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MieterEcho online 22.06.2017

Wohnungsnot erreicht die Provinz

Berlin hat die höchsten Mietpreissteigerungen bei Neu- und Erstvermietungen
Wohnungsmangel ist längst kein Zustand mehr, der in erster Linie Groß- und Universitätsstädte sowie wirtschaftlich prosperierende Ballungsräume betrifft. Mittlerweise ist in 138 Städten und Landkreisen, also in mehr als einem Drittel, von einer deutlichen Diskrepanz zwischen Angebot und Bedarf auszugehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos, die am Donnerstag in Berlin im Rahmen des von Fachverbänden veranstalteten Wohnungsbautages vorgestellt wurde. Nicht nur für Gering-, sondern auch für Durchschnittsverdiener werde es zunehmend schwieriger angemessenen Wohnraum zu finden, heißt es in der Studie. Bei einem Median-Haushaltseinkommen von 2170 Euro, das den Mittelwert und nicht den Durchschnitt abbildet, stehen bei einer gerade noch akzeptablen Belastung von 35 Prozent für Wohnkosten rund 760 Euro für die Warmmiete zur Verfügung. Doch besonders für Familien sei es  in vielen Städten und Kreisen kaum noch möglich, mit diesem Budget eine angemessene Wohnung zu finden, so Studienleiter Tobias Koch. Für jene Hälfte der bundesdeutschen Haushalte, die über weniger Einkünfte verfügen, „ist die Situation in vielen Städten und Kreisen nahezu aussichtslos“.

Alle Verbände sind sich weitgehend einig, dass in Deutschland mindestens 400.000 neue Wohnungen pro Jahr entstehen müssten, um die Lücke allmählich zu schließen. Doch trotz der von der Großen Koalition 2013 angekündigten „Wohnungsbausoffensive „ wurden auch 2016 nur 277.000 Wohnungen fertiggestellt, davon nicht einmal 50 Prozent Mietwohnungen. Noch eklatanter ist das Missverhältnis bei geförderten Wohnungen für untere und mittlere Einkommensbezieher. Einem jährlichen Neubaubedarf in diesem Segment von 80.000 Wohnungen standen 2015 und 2016 jeweils knapp 20.000 Wohnungen gegenüber.

In der Studie werden auch die sieben „Top-Städte“ unter die Lupe genommen. Erneut zeigt sich dabei die besondere Dramatik der Entwicklung in Berlin. Die Erst- und Wiedervermietungspreise (nettokalt) stiegen zwischen 2011 und 2016 im Durchschnitt von 6,50 Euro auf 9,29 Euro, was einer jährlichen Steigerungsrate von 7,4 Prozent entspricht. Das liegt weit über dem Bundesdurchschnitt von 3,7 Prozent und den Werten anderer Großstädte wie Düsseldorf, Köln und Hamburg. Bei Erstvermietungen im Neubau ist die Entwicklung noch drastischer. Hier stiegen die Mieten in der Hauptstadt in dem Vergleichszeitraum von von 7,05 Euro auf 12,40 Euro, eine jährlich Steigerung um 12,4 Prozent. Auf der anderen Seite sind die Haushaltseinkünfte der meisten Berliner nach wie vor deutlich niedriger. Der Medianwert betrug 2015 nur 1824 Euro, während es in Frankfurt, München und Stuttgart deutlich über 2500 Euro waren.
In ihrem Positionspapier zur Bundestagswahl fordern die Verbände eine Ausweitung und Verstetigung der sozialen Wohnraumförderung,eine zielgenauere Zweckbindung der Fördermittel, die umfassende „Entrümpelung“ der Planungsverfahren und des Baurechts, die Vergabe von Bauland mit festen Kontingenten für geförderten Wohnraum sowie verschiedene steuerliche Anreize und Zuschussmöglichkeiten. Doch an der Profitlogik der privatwirtschaftlichen Immobilienverwertung wird – wie leider üblich – nicht gerüttelt.

Rainer Balcerowiak

 

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