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Wohnungspolitik

Berliner Wohnungspolitik: Teil 1 – Die 90er Jahre


Die 90er Jahre waren die Zeit der großen Koalition zwischen der CDU, mit Eberhard Diepgen als Regierendem Bürgermeister, und der SPD. Es mag rückblickend verwundern, wie geduldig die Berliner/innen diese Regierung ertrugen, aber irgendwie gab es keine Alternative. Ein politischer Fatalismus kam hinzu und vielleicht auch eine gute Portion Gleichgültigkeit.

Diese Stadt ist nicht berühmt für die Qualität ihres politischen Personals, von Brandt und Schiller in früheren Zeiten abgesehen. Westberlin war zwar ein faszinierender Ort, aber wegen seiner insulären Lage ungeeignet für politische Karrieren auf Bundesebene.

Und auch nach der Wende wurde die Tradition fortgesetzt, Amateuren die Regierung zu überlassen. Dennoch sind mit den einzelnen Senatoren deutlich unterscheidbare Abschnitte in der Geschichte der Wohnungspolitik verknüpft.

Wohnungspolitik ist kein isoliertes Politikfeld. Sie ist verbunden mit der Sozialpolitik und im Zeitalter des Neoliberalismus zunehmend mit der Wirtschafts- und vor allem der Finanzpolitik. Die Aufmerksamkeit gilt daher den Ressorts Wohnungs- und Finanzverwaltung.

Finanzsenator war von 1991 bis 1996 der Weinhändler Elmar Pieroth. Über ihn lässt sich nur sagen, dass er eine tragende Rolle im Weinpanscherskandal des Familienunternehmens Pieroth gespielt haben soll. Vollständig aufgeklärt ist die Sache allerdings immer noch nicht. Wer sich heute noch dafür interessiert, wie Traubensaft mit Frostschutzmittel verbessert wurde und die rheinland-pfälzische Politik große Anstrengungen unternahm, den Fall unaufgeklärt zu lassen, findet Lesenswertes im Online-Archiv des Spiegels.

Wohnungspolitik von 1991 bis 1996

Die Wende brachte einen starken Zuwachs an kommunalen Wohnungen. 246.000 oder 39% der Ostberliner Wohnungen gehörten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. In Westberlin waren es zur gleichen Zeit 236.000 Wohnungen oder 24% des Gesamtbestands. Insgesamt verfügte Berlin damit über 482.000 landeseigene Wohnungen, ein soziales Gut, das erhalten, gepflegt und ausgebaut gehört hätte.

Doch die Politik fühlte sich mehr dem Markt verpflichtet als den Bewohner/innen Berlins. Die sogenannten Altschulden, rein rechnerische Größen in der staatlichen Buchführung der DDR ohne realen Wert, mussten herhalten, um die östlichen Wohnungsbaugesellschaften zum Verkauf von 15% ihrer Bestände zu zwingen. Verkauft wurde zunächst an die Mieter, dann auch an Zwischenerwerber. Die später so erfolgreiche Argumentation der Verschuldung der Wohnungsbaugesellschaften und die notwendige Sanierung der Haushaltskassen wurde hier eingeübt. Weil sich das Verfahren als erfolgreich erwies und es auch mit Gerechtigkeitsfloskeln garniert werden konnte, bekamen die kommunalen Westberliner Wohnungsbaugesellschaften wenig später durch den Senat die gleiche Auflage (diesmal ohne Altschulden und noch längst nicht mit der Begründung der leeren Haushaltskassen). Dadurch erhoffte sich die Politik eine Verringerung des sozialen Bestands bzw. eine Überführung von über 72.000 Wohnungen auf den freien Markt. Tatsächlich wurden es aber wesentlich mehr.

Gleichzeitig fand eine ungeahnte Bautätigkeit statt. War in Westberlin schon in den späten 80er Jahren die Wohnungsnot spürbar, so drohte sich die Situation in der vereinigten Hauptstadt durch den prognostizierten Zuzug aus aller Herren Länder, insbesondere aus Bonn, noch weiter zuzuspitzen.

