Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 08.02.2015

Soziale Stadt für Alle – geflüchtete Menschen werden Nachbarn diskussion in der Heilig-Kreuz-Kirche

“Soziale Stadt für Alle - geflüchtete Menschen werden Nachbarn“ lautete der Titel einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung am Donnerstag, dem 4. Februar 2016 in der Heilig-Kreuz-Kirche nahe dem Blücher-Platz. Aufgerufen dazu hatte die mietenpolitischen Initiative ‘Wem Gehört Kreuzberg’ in Kooperation mit der ansässigen Kirchengemeinde. Auf dem Podium war auch die Berliner MieterGemeinschaft vertreten, um den Aspekt der künftigen Wohnmöglichkeiten für Flüchtlinge sowie die dadurch herausgeforderte Wohnungspolitik des Senats zu beleuchten. Von dem starken Interesse an dem Thema zeugte der mit 300 bis 350 Personen gefüllte Kirchenraum.


Die Veranstaltung, so wurde von vornherein betont, sollte nicht nur einem Austausch von Informationen und Argumenten über die Flüchtlingssituation dienen, sondern es sollte zugleich sehr konkret um die Entwicklung von Möglichkeiten gehen, die gegenwärtige Lagersituation aufzuheben und sowohl kurzfristig wie vor allem auch längerfristig gemeinsam Modelle für ein Zusammenleben im städtischen Umfeld zu entwickeln.
Zu Beginn und auch in einer späteren Diskussionsphase wurden in der Podiumsrunde Mitglieder von betroffenen Flüchtlingsgruppen aus Syrien und aus Afghanistan nach ihren Erfahrungen in jüngster Zeit und ihren dringendsten Wünschen und Bedürfnissen gefragt. Die  Anwesenden  vernahmen, in der Muttersprache vorgetragen und ins Deutsche übersetzt, von der Syrerin Nazir Amal sowie der Afghanin Somayeh Fariha Details über die Unterkunft in den gegenwärtigen Aufenthaltsstätten u.a. über verschmutzte Badezimmer, die mit zahlreichen Anderen geteilt werden müssen, über das Ignorieren von Essgewohnheiten. Sie bekamen, den Berichten zufolge, fertige  abgepackte Rationen und hatten keine Chance, sich selber etwas zu bereiten was, wie sie sagten, besser und auch billiger gewesen wäre. Nazir Amal berichtete zudem über nicht übersetzte und dann unverständlich bleibende Anweisungen von Sicherheitsbeamten und dergleichen mehr, und sie sagte: "Wir brauchen euren Schutz!", da es häufig Repressalien gäbe, wenn sie den Mund aufmachen.
Bei dem Bericht über Flüchtlinge aus Afghanistan kam das Schicksal zerrissener Familien zur Sprache und die Ungewissheit über dort verbliebene Familienangehörige. Dabei wurde deutlich, dass Afghanistan zur Zeit durchaus nicht als ein ‘sicheres Herkunftsland’ zu betrachten ist. Auf die Frage an eine geflüchtete Frau, was sie sich zur Zeit am meisten wünscht und was für sie am dringendsten sei, bezeichnete sie die Aussichten für ihre Kinder als vorrangig, die Einkehr eines ruhigeren Lebens außerhalb von Lagern, den Besuch von Kindertagesstätten, die Erteilung von Unterricht und möglichst bald auch akzeptable Wohnräume für sie.


Der Hausherr Pfarrer Peter Storck kennzeichnete als Podiumsteilnehmer zunächst die allgemeine Stimmung, in der ein Berliner Senat sich einerseits mit einer jährlich auf zwei bis drei Millionen anwachsenden Zahl von herbeiströmenden Touristen brüstet, in der andererseits aber Weltuntergangsstimmung geschürt wird angesichts eines Zuzugs von 60 000 bis 80 000 Flüchtlingen. Er berichtete von den Bemühungen seiner Kirchengemeinde schon in den zückliegenden Jahren zur Betreuung und Unterbringung von Flüchtlingen im Kreuzberger Umfeld, so u.a. in Verbindung mit dem Protestcamp am Oranienplatz. Zu den Bemühungen in jüngster Zeit gehört die Suche nach Arbeitsmöglichkeiten und Praktikumsplätzen für Flüchtlinge noch ohne dafür erforderliche amtliche Papiere, das Angebot von Kirchenasyl für ganz schwierige Fälle und das Bemühen um Räume, in denen neu angekommene Menschen sich treffen können, in denen ihnen u.a. Sprachunterricht angeboten wird und die ihnen auch als spiritueller Ort zur Verfügung stehen. Konkret verwies er dabei auf die speziell dafür bereit gestellte und weiter zu dem Zweck ausgestaltete Simeon-Kirche in der Wassertorstraße.
Pfarrer Ekkehard Gahlbeck vom Evangelischen Friedhofsverband stellte ein Projekt vor, das den kurzfristigen aber dennoch nachhaltigen Bau von Diakonie-betriebenen kleineren Unterkünften für etwa 200 Flüchtlinge und auch für andere einkommensschwache Gruppen, z.B. für Studenten, an acht bereits erkundeten Standorten auf nicht benötigten Friedhofsflächen vorsieht. Es handelt sich dabei um eine sogenannte ‘Hybridbauweise’, die eine sparsame Rohstoffverwendung und ein schnelles Errichten ermöglicht, ohne die Merkmale einer Leichtbauweise zu haben. Die Gebäude sind zunächst als Wohnheime gedacht, enthalten aber auch Appartements, die dann ein stärker eigenständiges Wohnen mit einer Privatsphäre in Aussicht stellen.


