Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Eigenbedarfskündigung wegen Betriebsbedarfs und Interessenabwägung

a) Die Beurteilung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 Absatz 1 Satz 1 BGB vorliegt, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung. Sie erfordert vielmehr eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls.
b) Dies gilt auch für die Geltendmachung eines Berufs- oder Geschäftsbedarfs. Es ist nicht zulässig, eine solche Fallgestaltung als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln und von einer an den Einzelfallumständen ausgerichteten Abwägung der beiderseitigen Belange abzusehen.
c) Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist allerdings im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zum Schutz des Mieters eigens geschaffene Härteregelung des § 574 BGB zu beachten, dass die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall (individuelle Härte) erst auf Widerspruch des Mieters und nicht schon bei der Abwägung der gegenseitigen Belange im Rahmen der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse für die Kündigung vorliegt, zu berücksichtigen sind. Aufseiten des Mieters sind daher – anders als bei den Vermieterinteressen, die vollständig einzufließen haben – (nur) die unabhängig von seiner konkreten Situation bestehenden Belange in die Abwägung einzustellen, also das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den beträchtlichen Kosten und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, die ein Wohnungswechsel in der Regel mit sich bringt.
d) Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte weiter zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) geschützt sind. Vom Schutzbereich der verfassungsrechtlich verbürgten Eigentumsgarantie des Vermieters ist dabei nicht nur dessen Wunsch erfasst, die Wohnung zu privaten Zwecken zu nutzen, sondern auch dessen Absicht, sie für eine wirtschaftliche Betätigung zu verwenden.
e) Neben der Eigentumsgarantie kommt den Grundrechten der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG) und des Grundrechts auf Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Absatz 1 GG) regelmäßig keine selbständige Bedeutung zu.
f) Auch wenn sich allgemein verbindliche Betrachtungen hinsichtlich der vorzunehmenden Einzelfallabwägung verbieten, ist zu beachten, dass die typisierten Regeltatbestände des § 573 Absatz 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB einen ersten Anhalt für die erforderliche Interessenbewertung und -abwägung geben. Das Interesse des Vermieters, die betreffende Wohnung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken selbst zu nutzen, ist von der Interessenlage her regelmäßig zwischen den typisierten Regeltatbeständen des Eigenbedarfs und der wirtschaftlichen Verwertung anzusiedeln. Auch insoweit verbietet sich zwar eine Festlegung allgemein verbindlicher Grundsätze. Es lassen sich jedoch anhand bestimmter Fallgruppen grobe Leitlinien bilden.
g) So weist der Entschluss eines Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen (sogenannte Mischnutzung), eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB auf, da er in solchen Fallgestaltungen in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen will. In diesen Fällen wird es regelmäßig ausreichen, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde, was bei einer auf nachvollziehbaren und vernünftigen Erwägungen der Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein dürfte. Entsprechendes gilt, wenn die Mischnutzung durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Vermieters erfolgen soll.
h) Dagegen weisen Fälle, in denen der Vermieter oder sein Ehegatte/Lebenspartner die Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, eine größere Nähe zur Verwertungskündigung nach § 573 Absatz 2 Nr. 3 BGB auf. Angesichts des Umstands, dass der Mieter allein aus geschäftlich motivierten Gründen von seinem räumlichen Lebensmittelpunkt verdrängt werden soll, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z. B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen).

BGH Urteil vom 29.03.2017 – AZ VIII ZR 45/16 –

Nachdem der Bundesgerichtshof bereits vor längerer Zeit klargestellt hat, dass grundsätzlich auch die vom Vermieter beabsichtigte Nutzung einer Wohnung für berufliche Zwecke ein berechtigtes Interesse (§ 573 Absatz 1 Satz 1 BGB) an der Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses begründen kann, hat er nun Leitlinien zum Umgang mit derartigen Kündigungen formuliert. Im zu entscheidenden Fall hatte die Vermieterin die seit 1977 an den Mieter vermietete Wohnung in Berlin mit der Begründung gekündigt, ihr Ehemann benötige diese zur Erweiterung seines im gleichen Hause befindlichen Büros, welches insbesondere durch dort gelagerte Akten aus den vergangenen 30 Jahren überfrachtet sei. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass bei Kündigungen wegen sogenannten Berufs- oder Geschäftsbedarfs zu unterscheiden sei, ob der Vermieter die Wohnung ausschließlich zur geschäftlichen Nutzung oder für eine gemischte Nutzung (Wohnen und Arbeiten) benötige. Der zweite Fall läge näher an einer klassischen Eigenbedarfskündigung, weshalb hierfür ausreiche, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug der Wohnung ein „beachtenswerter Nachteil“ entstünde, was bei einer nachvollziehbaren und vernünftigen Lebensplanung des Vermieters (bzw. des/der Angehörigen oder Lebenspartners/Lebenspartnerin) häufig der Fall sein dürfte. Wolle der Vermieter (bzw. sein/e Angehörige/r oder Lebenspartner/in) die Wohnung dagegen ausschließlich geschäftlich nutzen, bestünde eine größere Nähe zur „Verwertungskündigung“ , welche nur möglich sei, wenn dem Vermieter anderenfalls ein „Nachteil von einigem Gewicht“ drohe. Dies verneinte der Bundesgerichtshof für den vorliegenden Fall. Die Räumungsklage der Vermieterin hatte daher keinen Erfolg. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Vermieterin oder ihrem Ehemann ein nicht nur unerheblicher Nachteil dadurch entstehen sollte, dass er einen größeren Teil des störenden, teilweise dreißig Jahre zurückreichenden Aktenbestands in andere, etwas entferntere Räumlichkeiten auslagert.

 

 

 


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