Es war eine glückliche Fügung für die Stadt, dass der seinerzeitige SPD-Bausenator Wolfgang Nagel diese Bedrohung ernst nahm und sich in der euphorischen Erwartung eines Aufschwungs der Stadt enorm verkalkulierte. Es wurde soviel in Berlin gebaut, dass Nagel – unter Anspielung auf die mittlerweile verfilmte Roman-Trilogie J. R. R. Tolkiens – der „Herr der Kräne“ genannt wurde.

Wolfgang Nagel, Wohnungsbausenator von 1989 bis 1996, wechselte nach seiner Amtszeit wie fast alle Bausenatoren vor ihm – und bestimmt auch noch nach ihm – in die wesentlich besser zahlende Bauwirtschaft. Er wurde Geschäftsführer bei der Fundus-Gruppe von Anno August Jagdfeld, bekannt durch seine, von Toni Sachs-Pfeiffer unterstützten, Ambitionen für das Tacheles-Gelände. Toni Sachs-Pfeiffer ist übrigens die Gattin des empirica-Chefs Ulrich Pfeiffer, des ehemaligen Sprechers des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung und jetzigen Aufsichtsratsvorsitzenden der WBM.

Wohnungspolitik von 1996 bis 1999

Die Abgeordnetenhauswahlen von 1995 bestätigten die große Koalition unter Eberhard Diepgen, brachten aber sowohl für die Finanz- als auch für die Bauverwaltung Änderungen, die noch weit in die Zukunft wirken werden. Das Finanzressort vertrauten die Sozialdemokraten der Unternehmensberaterin Dr. Annette Fugmann-Heesing an.

Dr. Annette Fugmann-Heesing stieg in die höchsten Ränge der Berliner Sozialdemokratie auf. Es schien, als würden sozialdemokratische Lemminge all ihre im letzten Jahrhundert erworbenen sozialen Errungenschaften ersäufen wollen und suchten dafür eine Führung. In der Unternehmensberaterin wurde sie gefunden. Wenn es irgendwo irgendetwas zu verkaufen gab, Dr. Fugmann-Heesing war immer vorneweg und verlor auch ihre persönlichen Vorteile nie aus den Augen.

„Fugmann-Heesing war von 1996 bis 2000 Aufsichtsratsmitglied der Bankgesellschaft Berlin sowie von 1996 bis 2001 der Landesbank Berlin (LBB). Die Geschäftspolitik der Bankgesellschaft Berlin, die 2001 im Berliner Bankenskandal mundete, fand unter ihrer Aufsicht statt. Ihre Aufsichtsratsmandate bei der Berlin Brandenburg Flughafen- Holding legte Fugmann-Heesing 1999 nieder, nachdem das Oberlandesgericht Brandenburg ein Ausschreibungsverfahren zu einem Grosprojekt wegen ihres Doppelmandats sowohl auf Bieterseite, als auch auf der Ausschreibungsseite, für ungültig erklärte. Nach ihrer Zeit als Senatorin in Berlin war sie im Auftrag des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping Geschaftsführerin der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb der Bundeswehr (g.e.b.b.) geworden. Nach ihrem Ausscheiden aus dieser Funktion ist sie seit 2002 als Beraterin der Unternehmensberatungsgesellschaft BBD Berliner Beratungsdienste tätig. In dieser Funktion war sie nicht unwesentlich an der Einführung des Modells der Public Private Partnership (PPP) für die Schulen im Landkreis Offenbach in Hessen beteiligt. Seit dem 28. Mai 2008 ist sie Mitglied und Vorsitzende des Hochschulrates der Universitat Bielefeld.“ (www.wikipedia.de)

Ihr Partner in der Bauverwaltung wurde Jürgen Klemann, der den Ehrgeiz hatte, als Stratege der Wohnungspolitik in die Berliner Geschichte einzugehen. Er entwickelte das Vier-Säulen-Modell der „Eigentumsstrategie Berlin 2000“.

