt gemachte Erfahrung, daß die Mitglieder sich nicht wie Leibeigene behandeln lassen. Damals wurde ihnen ohne jede Vorwarnung zugemutet, den Vertretern einer Firma Zutritt zu gewähren, die den Auftrag hatte, die Privatisierung ihrer Häuser vorzubereiten. *)
 
1. Krach: Privatisierungsversuch ohne Mitgliederbeteiligung
 
Die empörten Mitglieder verwehrten den Herren den Zutritt zu den Häusern und erzwangen Versammlungen mit dem Vorstand - die jener erst hatte durchführen wollen, als Informationsveranstaltungen, nach begonnener Arbeit der Privatisierer. Entsprechend stürmisch verliefen die Zusammenkünfte wegen des tiefen Unmuts der Mitglieder über das eigenmächtige Walten des Vorstandes. Im Frühjahr 1995 nutzten dann die Bewohner/innen die Wahlen zur Vertreterversammlung der Genossenschaft, um sachkundige, kompetente Interessenvertreter/innen in dieses Gremium zu entsenden. Über sie wurden die Sanierungsvorstellungen des Vorstandes bekannt, die mit den Privatisierungsplänen verbunden waren, Vorstellungen, die sich dann schwarz auf weiß in den Modernisierungsankündigungen wiederfanden, die Ende Oktober 1995 verschickt wurden. Die Vielzahl der dadurch aufgeworfenen Fragen wurde auf einer von der Berliner MieterGemeinschaft einberufenen Informationsveranstaltung zur Sprache gebracht.
 
2. Krach: Unzureichende Modernisierungsankündigung
 
Der Widerspruch der Genossenschafter richtete sich vor allem gegen die ihnen völlig überhöht erscheinende Modernisierungsumlage, die die maximal zulässigen 3.-DM/qm voll ausschöpfte, wobei einmal mehr Instandsetzung und tatsächliche Modernisierung nicht hinreichend getrennt waren. So nimmt es nicht wunder, daß nach dieser Versammlung und nach rechtsanwaltlicher Beratung 80 Widersprüche beim Vorstand landeten. Wie es dann weiterging - erst Bedrohung, dann Einlenken und Eingehen auf Forderungen der Vertreter/innen - sagten wir schon am Anfang.
 
Nimmt der Vorstand seine Mitglieder nunmehr ernst?
 
Wie ernst es dem Vorstand mit seinem Einlenken ist, muß sich erst noch zeigen. Denn die Genossenschaftsmitglieder waren durchaus für den angebotenen Kompromiß zu haben, allerdings unter Aufrechterhaltung ihrer Widersprüche gegen die Modernisierungsankündigung, wobei sie darauf bestanden , daß ihre Einwände sachgemäß geprüft und beantwortet werden. Und sie wollten den Bauarbeitern den Zutritt erst nach Erhalt schriftlicher Zusagen seitens des Vorstandes gewähren - was inzwischen als eine Art Postwurfsendung geschah. Bei Redaktionsschluß standen detaillierte Antworten auf die Widersprüche immer noch aus.
 
J.G.
 
*) Im Rahmen des "Altschuldenhilfegesetzes" für Ostberlin und die neuen Bundesländer sind - widersinnigerweise - auch die Wohnungsbaugenossenschaften gehalten, 15 % ihres Bestandes zu privatisieren.
 
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