Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 396 / Juni 2018

Teure Zwischenlösung MUF

Gute Wohnungen für alle statt neuer Substandard und Wohnheime

Von Laura Berner

Nachdem sich die Berliner Wohnungsnot seit Mitte der 2000er Jahre immer weiter zugespitzt hatte, stellte im Sommer 2015 der plötzliche Zuzug von ca. 55.000 Geflüchteten den Senat vor eine Herausforderung. Wo sollten die Neuberliner/innen wohnen, wenn ohnehin kaum freier Wohnraum zur Verfügung stand? Als schnelle Lösung propagieren die verschiedenen Regierungen seit 2016 „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“, abgekürzt MUF.


Im Februar 2016 beschloss die damalige CDU/SPD-Regierung, 60 MUF in Berlin zu errichten. Für den Bau wurden je ca. 10 Millionen Euro eingeplant. Aktuell werden drei Arten von MUF gebaut, dieser Beitrag behandelt die Realisierungen von MUF nach der eigens gegründeten Berliner Gesellschaft zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften sowie nach dem Amtsentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Eine MUF ist eine Anlage aus mehreren in der Regel fünfstöckigen quadratischen Fertigbau-Modulen, die meist Platz für 450 Bewohner/innen bietet. Die Bauweise ist spartanisch und wurde von Architekt/innen vielfach kritisiert, unter anderem, weil aufgrund der um ca. sechs Meter zu hohen Gebäudetiefe kaum Licht in das Innere des Gebäudes dringt (MieterEcho Nr. 381/ Juni 2016). Bewohner/innen der ersten fertig gestellten MUF beklagen zudem, dass durch die Dicke der tragenden Wände das WLAN-Signal für eine normale Nutzung zu schwach, gleichzeitig die Schallisolierung zwischen den durch Gipskartonwände getrennten Zimmern unzureichend sei.
Die vom Senat geplante Anzahl der MUF sank im Laufe des Jahres 2016 auf die Hälfte, da nicht genügend geeignete Grundstücke gefunden wurden. Bis Dezember 2017 befanden sich 28 MUF mit insgesamt 10.000 Plätzen in der Umsetzung. Im Februar dieses Jahres überraschte die Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) der aktuellen rot-rot-grünen Landesregierung die Öffentlichkeit mit ihrem Plan, zwischen 2019 und 2021 insgesamt 25 weitere Modulbauten, die „MUF 2.0“, zu realisieren. Die Modulbauten sollen nach Ablauf der dreijährigen Nutzung als Geflüchteten-Wohnheime zum Teil als sozialer Wohnungsbau dem allgemeinen Wohnungsmarkt zugeführt werden. Neue Bewohner/innen sollen dann Studierende, einkommensschwache Familien sowie Wohnungslose sein. Auch die MUF 2.0, deren Bau im Rahmen einer gemeinsam mit Sozialverbänden abgehaltenen Strategiekonferenz verkündet wurde, werden als schnelle Lösungsmöglichkeit gegen die frappierende Wohnungsnot propagiert.

MUF in Berlin – wer profitiert?

Auf scheinbar unerklärliche Weise sind die bisher fertiggestellten MUF teurer als reguläre Neubauwohnungen. Die anfänglich veranschlagten 10 Millionen Euro pro Modulbau wurden auf 15 Millionen Euro nach oben korrigiert. Bei den ersten fertiggestellten Anlagen reichte allerdings auch das nicht aus, deren Bau kostete rund 17 bis deutlich über 19 Millionen Euro.
So fielen beispielsweise für die MUF in der Wolfgang-Heinz-Straße in Buch bei einer Bruttogrundfläche* von 10.835 m² und einer tatsächlichen Nutzfläche von 6.598 m² insgesamt 18.950.000 Euro Gesamtbaukosten an. Das sind 2.872 Euro/m² Nutzfläche. Auf der Website der Senatsverwaltung wird allerdings nur ein beinahe halb so hoher Quadratmeterpreis auf Basis der BGF und der Bauwerkskosten** ausgewiesen. Die Bauwerkskosten betrugen 17.025.000 Euro. Bezogen auf die Nutzfläche macht das 2.580 Euro/m². Zum Vergleich: Bereits für gut 2.000 Euro/m² werden in Berlin momentan Eigentumswohnungen für die Mittelschicht gebaut. Noch anschaulicher wird es, wenn man die Miete pro Quadratmeter Wohnfläche berechnet: Bei 18,9 Millionen Euro Baukosten und einer eher konservativen Schätzung sind dies knapp 16 Euro/m².
Besonders schnell ging der Bau ebenfalls nicht vonstatten. Zwar wird die reine Bauzeit für die MUF offiziell mit sieben Monaten angegeben, jedoch verging zwischen dem Beginn der bauvorbereitenden Maßnahmen und dem Einzug der Bewohner/innen immerhin ein ganzes Jahr. In dieser Zeit ließe sich auch regulärer Wohnraum in ähnlichem Ausmaß schaffen.
In der Wolfgang-Heinz-Straße wurde also ein extrem teures, von der Wohnqualität her minderwertiges Wohnheim errichtet, obwohl in vergleichbarer Zeit auch Vollstandard-Wohnungen zu geringeren Kosten hätten entstehen können.
Die seit einigen Jahren vorherrschende, weiterhin akute Krisensituation spielt vor allem der Bauindustrie in die Hände. Scheinbar bleibt stets keine Zeit für wirksame Kontrollen von Bauplänen, Ausschreibungen und nachvollziehbare Budgetierungen. Der anspruchslose Modulbau in der Wolfgang-Heinz-Straße wirft einen Profit ab, der mit anderen Bauvorhaben schwerlich zu generieren wäre. Quadratmeterpreise von annähernd 3.000 Euro können sonst nur unter Einsatz von aufwendigen Baumaßnahmen und hochwertigen Materialien erzielt werden. In einer MUF hingegen werden günstige Materialien mit unkomplizierter Planung verbaut und da die Ausschreibung direkt an Generalunternehmer ging, lassen sich auch Planungskosten einsparen. Es wird an der Qualität für die Bewohner/innen gespart, die Gewinne für die Bauindustrie sind umso höher.