Bausenator von 1996 bis 1999: Jürgen Klemann. Gab es ihn wirklich? Seine Mitarbeiter waren nur schwer zu überzeugen: „Statt eines Konterfeis prangt ein schwarzer Fleck auf dem Flugblatt. ‚An dieser Stelle wollten wir Herrn Jürgen Klemann, den neuen Senator für Bauen, Wohnen und Verkehr, vorstellen’, steht auf dem Zettel, der in den Amtsstuben der Berliner Bauverwaltung zirkuliert. ‚Wir haben ihn aber noch nicht gesehen.’ Die Klage ist bezeichnend. Denn Berlins Bausenator glänzt auf dem politischen Parkett vor allem durch Abwesenheit. Durch die Gazetten geistert Klemann als ‚Phantom’.“ (www.focus.de)

Die Mittel für die Förderung der Eigentum erwerbenden Mittelschicht stellte der Senat gern bereit. Finanzsenatorin Fugmann-Heesing und Bausenator Klemann pflegten zu argumentieren, soziale Ausgaben müssten zwar wegen der leeren Haushaltskasse unterbleiben, aber der Erwerb von Eigentum solle gefördert werden, um die besser verdienenden Schichten in der Stadt zu halten. Tatsächlich bedurften die Mittelschichten keines Anreizes, denn sie interessierten sich ohnehin eher für die urbanen Erlebnisräume in der „quirligen“ Innenstadt als für das dröge Eigenheim im Grünen. Diese Feststellung machte der dritte Senator im Bunde, der Stadtentwickler Peter Strieder, zur Grundlage seiner Politik. Der Eigentumsentwicklung und der Mittelschichtsorientierung mindestens eben so verpflichtet wie die Kolleg/innen, gelang es ihm zudem, das soziale Subjekt, die Mittelschicht, mit dem Begriff „Urbaniten“ zu belegen und damit die diffuse Klemannsche Argumentation durch begriffliche Pseudoschärfe zu übertrumpfen. Gleichzeitig trat er mit dem Masterplan, dem Planwerk für die Entwicklung der Berliner Innenstadt, an die Öffentlichkeit, der ihm die ungetrübte Aufmerksamkeit des Fachpersonals einbrachte, wenn auch meist verbunden mit verwundertem Abscheu.

Diesem Trio gelang 1998 der grose Coup: Der Verkauf der Gehag mit 32.000 Wohnungen.

1992 wurde Peter Strieder Bezirksbürgermeister von Berlin-Kreuzberg. Ein Mann mit Visionen, aber seiner Zeit immer einen Tick zu weit voraus, was ihn schließlich straucheln lies. In Kreuzberg zeichnet er für das berühmt-berüchtigte Papier „Kreuzberg 2000“ verantwortlich, in dem er, die Gentrifizierung um 15 Jahre vorweg nehmend, den wirtschaftlich schwachen Kreuzbergern empfahl, sich langsam aber sicher nach einer Bleibe in der Vorstadt umzusehen. Sein Masterplan, das „Planwerk Innenstadt“, war sein Frühwerk als Senator und verschaffte ihm große Popularität. Zusammen mit Dr. Dieter Hoffmann-Axthelm wollte er die Innenstadt von den Überresten der DDR befreien und den Urbaniten der Mittelschicht übereignen, noch bevor sich genügend kleinbürgerliche Yuppies angesiedelt hatten.

Es wurde vermutet, dass ihn eine Art politischer Todessehnsucht zu dem Engagement für das Tempodrom trieb, das unaufhörlich zu fördern er nicht lassen konnte, bis ihn die Partei und die Staatsanwaltschaft von dieser Obsession sowie von Amt und Parteiwürden befreiten.

Strieder als romantischer Held? Nicht vorstellbar! Zum Politikberater, der er danach wurde, eignete er sich einfach von Anfang an besser, und so sehen es heute auch viele seiner ehemaligen Parteifreunde.

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Wesentlich weitreichender als der Verkauf der Gehag war die wirtschaftliche Zerschlagung der öffentlichen Wohnungsbauunternehmen durch die In-sich-Geschäfte. Verglichen mit den Immobiliengeschäften der Landesbank Berlin, die zum Bankenskandal führten und die Fugmann-Heesing als Aufsichtsratsmitglied mittrug, war das Hütchenspiel mit den Wohnungsbauunternehmen eine hoch seriöse Transaktion. Eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft musste die andere kaufen und den Preis an den Senat abführen. Dadurch wurden die Vermögenswerte der Gesellschaften halbiert. Anschließend wurde ihre unzureichende finanzielle Ausstattung bejammert und schließlich lauthals klagend ihre Privatisierung eingefordert.

