Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online – 24.05.2011

Wohnungskrise ist amtlich

 
Eine Studie belegt, dass nur ein kleiner Teil der leer stehenden Wohnungen überhaupt angeboten wird

Hermann Werle

 
Die Ursache der jahrelangen wohnungspolitischen Tatenlosigkeit der Berliner Landesregierung ist der Glaube an einen entspannten Wohnungsmarkt. Dass der Wohnungsmarkt entspannt ist, soll die angeblich hohe Leerstandsquote beweisen. Durch eine Befragung von Wohnungseigentümern liegen dem Senat nun Zahlen zum Wohnungsleerstand vor, die das Gegenteil belegen: Nur ein Bruchteil der leer stehenden Wohnungen steht dem Wohnungsmarkt tatsächlich zur Verfügung. Bei einer weiteren Zunahme der Haushalte – wovon auszugehen ist – besteht akuter Handlungsbedarf.

„Alles, was hier wichtig ist, ist, dass wir tatsächlich Wohnungsbau brauchen.“ Diese Feststellung, dem Wortprotokoll des Abgeordnetenhauses vom 17. Februar 2011 entnommen, wünscht man sich seit Jahren aus den Reihen der Regierungsmannschaft um Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Aber weit gefehlt, der FDP-Abgeordnete Klaus-Peter von Lüdeke fordert hier zwar Wohnungsbau, allerdings nicht ohne den Hinweis, „dass wir alle keinen sozialen Wohnungsbau mehr wollen“, was „doch wohl klar sein“ dürfte. Klar ist natürlich vor allem, dass es zu viel verlangt wäre, von der FDP ein Bekenntnis zu etwas Sozialem zu erhoffen. Lüdeke spricht aber immerhin mit der Forderung nach Wohnungsbau ein Thema an, zu dem die zuständige Senatorin weiterhin zu schweigen pflegt. Berlin habe ein „unvergleichlich breites Wohnungsangebot“, so Ingeborg Junge-Reyer (SPD) in ihrem Vorwort zum Jahresbericht 2011 des Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, wo sie weiterhin die Meinung vertritt, dass es ein „breites Spektrum an Mietwohnungen für die mittlere Einkommensklasse wie auch für Haushalte mit geringem Einkommen“ gebe.
 

Übertriebene Leerstandszahlen

Die Senatorin sollte es inzwischen besser wissen, kennt sie doch die Daten des neuen Mietspiegels sowie die Ergebnisse und Prognosen aus ihrer eigenen Verwaltung. Die Beratungsgesellschaft Analyse & Konzepte hatte Hauseigentümer zum Thema Wohnungsleerstand befragt und kommt zu dem Ergebnis, dass „zwei Drittel der leer stehenden Wohnungen derzeit nicht am Markt angeboten“ werden. Das wären rund 90.000 der 140.000 leer stehenden Wohnungen, die der Wohnungsmarktbericht 2009 der Investitionsbank Berlin angibt und auf den sich die Studie bezieht. Der nach der Befragung veröffentlichte neuere Wohnungsmarktbericht von 2010 geht sogar von nur noch 133.000 leer stehenden Wohnungen aus. Von rund 1,9 Millionen des gesamten Berliner Bestands machen 90.000 Wohnungen knapp 5% aus, und zu ihnen gehören Wohnungen, deren baulicher Zustand eine Vermietung nicht zulässt oder für die z. B. „keine Baugenehmigung für Zusammenlegung“ vorliegt. Eine zweite Gruppe von Wohnungen, die dem Wohnungsmarkt aktuell nicht zur Verfügung steht, wird „bewusst nicht vermietet“, „da unterschiedliche Sanierungs- bzw. Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden bzw. geplant sind“ oder sie in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen. Völlig ungewiss ist, „wann und in welchem Umfang diese grundsätzlich marktfähigen Wohnungen tatsächlich wieder dem Angebot zugeführt, also marktaktiv werden“. Das hängt unter anderem davon ab, ob sich geplante Modernisierungen durch entsprechend hohe Mieten refinanzieren lassen, wie viele dieser Wohnungen sich in Umwandlung befinden oder aus spekulativen Gründen leer stehen.

