Nr. 255 Januar/Februar 96

Privatisierung - Wohnungeigentümer weniger radikal?

Zum Jahreswechsel ist die Privatisierung kommunaler Wohnungen wieder in die Schlagzeilen geraten. Über 1200 Mieter/innen der Wohnungsbaugesellschaft Mitte mußten der Presse entnehmen, daß ihre Wohnungen klammheimlich an eine Duisburger Immobiliengesellschaft verkauft worden waren, die ein Tochterunternehmen just jener Gesellschaft ist, die eigentlich die kaufinteressierte Mieter/innen beraten sollte.
 
Mit dem von der Bundesregierung verabschiedeten "Zwischenerwerbermodell" erhält diese Praxis nun auch den Segen von oben. Damit ist das Finale einer geplanten Inszenierung eröffnet worden, bei der es von Anfang an um die Überführung von Wohnungen in kommunalem Eigentum in den privatkapitalistischen Verwertungsprozeß ging.
 
Zur Erinnerung: Mit der Vereinigung waren den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in der ehemaligen DDR Altschulden in Höhe von 36 Mrd. DM (Berlin 6,7 Mrd. DM) aufgebürdet worden. In Wirklichkeit waren ds die Investitionsmittel für das staatliche Wohnungsbauprogramm der DDR, die als reine Verrechnungsgrößen im Rahmen des Staatshaushaltes der DDR den Wohnungsunternehmen zugeordnet wurden.
 
Dieser "Schulden"berg hätte innerhalb kürzester Zeit zur Zahlungsunfähigkeit der Wohnungsunternehmen geführt, so daß Bund und Länder 1993 das sog. Altschuldenhilfegesetz verabschiedeten. Bei Wohnungsunternehmen, die diese Altschuldenhilfe in Anspruch genommen haben, trägt der Bund den Teil der Altschulden, der über einen Sockelbetrag von 150 DM/qm hinausgeht. Im Gegenzug mußten die Wohnungsunternehmen die "Altschulden" juristisch verbindlich und unwiderruflich anerkennen und sich verpflichten, bis zum Jahre 2003 15% ihres restitutionsfreien Bestandes zu verkaufen.
 
Darüber hinaus sah das Altenschuldenhilfegesetz eine Befreiung von Kredittilgung und Zinsdienst bis Ende Juni 1995 vor. Bis zu diesem Jahr waren die Schulden mit Zins und Zinseszins auf 59 Mrd. angewachsen. Die Differenz zwischen den ursprünglich 36 Mrd. und den 59 Mrd. DM wirtschafteten die Banken in ihre Taschen.
 
Privatisierung ohne Mieter/innen
 
Die Ost-Berliner Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften müssen insgesamt 46.500 Wohnungen (davon 12.600 Genossenschaftswohnungen) verkaufen. Ursprünglich sollte die Privatisierung vorrangig an kaufwillige Mieter/innen erfolgen, doch bisher hat nur ein sehr geringer Teil der Mieter/innen davon Gebrauch gemacht.
 
Dieses Ergebnis ist nicht verwunderlich. Denn nur 5-6% der Mieter/innen bekundeten Interesse am Kauf ihrer Wohnung, und nur ein Teil davon dürfte ernsthafte Kaufabsichten haben. Dabei liegen die Gründe für den ausbleibenden Kaufrausch der Mieter/innen auf der Hand: Neben dem Mangel an Kleingeld (neudeutsch: dünne Kapitaldecke) sind dies gefährdete Arbeitsplätze (neudeutsch: Leben im "Freizeitpark" Deutschland) und die Angst vor hoher Verschuldung.
 
Anstatt den wenigen kaufinteressierten Mieter/innen Beratung anzubieten oder alternativ dazu die Gründung von Genossenschaften mit Rat und Tat zu fördern, zeichneten sich die Wohnungsunternehmen zumeist durch Zurückhaltung aus. Schließlich ist es für sie einfacher und mit geringerem Aufwand verbunden große Kontingente von Wohnungen oder gar ganze Blöcke an Immobiliengesellschaften zu verkaufen.
 
Zeitdruck
 
Doch kann den Wohnungsunternehmen nicht allein der schwarze Peter zugeschoben werden, denn das Altschuldenhilfegesetz ist mit einer "Beschleunigungsauflage" versehen. Mit jedem Jahr, das verstreicht, müssen die Wohnungsbaugesellschaften und - genossenschaften einen um 10% größeren Anteil ihrer Erlöse aus Privatisierungsverkäufen an den Erblastentilgungsfonds des Finanzministers Waigel abführen. 1995 betrug dieser Anteil noch 30%, 1996 liegt er bei 40% und 1997 wird er 50% betragen, usw. Die Zeit drängt also, wollen die Wohnungsunternehmen auch noch etwas vom Verkauf haben. So erklärt sich auch die hektische Betriebsamkeit der kommunalen Wohnungsunternehmen zum Jahreswechsel, noch größere Kontingente ihres Bestandes an Immobiliengesellschaften zu verkaufen. Die Mieter/innen blieben dabei auf der Strecke.
 