Während der 90er Jahre vollzog sich eine wichtige Wandlung in der Organisation der Senatsverwaltungen und ihres politischen Einflusses auf das Wohnungswesen. Im Diepgen-Senat von 1991 bis 1996 bestanden die Ressorts Stadtentwicklung und Bauwesen nebeneinander. Die Stadtentwicklung wurde von dem der Schöngeisterei zugeneigten Volker Hassemer (CDU) zelebriert und das Bauwesen durch den hemdsärmligen Wolfgang Nagel nachhaltig wahrgenommen. In der folgenden Legislaturperiode existierten zwar noch beide Verwaltungen, die politische Bedeutung verschob sich aber zugunsten der Stadtplanung, was nicht zuletzt ihrem öffentlichkeitswirksamen und konsequent liberal agierenden Repräsentanten Strieder geschuldet war. Der letzte Diepgen-Senat von 1999 bis 2001 kannte konsequenterweise nur noch ein Ressort für die beiden Bereiche: die Stadtentwicklung unter der Leitung von Peter Strieder.

Um das seltsam widersprüchliche Jahrzehnt der Wohnungspolitik würdigen zu können und zugleich eine Basis für die Beurteilung der Arbeit des heutigen rot-roten Senats zu erhalten, sollen einige statistische Angaben die wichtigsten Entwicklungen verdeutlichen.
 

Bevölkerung    Wohnungsbestand
1990    3.433.695 1.716.271
2000 3.382.169 1.862.766
Haushalte und Haushaltsgrößen:    1991 2000
Berlin West 1.161.800    1.143.400
Einpersonenhaushalte    574.700    557.700
Mehrpersonenhaushalte       587.200    585.600
Berlin Ost    592.700    679.400
Einpersonenhaushalte    212.300    308.800
Mehrpersonenhaushalte    380.400    371.700
Berlin Gesamt 1.754.600 1.822.800
Einpersonenhaushalte    787.000    865.800
Mehrpersonenhaushalte    967.600    957.100
Wohnungsbau:    Baugenehmigungen    Bauausführungen
1991    11.208 10.717 (Anzahl Wohnungen)
1992 10.976 10.906
1993 15.768   9.415
1994 21.298 11.377
1995 29.457 15.852
1996 26.445 22.744
1997 25.774 32.965
1998 13.223 17.729
1999 10.849 12.589
2000   7.719   9.064

 

Struktur der Berliner Mietwohnungen nach Eigentümergruppen (2000)

Städtische Wohnungen 397.000    24%
Genossenschaftswohnungen    186.000 11%
BBU (Gemeinnützige) 190.000 11%
Sonstige Eigentümer (privat) 897.000 54%
89,6% Mietwohnungen
10,4% Selbstgenutztes Eigentum

(Daten aus: Wohnungsmarktbericht 1991-2000, Senatsverwaltung für Stadt­entwicklung und Investitionsbank Berlin. PDF, 1,3 MB)

 

Fazit

In den 90er Jahren dominierten zwei Tendenzen: zum einen der Neubau von Wohnungen, der das Angebot stark erhöht hat, und zum anderen die Liberalisierung, in deren Folge öffentliche Wohnungsbaugesellschaften finanziell ausbluteten und landeseigene Wohnungen privatisiert wurden. Trotz der entschieden liberalen Absichten der politischen Akteure beschränkte sich allerdings die Privatisierung auf 85.000 Wohnungen. Der verbleibende Teil von knapp 400.000 Wohnungen bildete immerhin noch ein Potenzial, mit dem eine politische Steuerung des Markts möglich gewesen war.

Negative Folgen der Privatisierung blieben zudem aus, weil das Angebot stark ausgeweitet wurde. Es muss allerdings an dieser Stelle einschränkend bemerkt werden, dass die Zahlen des Wohnungsbestands immer stark geschont sind, weil die Statistik die Wohnungsabgänge, d. h. den Schwund von Wohnungen durch Abriss, Umwidmung etc. fast gar nicht oder bestenfalls nur unzureichend erfasst.

 

... weiter mit „Berliner Wohnungspolitik: Teil 2 - Die rot-rote Koalition“ ...

 

(Dieser Artikel ist ursprünglich im MieterEcho Nr. 335 (August 2009) erschienen.)