Behelfslösung der neoliberalen Krisenbearbeitung

Was in Berlin im Rahmen der Unterbringung von Geflüchteten und der geplanten Substandard-Neubauten passiert, gleicht einer „Schockstrategie“. In akuten Krisen und in Ausnahmezuständen werden von der Bevölkerung Zustände akzeptiert, die sonst nicht durchsetzungsfähig wären. Berlin ist seit Mitte der 2000er Jahre auf eine akute Wohnungsnot zugesteuert. Der Zuzug Geflüchteter seit 2015 konnte in der Folge nicht mit einer Bereitstellung von angemessenem Wohnraum beantwortet werden. Statt von Wohnungskrise wurde nun meist von „Flüchtlingskrise“ gesprochen. Die Bilder von Massenlagern in Turnhallen bauten eine wirkmächtige Kulisse auf, die kopfloses Handeln der Landesregierung scheinbar rechtfertigte. In den Wirren der ersten Monate wurden folgerichtig Maßnahmen beschlossen, die den akuten Notstand mildern sollten. Interessanterweise wurden naheliegende Lösungen wie die Beschlagnahme von Leerstand nicht verfolgt. Während Tausende Geflüchtete in Gewerbe- und Turnhallen untergebracht wurden, standen ehemalige Verwaltungsgebäude im Besitz Landes weiterhin leer. Forderungen und Alternativvorschläge des Berliner Flüchtlingsrats sowie von stadtpolitischen Gruppen wurden ignoriert und mehrere Besetzungen von Leerstand durch Geflüchtete polizeilich geräumt. Nun, da die ersten MUF bereits seit einiger Zeit bezogen sind, hat offenbar eine Normalisierung eingesetzt, die eine Verdopplung der MUF-Standorte ermöglicht.
Auch wenn es auf den ersten Blick nach einer Verbesserung ihrer Situation aussieht, ist Skepsis angebracht, wenn es darum geht, Wohnungslose, Arme, Geflüchtete oder anders Marginalisierte in Substandardbauten provisorisch unterzubringen. Schließlich birgt dies immer die Gefahr, dass die Zwischenlösungen bestehen bleiben, weil sie von denjenigen, denen man nichts anderes als die Straße bietet, benötigt werden. Wie sich bei der Turnhallenunterbringung von Geflüchteten gezeigt hat, können diejenigen, die keine Lobby haben, sich nicht gut wehren, wenn aus den versprochenen wenigen Wochen der Übergangslösung doch Jahre werden. Die Gefahr besteht bei den MUF in besonderer Weise, weil sie anders als andere Behelfsbauten eine Haltbarkeitsgarantie von 80 bis 100 Jahren haben. Das Nachbarland Polen ist das beste Beispiel dafür, wie im Jahr 1997 mit Containerlagern für Flutopfer ein Substandard eingeführt wurde, der heute fester Bestandteil des Wohnungsmarkts ist und den sozialen Wohnungsbau nahezu ersetzt hat. Für Berlin ist mit den MUF Ähnliches zu befürchten.
Die Alternative zum neuen Substandard und Wohnheimen lautet gute und günstige Wohnungen für alle. Es gibt Konzepte, wie langfristig günstiger und qualitativ hochwertiger Wohnraum geschaffen werden kann (s. Artikel "Öffentlich bauen statt Private fördern"). Zudem gilt es, günstige Mietverhältnisse zu schützen. Wenn entsprechende Maßnahmen umgesetzt würden, könnte die Wohnungskrise in Berlin nachhaltig bekämpft werden. Dafür bräuchte es einen konsequenten Bruch mit der Stadtpolitik der letzten Jahrzehnte und eine klare Haltung gegenüber den selbstverständlichen Erwartungen der profitorientierten Bau- und Immobilienwirtschaft. Das ist nicht wenig, würde sich aber lohnen – angesichts der desolaten Situation all jener, die in Berlin auf günstigen Mietwohnraum angewiesen sind.


*) Bruttogrundfläche (BGF) bezeichnet nach DIN 277 die gesamte Fläche eines Hauses inklusive Wände und Nebenflächen wie Treppenhäuser und anderer nicht als Wohn- und Aufenthaltsraum nutzbaren Räume.
**) Bauwerkskosten sind nach DIN 276 die Baukosten des Gebäudes ohne vorbereitende Maßnahmen, Erschließung, Außenanlagen und Baunebenkosten.


MieterEcho 396 / Juni 2018

Schlüsselbegriffe: MUF, Moduläre Unterkünfte für Flüchtlinge, Substandard, Wohnheim, Wohnungsnot, Flüchtlinge, Geflüchtete, wohnungsbau, Stadtentwicklung, Krise, Berlin, Leerstand

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