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MieterEcho online – 27.10.2011

Dorn im Auge

Die SPD in Treptow/Köpenick macht Front gegen eine Mieter/inneninitiative

 

Stadtteilinitiativen haben wesentlich zur Re-Politisierung der Wohnungsfrage im zehn Jahre „rot-rot“ regierten Berlin beigetragen. Zu den Pionieren gehört Karla Pappel - Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung Alt-Treptow. Seit drei Jahren leisten die Aktivist/innen Aufklärungsarbeit, veranstalten Mieter/innenversammlungen und beteiligen sich an der stadtweiten Vernetzung der lokalen Protestinitiativen. Drei Jahre nach der Gründung ist Karla Pappel im Zuge des Wahlkampfes nun ausgerechnet ins Visier der selbsternannten Mieter/innenpartei SPD geraten. Die Initiative reagierte gelassen und will ihre Arbeit fortsetzen.

 
Eine Frage hat den Parteien im zurückliegenden Wahlkampf an der Spree vor allem Kopfzerbrechen bereitet: Wie würde sich die fatale Wohnungs- und Mietenpolitik der letzten zehn Jahre mit der hemmungslosen Privatisierung städtischer Wohnungen und einer Mietpreisexplosion sowohl bei den Bestands- aber auch Neuvermietungsmieten, die seit geraumer Zeit selbst in konservativen Medien kritisch beleuchtet wird, auf das Wahlverhalten auswirken? Nachdem zunächst noch von einem Koalitionswahlkampf der seit 2002 ununterbrochen amtierenden SPD-LINKE-Landesregierung ausgegangen werden konnte, gingen Sozialdemokrat/innen und demokratische Sozialist/innen mit dem Heranrücken des Urnengangs spürbar auf Distanz zueinander und marschierten auf eigene Rechnung. Während die Linkspartei in der Rolle einer Oppositionspartei ihren mangelnden Einfluss auf das Regierungshandeln insbesondere in der Wohnungspolitik beklagte, kündigte der Regierende Bürgermeister im Falle seiner Wiederwahl ausgerechnet in diesem Bereich ein Umsteuern an. Und dies, obwohl Klaus Wowereit bis zuletzt den Wohnungsmarkt als „entspannt“, Mietpreiserhöhungen als „normal“ und Indikator für „wirtschaftlichen Aufschwung“ bezeichnet hatte, buhlte der SPD-Politiker angesichts der medialen Aufmerksamkeit für die Sorgen der Mieter/innen in der heissen Phase der Wahlkampfauseinandersetzung mit der Ankündigung des Baus von 30.000 „preisgünstigen“ Wohnungen.
 

Pionier bei der Re-Politisierung der Wohnungsfrage.

Nicht ohne Grund: Besonders in den Innenstadtbereichen werden die Regierungsparteien seit einigen Jahren mit den Ergebnissen ihrer Politik konfrontiert. Seitdem sind zahlreiche Stadtteil- und Mieter/inneninitiativen entstanden, die in ihren Kiezen durch kontinuierliche Aufklärungsarbeit und regelmässige Informationsveranstaltungen die Nachbarschaften sensibilisiert und den wesentlichen Impuls für Mieter/innenproteste gegeben haben. Zu den Pionieren dieser Entwicklung gehört Karla Pappel - Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung Alt-Treptow, die seit nunmehr drei Jahren existiert, Kiezspaziergänge, Mieter/innenversammlungen sowie eine Mieter/innenberatung zusammen mit der Berliner MieterGemeinschaft organisiert und damit auf beachtliche Resonanz stösst.

„Wir haben uns im Herbst 2008 zusammengefunden, um die Fällung der zum Teil 60 Jahre alten Pappeln in der Karl-Kunger-Straße und den damit verbundenen Bau von Eigentumswohnungen zu verhindern. Die Pappeln sind für uns zum Symbol für Verdrängung geworden. Seitdem kämpfen wir gegen die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen“, so die Initiator/innen. Dazu gehören insbesondere Rentner/innen, Geringverdiener/innen, Hartz IV-Empfänger/innen und Student/innen.

Ausschlaggebend waren eine ganze Reihe von Entwicklungen, die sich auch in den Nachbarbezirken Friedrichshain/Kreuzberg und Neukölln vollziehen. So genannte Baugruppenprojekte rund um den „Kunger-Kiez“, die nach Einschätzung von Karla Pappel stellvertretend für die Begünstigung einer mittelschichtsorientierten Stadtteilpolitik und zum Nachteil von Menschen mit geringem Einkommen stehen, der Verkauf von Miethäusern an Finanzinvestoren und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sowie ex orbitante Mietsteigerungen führen dazu, dass alteingesessene Mieter/innen aus ihren angestammten Wohnungen verdrängt werden.

„Die Gegend ist im Kommen“, bestätigte Andreas Habath vom Berliner Landesverband des Maklerverbandes IVD im vergangenen Jahr gegenüber dem Tagesspiegel. Wem allerdings das gehobene Wohnen vorbehalten bleibt, verdeutlichen Quadratmeterkaufpreise von inzwischen über 2000 Euro. Gleichzeitig dreht nicht zuletzt die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, statt einkommensschwache Haushalte mit preiswerten Wohnraum zu versorgen, an der Preisschraube. So hatte das städtische Unternehmen im letzten Jahr mit Verweis auf den seinerzeit gültigen Mietspiegel Steigerungsraten von bis zu 20 Prozent der Nettokaltmiete geltend gemacht.
 

