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MieterEcho online 03.08.2014

Umziehen – nur wohin?

Wer arm und alt ist, findet in der Berliner Innenstadt kaum eine angemessene Wohnung.


Altersgerecht Wohnen ist in Kreuzberg kaum mehr als ein Wunschtraum. Die einen halten zu große Wohnungen, weil sie keine Alternativen finden, die anderen rücken mit ihren Verwandten zusammen. Die größte Angst vieler Senior/innen ist, wegen der steigenden Mieten ihren gewohnten Kiez verlassen zu müssen.

Donnerstags ab halb elf treffen die ersten Kreuzberger/innen mit Einkaufstrolleys in der Heilig Kreuz – Passionskirche am Marheinekeplatz ein. Wer seine Bedürftigkeit nachweist, darf ein Los ziehen und ab 12 aus den Lebensmitteln der Berliner Tafel auswählen, gegen einen Unkostenbeitrag von ein bis zwei Euro. Die meisten der Wartenden sind ältere Semester. Rund 120 Personen kommen pro Woche in die ehrenamtlich organisierte Essensausgabe von „Laib und Seele“, einem Gemeinschaftsprojekt der Berliner Tafel und der Kirchengemeinden. Doch die Versorgung mit Lebensmitteln ist nur eine von vielen Schwierigkeiten für die Besucher/innen von „Laib und Seele“. „Wir bekommen vor allem mit, dass die Menschen Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren“, berichtet Gabi Bormann, die seit vier Jahren die Lebensmittelausgabe koordiniert. Viele Menschen fürchten, die nächste Mieterhöhung nicht mehr tragen zu können und ihr soziales Umfeld verlassen zu müssen. „Wenn die Leute krank sind, ist ein Umzug eine Riesenbelastung. Eine günstigere Wohnung in Kreuzberg zu finden, ist quasi aussichtslos“, sagt Bormann.
Swetlana Dawydow (Name von der Redaktion geändert) erzählt, dass sie und ihr Mann bereits eine Aufforderung vom Sozialamt bekommen haben, sich eine neue Wohnung zu suchen. 630 Euro warm zahlt das Ehepaar für die 2-Zimmer-Wohnung, die es seit 15 Jahren bewohnt. „Aber wir haben keine Kraft, uns eine neue Wohnung zu suchen, wir haben beide Herzprobleme“, sagt Dawydow. Jetzt habe ihr Arzt einen Brief ans Sozialamt geschickt und sie warten ab. „Wir sind sehr nervös“, so die Rentnerin. Die Davydows möchten unbedingt in ihrem Kiez und in ihrer Wohnung bleiben.
Von mangelnder Kraft sich ständig mit Vermieter und Ämtern auseinanderzusetzen erzählt auch Brigitte Voigt (Name von der Redaktion geändert). Die 57jährige Erwerbsunfähigkeitsrentnerin wohnt seit 15 Jahren am Südstern. Ihre Miete liegt sogar noch am unteren Ende des Mietspiegels, doch ständig ist sie mit Mängeln in der Wohnung konfrontiert. Reparaturen würden nicht richtig durchgeführt. „In 15 Jahren hat 8mal ein Gerüst vor meinem Fenster gestanden. Das Dach ist gerade neu gedeckt worden, aber ich habe schon wieder Wasserflecken an der Decke.“ Brigitte Voigt ist der Meinung, dass die unzureichende Mängelbeseitigung reine Schikane ist. „Ich muss mir immer wieder Sprüche vom Vermieter anhören, warum ich nicht ausziehe.“ Derweil beobachtet sie, dass die frei werdenden Wohnungen für rund 10 Euro/qm neu vermietet werden und sich die neuen Mieter noch verpflichten müssen, die Wohnungen selbst zu modernisieren. Voigt ist sich sicher, dass sie aus dem Haus gedrängt werden soll. „Mittlerweile bin ich so zermürbt, dass ich ausziehen möchte, aber ich finde ja nichts“, meint sie. Einen Heimplatz würde sie bekommen, aber sie möchte ihre Eigenständigkeit bewahren. Enttäuscht zeigt sich die Frührentnerin vom Sozialamt. Während sie versucht hätte, gegen Mieterhöhungen vorzugehen, um die Miete möglichst lange günstig zu halten, habe das Amt die neue Miete einfach überwiesen. Bei der Wohnungssuche vor 15 Jahren hätte sie der vom Sozialamt gestellte Betreuer schlecht beraten. Er hatte kein ein Übergabeprotokoll eingefordert und nicht gegen die rechtswidrige Vertragsklausel protestiert, dass die Mieterin keinem Mieterverein beitreten dürfe. Im Mieterverein ist Voigt inzwischen. „Ich spüre trotzdem den Druck, auch wenn ich rechtlich auf der sicheren Seite bin.“