Als Vertreter der Berliner Mietergemeinschaft übte Hermann Werle auf dem Podium zunächst eine umfassende Kritik an der bisherigen Wohnungspolitik des Berliner Senats, die es von den späten 1990er Jahren an faktisch nicht mehr gegeben habe. Nach dem Verkauf von über 100.000 städtischen Wohnungen und der Privatisierung der Gehag  1998, der Einstellung der Neubauförderung im sozialen Wohnungsbau sei es 2004 mit dem Verkauf der GSW zu einem besonderen Tiefpunkt gekommen. Insgesamt seien rund 200 000 Wohnungen in Berlin privatisiert worden. In jüngerer Zeit müsse dem Senat zugute gehalten werden, dass er sich überhaupt wieder Gedanken macht über den zunehmenden Mangel an bezahlbaren Wohnraum und eine darauf reagierende öffentliche Förderung, aber die bisherigen Pläne seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, und man habe noch nicht wirklich aus den vorangehenden Fehlern gelernt. Es müsse ein kommunaler Wohnungsbau vorangetrieben werden, so betonte Werle, der dauerhaft im öffentlichen Eigentum verbleibt. Als Orientierung bietendes Beispiel für eine sehr viel weiter gehende öffentliche Förderung nannte er Maßnahmen der Wohnungspolitik in Wien. Gerade mit dem Blick auf den Zuzug von Flüchtlingen sei es erforderlich, die Versorgung mit Wohnungen nicht nur zu fördern im Sinne einer residualen Versorgung, sondern komplett zu finanzieren, wie es ja auch im Falle von Schulen geschehe. Er wies abschließend auf die ‘Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau’ hin und auf deren Vorstellungen zu einer nachhaltigen Stärkung von bezahlbarem öffentlichen Wohnungsbau. (www.inkw-berlin.de).


Steff Thiele von der Initiative ‘Wem Gehört Kreuzberg’ forderte grundsätzlich die Auflösung aller Massenunterkünfte sowie provisorischen Einrichtungen und dafür die Bereitstellung von menschenwürdigen Wohnverhältnissen, wie sie auch mit dem Recht auf Wohnen in der Berliner Verfassung verankert seien. (Dies entsprach in der Tendenz auch den vorangehenden Beiträgen der Geflüchteten, die sich wünschten, dass irgendetwas passiert, um die Lagersituation zu beenden). Ein Auseinanderspielen von verschiedenen sozialen Gruppen, etwa von obdachlosen Einheimischen und von Flüchtlingen, sei dabei, so Steff Thiele,  zu vermeiden. Das Thema Wohnen für sozial Schwache und Flüchtlinge beschränke sich nicht nur auf bezahlbaren Wohnraum, sondern beinhalte auch den Erhalt sozialer nachbarschaftlicher und kleinteiliger Strukturen, die Begegnung, Tätigkeitsfelder, Kommunikation und sozialen Austausch ermöglichen. Zu weiteren Detailforderungen gehörte auch die Rückführung von Ferienwohnungen in den Mietwohnungsbestand. Er forderte dazu auf, dass sich Interessierte, die auch aktiv werden wollen, an Wem Gehört Kreuzberg wenden (info@wem-gehoert-kreuzberg.de)


In den Meinungsäußerungen, die nach der Podiumsrunde aus dem größeren Kreis der Versammelten kamen, wurden solche Forderungen teilweise noch einmal unterstrichen. Mit besonderem Nachdruck wurden Kampagnen gefordert gegen spekulativen Leerstand von Wohnungen, gegen ‘Wohnen auf Zeit’ und gegen das Profitmachen mit Ferienwohnungen im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation.
Im letzten Teil der Veranstaltung bildeten sich verschiedene Arbeitsgruppen zu einzelnen Aufgabenstellungen, die unmittelbar anstehen. In der  AG  ‘Treffpunkte’ etwa ging es um die Frage, wo Räume zu finden sind, in denen Flüchtlinge sich untereinander und mit Einheimischen begegnen können. Aus der Besprechung ergab sich dann vor allem eine weiter zu verfolgende Anbindung an das Nachbarschaftshaus in der Urbanstraße.  Die AG zu den Ferienwohnungen beriet über Möglichkeiten zur Zusammenführung von Leuten, die Interesse an entsprechenden Kampagnen haben. Dabei ist auch Druck auf Politiker auszuüben. Zur konkreten Koordinierung solcher Kampagnen ist eine Verbindung zum ‘Bündnis gegen Lager’ vorgesehen. Nach der internen Diskussion einer AG zur Vernetzung von Wohnungslosen und Geflüchteten berichtete Pfarrer Storck anschließend über Pläne der unmittelbaren Erkundung der gegenwärtigen Situation in Massenunterkünften dazu, wie es etwa mit der Hygiene aussieht, und es sollte dann überlegt werden, wie sich Druck erzeugen lässt, damit zunächst besonders schlimme Mißstände behoben werden. In allen Fällen war eine konkrete Fortsetzung der Aktivitäten mit entsprechenden Vernetzungen eingeplant.
Am Ende der Veranstaltung wurde gemeinsam Bertold Brechts ‘Solidaritätslied’ gesungen mit dem Refrain: “Vorwärts und nicht vergessen / Worin unsere Stärke besteht / Beim Hungern und beim Essen / Vorwärts, nicht vergessen / Die Solidarität.“

Jürgen Enkemann

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