Attacken auf Bürger/inneninitiative

Unmittelbar nach der von Karla Pappel mitinitiierten größten selbstorganisierten Mieter/innen-Demonstration in Berlin seit zwanzig Jahren, die mit mehr als 6.000 Menschen unter dem Motto „Jetzt reicht's – gegen Mieterhöhung, Verdrängung und Armut!“ auch durch den Treptower Karl-Kunger-Kiez führte und knapp zwei Wochen vor den Wahlen den Druck auf die Politik noch einmal erhöhen sollte, geriet die Initiative ins Visier der Bezirks-SPD. Unter der Überschrift „Wer wohnen will, soll wohnen bleiben und dürfen“ machen die Treptower Sozialdemokrat/innen Front gegen die Bürger/inneninitiative.

Im Ortsteil Alt-Treptow wird „gehasst“. Junge Familien, die sich mit anderen den Traum von der eigenen Wohnung erfüllten, sogenannte Baugruppen, Menschen, die aus anderen Bezirken nach Alt-Treptow ziehen, Schwaben, die zu bürgerliche Kunger-Kiez-Initiative, die Kirchen, Jugendfreizeiteinrichtungen, natürlich auch die Cafés und Vertreter der SPD stehen im Fokus dieses Hasses,

heisst es an die Adresse von Karla Pappel gerichtet in einem Beitrag auf der Internet-Plattform der SPD vom 5. September. „Die Strategie vieler Menschen rund um diese Gruppe besteht darin, Menschen einzuschüchtern, sie mit körperlicher Gewalt zu bedrohen und Sachbeschädigung zu begehen“, behauptet die Partei. Obwohl Belege nicht geliefert werden, setzen die Autor/innen noch eins drauf.

Wir haben in Berlin und im Bezirk eine „Willkommenskultur“ und keine „Hasskultur“. Wir zeigen Solidarität mit den Menschen, die von extremistischen Gruppen bedroht werden. Wer Autos anzündet, Menschen bedroht, verlässt den demokratischen Konsens und verdient eine gesellschaftliche Verachtung. Im Mittelpunkt steht der Schutz der Bürger. Wir werden alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um extremistische Gruppierungen zu zerstören,

wird Tom Schreiber, direkt gewähltes Mitglied des Abgeordnetenhauses aus Treptow/Köpenick und Sprecher der SPD-Fraktion für Verfassungsschutz, abschließend zitiert.
 

„Wir werden Alternativen aufzeigen“

Schützenhilfe in der Angelegenheit leistete das Springer-Anzeigenperiodikum Berliner Woche, dass die SPD-Vorwürfe an prominenter Stelle platzierte. Die mit 33 lokalen Ausgaben und 1,53 Millionen Exemplaren auflagestärkste kostenlose Wochenzeitung in der Hauptstadt titelte vier Tage vor dem Wahltermin in der Ausgabe Treptow mit der Schlagzeile „Hetze gegen Kiezbewohner – Baugruppen werden von Autonomen bedrängt und diffamiert“. Positive Auswirkungen auf das Wahlergebnis hatte der Versuch die Initiative zu isolieren übrigens nicht. Wie auf Landesebene mussten sowohl SPD (-2,8%) als auch Linkspartei (-4,5%) wohl nicht zuletzt aufgrund der Wohnungspolitik auch im Bezirk Federn lassen.

Vergleichsweise gelassen haben mittlerweile die Leute von Karla Pappel reagiert. „Unsere Stadtteilinitiative ist eine bunte Mischung aus Menschen, die davon überzeugt ist, dass die derzeitige Entwicklung insgesamt für die ganze Stadt sehr negativ ist. Wir werden das immer wieder kritisieren und Alternativen aufzeigen.“ Anlass dafür dürfte es wohl ausreichend geben. Denn was die SPD in Treptow/Köpenick, die mit Oliver Igel den Bezirksbürgermeister stellen wird, in ihrem Wahlkampfprogramm am 28. Mai unter dem Titel „Treptow-Köpenick gemeinsam gestalten“ zum Thema Wohnen aufgeschrieben hat, das deutet in die hinlänglich bekannte Richtung. „Die Wohnraumversorgung in Treptow-Köpenick ist gut, weitere neue Wohnungen werden als Lückenschluss bei bestehender Bebauung entstehen.“
Eine soziale Initiative wie Karla Pappel, die das für pure Heuchelei hält, wird mit allen Mitteln bekämpft oder um in der Sprache des Innenpolitikers Tom Schreiber zu bleiben:  gnadenlos „zerstört“.

 
Christian Linde

Zurückliegende Berichte über den Karl-Kunger-Kiez in Alt-Treptow und das Engagement der Karla Pappel-Initiative:

Aufwertung in Alt-Treptow – Baugruppen als Akteure in städtischen Verdrängungsprozessen (MieterEcho 332 / Februar 2009)

Immobilien-Hunger im Kunger-Kiez – Anwohnerinitiative thematisiert Aufwertung in Alt-Treptow (MieterEcho 337 / Dezember 2009 – Heft als PDF)

Ein Spaziergang zu den Wünschen für den Kiez (MieterEcho 344 / Dezember 2010)

Ins Büro der Architekten „Die Zusammenarbeiter“ wurden „liebe Baubegeisterte“ eingeladen (MieterEcho online 02.04.2011)


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