Tatsächlich verbleiben somit lediglich etwas über 50.000 leer stehende Wohnungen, die zur Vermietung angeboten werden. Dieser Leerstand entspricht 2,7% des Gesamtbestands und bildet somit „einen großen Teil der Fluktuationsreserve, die notwendig ist, um Wohnungswechsel und Instandhaltung zu ermöglichen“. Bei diesen marktaktiven Wohnungen handelt es sich um „überwiegend längere Leerstände von 6 und mehr Monaten“, was laut dem Bericht von Analyse & Konzepte darauf zurückzuführen ist, dass sie in „qualitativer Hinsicht nicht den Nachfragewünschen entsprechen“, weil sie z. B. keine Fenster in der Küche oder im Bad haben oder weil die Wohnungsgrößen und Grundrisse unpassend sind.
 

Mangel an kleinen, preisgünstigen Wohnungen

Resümierend hält die Befragung fest, dass es trotz der noch vorhandenen Fluktuationsreserve zu Nachfrageüberhängen in einzelnen Marktsegmenten oder Stadtgebieten kommen kann. Eine Einschätzung, der Wohnungssuchende aus eigener Erfahrung sofort zustimmen werden. Dass es in absehbarer Zeit knapp wird, bestätigt sogar eine Wohnungsmarktvorausschätzung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Ausgehend vom weiteren stetigen Anstieg der Zahl der Haushalte um 127.700 bis zum Jahr 2020 wird bereits im Jahr 2015 der Leerstand soweit abgeschmolzen sein, dass die derzeit nicht am Markt befindlichen Wohnungen marktfähig gemacht und ab 2020 verstärkt Wohnungen gebaut werden müssten. Diese Prognose geht allerdings von einer notwendigen Fluktuationsreserve von lediglich 2,5 % aus und klammert Entwicklungen auf Teilmärkten sowie die geringe Kaufkraft der 1-Personen-Haushalte aus. Diese machen über eine Million der Berliner Haushalte aus, und rund 400.000 von ihnen müssen mit weniger als 900 Euro im Monat auskommen. Gerade im unteren Preissegment bei kleineren Wohnungen reicht das Wohnungsangebot bei Weitem nicht aus, und zudem stehen die Mietkosten in keinem Verhältnis zur Einkommensentwicklung.
 

Fluktuationsreserve

Wohnungsleerstände sind ein Indikator zur Bewertung eines Wohnungsmarkts, wobei ein funktionierender Wohnungsmarkt eine gewisse Anzahl leer stehender Wohnungen voraussetzt, die als Fluktuationsreserve bezeichnet wird. Diese Reserve ermöglicht Wohnungssuchenden, auf veränderte Wünsche oder Einkommensverhältnisse zu reagieren. Gerade Letzteres erhält Bedeutung in einem Niedriglohngebiet wie Berlin, wo eine Reserve von 3% (rund 56.000 Wohnungen) als ausreichend angesehen wird. Die Fluktuationsreserve lässt sich jedoch nicht aus ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ableiten und ist angesichts einer zunehmenden Ausdifferenzierung des Wohnungsmarkts in kleinere Teilmärkte ein politisch zu bestimmender Wert. Aus diesem ließe sich wiederum politisches Handeln begründen, wie z. B. ein Zweckentfremdungsverbot, welches die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen oder andere Gewerbenutzung verbietet.
 

Gesamt-bestandStichtags-leerstand6-Monats-leerstandMarkt-aktiver LeerstandMarkt-fähiger LeerstandLeerstand nicht marktfähig
Absolut1,89 Mio140.198103.00050.50076.50014.250
Prozent100%7,4%5,4%2,7%4,0%0,8%

Quellen: IBB (2009), Analyse & Konzepte

 
Dieser Artikel ist ein Vorabdruck aus dem MieterEcho Nr. 347, das am 30. Mai 2011 erscheint.

 
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