Der Zwischenerwerber als Enderwerber
 
Die Bundesregierung will nun den schleppenden Verkauf forcieren. Sogenannte Zwischenerwerber können, wenn weniger als ein Drittel der Mieter/innen in den zum Verkauf ausgewählten Objekten Interesse am Kauf ihrer eigenen vier Wände haben, Wohnungen kaufen. Diese Verkäufe werden auf die 15%ige Privatisierungsquote der Wohnungsunternehmen angerechnet. Die Zwischenerwerber, in der Mehrzahl der Fälle werden dies große Immobliengesellschaften oder Banken sein, können dann 60% der erworbenen Wohnungen behalten bzw. weiterverkaufen. Hier eröffnet sich ein neues Betätigungsfeld für gewinnträchtige Umwandlungsspekulation. Und es dürfte mehr als fraglich sein, ob die Zusage, die restlichen 40% an Mieter/innen zu verkaufen, eingehalten wird. Das Versprechen, vorrangig an Mieter/innen verkaufen zu wollen, erhält somit eine reine Alibifunktion.
 
Privatisierung als wohnungspolitisches Instrument?
 
Im Grunde geht es bei der Problematik der Altschulden um eine Angleichung an westdeutsche Eigentumsstruktur und die Übertragung des Konzepts marktwirtschaftlicher Wohnungswirtschaft. Und eigentlich geht es um das Letztgenannte und damit um die Umverteilung des Wohnungsbestandes zugunsten von Immobiliengesellschaften und Banken. Denn rechnet man die Genossenschaften ebenfalls zum privat genutzten Eigentum, so ist die Quote beim selbstgenutzten Eigentum in Ost- und Westdeutschland annähernd gleich.
 
In wohnungspolitischer Hinsicht ist die Privatisierung ein fragwürdiges Instrument, denn es
  • schafft beim Kauf einer Eigentumswohnung keinen neuen Wohnraum;
  • führt zu geringerer Flexibilität bei Verkleinerung der Haushaltsgröße und damit zu größerem Wohnflächenverbrauch;
  • bietet steuerliche Vergünstigungen für Gutverdienende, die Mieter/innen nicht zugute kommen, und die andererseits Steuermindereinnahmen zur Folge haben, die für den sozialen Wohnungsbau fehlen.

Die Privatisierung ist ein Aspekt des Rückzuges des Staates aus der Wohnungspolitik, damit für eine Entfaltung des "freien Marktes" alle Hemmnisse aus dem Weg geräumt sind. Und hier schließt sich der Kreis zu den Westberliner Mieter/innen.
 
Privatisierung in West-Berlin
 
Zwar sind die Westberliner städtischen Wohnungsunternehmen nicht vom Altschuldenhilfegesetz gebeutelt, doch auch sie sollen 15% ihres Bestandes privatisieren. Folge ist ein verringerter Bestand und damit verbunden geringere wohnungsmarktpolitische Einflußmöglichkeiten des Senats - so denn gewollt - auf Mietentwicklung und Belegung. Und die Vorstellung, vorrangig an Mieter/innen verkaufen zu wollen, hat sich auch hier als Wunschdenken entpuppt. So haben 1989 9% und 1994 nur noch 5% der Mieter/innen ihre Wohnung gekauft.
 
Doch allen Gegenargumenten zum Trotz propagiert die von der Bundesregierung beauftragte "Expertenkommission" die Erhöhung der Eigentumsquote als ein Mittel, um die Wohnungsmisere zu beheben. Denn nach ihrer Auffassung "wird die Erhöhung der Selbstnutzerquote als prinzipiell wünschenswert angesehen, weil das Erleben von Eigentum und der Gewinn an Unabhängigkeit im eigenen Heim Lerneffekte in Gang setzt, die für den Zusammenhalt des Gemeinswesens nützlich sind, eine Bejahung der Gesellschaftsordnung (...) und somit eine geringere Neigung zur Radikalisierung" fördern *) Noch Fragen?
 
U.P.
 
Anmerkung
*) Wohnungspolitik auf dem Prüfstand, Gutachten der "Expertenkommission Wohnungspolitik", S. 75
 
MieterEcho-Archiv | Inhaltsverzeichnis Nr. 255