Familien rücken zusammen

Von der Unmöglichkeit für viele Ältere in einige günstigere Wohnung zu ziehen, weiß auch Michael Breitkopf zu berichten. Er arbeitet als Sozialberater in Kreuzberg und Friedrichshain. Vor allem im nordöstlichen Kreuzberg sind die Senior/innen von Altersarmut betroffen und finden sich daher häufig in einer problematischen Wohnsituation. Zwar ist der Anteil der Rentner/innen an der Wohnbevölkerung Friedrichshain-Kreuzbergs relativ niedrig, laut Sozialstrukturatlas sind sie aber überdurchschnittlich stark auf staatliche Sozialleistungen angewiesen. Deren prekäre Situation wird durch ein rasant gestiegenes Mietniveau im Bezirk noch verstärkt. Zwei Phänomene stechen hervor, so Breitkopf. Vor allem ältere Frauen leben oft alleine in Wohnungen, die eigentlich zu groß für sie sind. Aufgrund der Größe übernimmt das Sozialamt aber nicht die vollen Kosten der Unterkunft. Ein Umzug in kleinere, altersgerechte Wohnungen ist aber nicht möglich, da diese faktisch nicht vorhanden sind.
Senior/innen aus Arbeiterfamilien mit Migrationshintergrund wohnen häufig mit anderen Familienmitgliedern zusammen in „gemischtfinanzierten Armutshaushalten“. Das heißt, die Kosten der Unterkunft werden zum Teil vom Jobcenter, zum Teil vom Sozialamt übernommen. „Wenn einer der Leistungsträger nicht mehr zahlt, rücken die Haushalte oft näher zusammen“, sagt Breitkopf. 4 bis 6 Personen bewohnen dann gemeinsam eine 3-Zimmer-Wohnung. In einem Haushalt mit einem älteren, kranken Familienmitglied bekommt dieses dann ein Zimmer, ein Zimmer dient ein Wohnzimmer und eines als Schlafzimmer für alle restlichen Familienmitglieder. „Alte Menschen empfinden sich daher oft als Belastung für die Familie.“ Aber auch Kinder und Jugendliche leiden unter der Enge, ihnen fehlt es an Rückzugsräumen.
Obwohl ein starker Verdrängungsdruck in Kreuzberg besteht, kommt dieser statistisch kaum zum Ausdruck, meint Breitkopf, laut dem neuesten Wohnmarktreport der GSW habe sich beispielsweise die Bevölkerungszusammensetzung nicht verändert. „Klar, wo sollen die Leute denn auch hin?“ fragt der Sozialberater. Ohne den traditionellen Familienzusammenhalt in den migrantischen Familien wäre die Situation noch schlimmer, ist er überzeugt.

Altersgerechte Wohnungen fehlen

Zum einen fehlen also bezahlbare und altersgerechte, barrierefreie Wohnungen, und das nicht nur im Bezirk, sondern berlinweit. (MieterEcho 364/ Dezember 2013) Ein Problem, dass auch die Senior/innen der IG Metall erkannt haben. Die Gruppe fordert daher, dass 50% der neu zu bauenden Wohnungen in Berlin barrierefrei sein sollten, der Umbau von Wohnungen gefördert wird und der Umzug in kleinere Wohnungen organisatorisch und finanziell unterstützt wird, „dabei sind gleiche oder höhere Mietbelastungen zu vermeiden“. Real kosten kleine Wohnungen bei einem neuen Mietvertragsabschluss häufig genauso viel oder mehr als die großen, langjährig bewohnten. Auch die Lage der Wohnungen spielt bei den Forderungen eine wichtige Rolle: „Altersgerechte Wohnungen sollen ein lebenslanges Wohnen in vertrauter Umgebung ermöglichen und einschließlich des Zugangs barrierefrei bzw. barrierearm sein“. - Kein Umzug an den Stadtrand also.
Ein weiteres Problem stellt die Berliner Wohnaufwendungenverordnungen (WAV) dar. Diese definiert nicht angemessen den gesonderten Bedarf älterer Menschen. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 17.10.2013 (B 14 AS 70/12 R) die WAV Berlin für Leistungsbeziehende nach dem SGB XII – und dazu zählen Rentner/innen mit einer zu geringen Rente – für unwirksam erklärt. Zwar sieht die WAV eine Erhöhungsmöglichkeit bei den Kosten der Unterkunft um 10% vor, es fehlt aber an Erhebungen des tatsächlichen Bedarfs älterer Menschen. Am 4.6.2014 hat das Bundessozialgericht sogar die gesamte WAV gekippt (B 14 AS 53/13 R). „Trotzdem gibt es eine Dienstanweisung an die Bezirke, die rechtsunwirksame Verordnung weiter anzuwenden“, erklärt Michael Breitkopf. Der Neuköllner Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (B90/Grüne) bestätigt dies. „Bezüglich der WAV sind wir seitens des Senats gehalten, diese weiterhin anzuwenden, bis von dort eine geänderte oder neue Regelung kommt. Ich kann Ihnen jedoch mitteilen, dass wir stets auch die individuelle Angemessenheit des Wohnraums betrachten und insbesondere ältere Menschen bei einer Überschreitung der WAV-Tabelle nicht zum Wohnungswechsel auffordern, da für diese eine noch größere Schwierigkeit bei der Wohnungsfindung besteht, als für jüngere, mobile Menschen.“
Auch wenn ältere Menschen nicht zum Umzug gezwungen werden, heißt das nicht, dass ihre Miete immer in vollem Umfang vom Sozialamt übernommen wird. „70 bis 90 Prozent der Berliner Armutshaushalte tragen selbst zu ihrer Miete bei“, so der Sozialberater Breitkopf.

Jutta Blume


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