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Mietrecht

Urteile

Verwertungskündigung und Bestandsinteresse

a) Die Kündigung nach § 573 Absatz 2 Nr. 3 BGB setzt einen erheblichen Nachteil beim Vermieter selbst voraus; ein Nachteil bei einer mit der vermietenden Gesellschaft persönlich und wirtschaftlich verbundenen „Schwestergesellschaft“ reicht insoweit nicht aus.
b) Zum Erfordernis einer konkreten Darlegung eines „erheblichen Nachteils“ des Vermieters bei der Verwertungskündigung.

BGH Urteil vom 27.09.2017 – AZ VIII ZR 243/16 –

Die Mieterin einer 190 m² großen Wohnung in einem Wohn- und Geschäftshaus, in welchem außer ihr noch eine Arztpraxis und eine Apotheke untergebracht waren, erhielt im Juni 2015 eine Kündigung ihrer Vermieterin. Diese, eine GmbH & Co. KG, erklärte, dass sie beabsichtige, das Wohn- und Geschäftshaus abzureißen und derart neu zu bauen, dass das auf dem Nachbargrundstück in den dort befindlichen Gewerberäumen ansässige Modegeschäft angemessen erweitert werden könne. Das Nachbargrundstück habe sie an eine GmbH & Co. KG, die Betreiberin des Modegeschäfts, verpachtet. Die Komplementärinnen beider Gesellschaften würden von derselben Geschäftsführerin, Frau K., vertreten, die Gesellschaften seien sowohl persönlich als auch wirtschaftlich verbunden. Auch unter Berücksichtigung der notwendigen Investitionen für Abriss und Neubau seien bei langfristiger Verpachtung auch dieses Grundstücks deutlich höhere Erträge zu erwirtschaften als bei Fortsetzung der bisherigen Mietverhältnisse. Das Amtsgericht St. Blasien und das Landgericht Waldshut-Tiengen hielten die Kündigung für wirksam und verurteilten die Mieterin zur Räumung. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts auf die Revision der Mieterin jedoch auf. Zwar stelle der Plan der Vermieterin „eine angemessene wirtschaftliche Verwertung“ dar und sei von „vernünftigen und nachvollziehbaren Erwägungen getragen“. Fraglich sei jedoch, ob ihr durch den Fortbestand des Mietverhältnisses „erhebliche Nachteile“ entstehen würden. Die Beurteilung dieser Frage sei „vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen“ . Der Vermieter habe vor diesem Hintergrund „keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeit, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil verspricht“ . Denn auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung sei durch das Grundgesetz geschützt. Folglich begründe „nicht bereits jeder aus dem Fortbestand des Mietverhältnisses dem Vermieter erwachsende Nachteil einen Anspruch des Vermieters auf Räumung der Wohnung“. Die Nachteile des Vermieters dürften jedoch auch keinen Umfang annehmen, der die dem Mieter bei Räumung der Wohnung entstehenden Nachteile weit übersteigt. Insbesondere darf es nicht auf Fälle andernfalls drohenden Existenzverlustes reduziert werden. Diese im Rahmen des § 573 Absatz 2 Nr. 3 BGB erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse der Mieterin und dem Verwertungsinteresse der Vermieterin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls habe das Landgericht nicht in richtiger Weise vorgenommen. Es habe keine Feststellungen dazu getroffen, „inwiefern bei der gegenwärtigen Lage (konkrete) Nachteile für die wirtschaftliche Situation der Klägerin zu besorgen sind“. Die Auffassung des Landgerichts laufe darauf hinaus, dass ein zur Kündigung berechtigender Nachteil bereits dann vorläge, wenn der Vermieter mit der Wohnung nicht nach Belieben verfahren kann. Dies sei mit der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar. Zudem habe das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass auch die wirtschaftlichen Belange der „Schwestergesellschaft“ der Vermieterin, die das Modehaus betreibt, zu berücksichtigen seien. Es handele sich jedoch um verschiedene Gesellschaften, woran die persönliche und wirtschaftliche Verflechtung nichts ändere. Der Kündigungsgrund des § 573 Absatz 2 Nr. 3 BGB setze aber erhebliche Nachteile des Vermieters selbst voraus. Allein solche seien maßgeblich, nicht dagegen, inwieweit durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses Belange Dritter berührt würden.

 

 


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