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MieterEcho online 12.01.2016

Substandard für drei Jahre?

Momentan entspinnt sich in Berlin eine hitzige Diskussion darüber, ob in den Randbereichen des Tempelhofer Feldes Notunterkünfte für Flüchtlinge errichtet werden sollen. Die Kritik an dem Vorhaben folgt dabei zwei Argumentationslinien: Zum einen würde dadurch der Volksentscheid von 2014 zumindest temporär ausgehebelt, zum anderen würde hier ein Ghetto für bis zu 8.500 Geflüchtete geplant. Gegen die Pläne der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mobilisieren u.a. die Initiative 100% Tempelhofer Feld und der Flüchtlingsrat Berlin.

Neben mobilen Bauten zur Unterbringung von Geflüchteten plant der Senat eine Schule, Sportplätze und Sporthallen, eine medizinische Versorgungseinrichtung, Werkstätten, ein Job-Center und eine Großküche im auf dem Vorfeld des ehemaligen Flughafengebäudes. Die Unterkünfte selbst sollen daneben, im Außenbereich des Feldes mit Anbindung an den Columbiadamm und den Tempelhofer Damm entstehen. Nach Berichten der Berliner Zeitung soll die Erstaufnahmeeinrichtung von der Organisation "More than Shelters" betrieben werden.
Für die temporären Bauvorhaben müsste das durch den Volksentscheid vom 25. Mai 2014 zustande gekommene Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes geändert werden. Eine entsprechende Beschlussvorlage hat der Senat bereits am 24. November 2015 vorgelegt. Demnach soll dem Tempelhof-Gesetz ein weiterer Paragraf hinzu gefügt werden, der die Errichtung von "mobile(n) Unterkünfte(n) zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden nach § 246 Absatz 13 des Baugesetzbuchs sowie damit zusammenhängende Befestigungen und Einfriedungen und Einrichtungen für Bildung, Begegnung und Betreuung befristet auf längstens drei Jahre" erlaubt. Die Einrichtungen müssten bis zum 31. Dezember 2019 gebaut werden.
Wann das Berliner Abgeordnetenhaus über die geplante Gesetzesänderung abstimmen wird, ist bislang unklar. Die Initiative 100% Tempelhofer Feld vermutet, dass dies am 28. Januar oder am 11. Februar stattfinden könnte. Ihre Befürchtung ist, dass Modulbauten über den Zeitraum der Flüchtlingsunterbringung hinaus auf der Freifläche verbleiben werden. Zudem müssten die Grundstücke zunächst erschlossen werden, wodurch sie später als Baufelder attraktiver würden.

Zwei Quadratmeter Wohnfläche

Akut zeichnet sich die Gefahr eines Ghettos mitten in der Stadt ab. Zwar wären die Geflüchteten zentral untergebracht, gerade die Errichtung einer eigenen Schule widerspricht aber dem Gedanken der Integration. Zudem ist hier eine Fortschreibung des Substandards über Jahre zu beklagen. Nach Berechnungen des Flüchtlingsrats Berlin ergibt sich aus den Senatsplänen, dass den Geflüchteten nur zwei Quadratmeter an individueller Wohn- bzw. Schlaffläche zur Verfügung stünden. In den Plänen ist auch von "Schlafbereichen/Kabinen" die Rede. Zwar ergeben sich bei einer Hallengröße 4250 qm für 700 Menschen rechnerisch zunächst 6 qm pro Bewohner/in, doch davon seien noch verschiedenste Gemeinschaftsflächen wie Sanitär, Essräume oder Verwaltungsräume abzuziehen. Damit seien die Pläne mit den Qualitätsstandards des LAGeSo für Flüchtlingsunterkünfte unvereinbar. Dort sind 6 bis 9 qm an reiner Wohnfläche, zuzüglich der Gemeinschaftsflächen vorgesehen. Der Trick dürfte allerdings sein, dass auf dem Tempelhofer Feld lediglich Notunterkünfte geplant sind, für die die Qualitätsstandards nicht gelten. "Eingeschränkte Standards sind – wenn überhaupt – allenfalls als kurzfristige Notlösung für wenige Tage etwa für eine spontan notbelegte Turnhalle nachvollziehbar. Es ist aber nicht hinnehmbar, wenn der Berliner Senat mit der Errichtung riesiger Lagerhallen ganz bewusst Neubau-Substandards für Flüchtlingsunterkünfte plant (...)", schreibt der Flüchtlingsrat Berlin. Menschen in Hallen mit Schlafkabinen zusammenzupferchen, ist dabei nicht einmal kostengünstig. 1000 Euro und mehr könnten pro Person und Monat für Miete, Heizung, Verwaltung, Personal und Verpflegung anfallen.
Eine menschenwürdige Unterbringung in Wohnungen, in denen Menschen eine Privatsphäre haben und sich eigenständig verpflegen können, erscheint allenfalls kostengünstiger. Nur herrscht in Berlin Wohnraummangel. Der Flüchtlingsrat sieht dennoch Möglichkeiten, Asylsuchende auch kurzfristig in Wohnungen unterzubringen. So sollten Ferienwohnungen, die bereits jetzt illegal geworden sind umgenutzt werden - als eine Art von Kulanzangebot an die Vermieter, die dann straflos bleiben könnten. Leerstehende Immobilien sollten notfalls auch beschlagnahmt werden können. Die Stadt Hamburg hat einen solchen Schritt für Gewerbeimmobilien bereits beschlossen, wobei auf diesem Weg auch eher Massenunterkünfte entstehen. Für eine Unterbringung in Wohnungen ist der Hamburger Beschluss nicht tauglich. Mittelfristig heißt die Lösung des Flüchtlingsrats dann auch Neubau von Sozialwohnungen und preisgünstigen Wohnungen für breite Bevölkerungsschichten. Auch die vom Senat im November ausgeschriebenen Modulbauten für Geflüchtete sollten sobald wie möglich errichtet werden.

Jutta Blume

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