Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 394 / April 2018

Möbellose Menschen

Immer mehr Arbeitsmigrant/innen und Studierende sind auf atypische Mietverhältnisse in möblierten Wohnungen angewiesen

Von Philipp Möller

Die Nutzer/innen von möblierten Apartments und Zimmern sind so verschieden wie die Erscheinungsformen prekären Wohnens. Arbeitsmigrant/innen aus Südeuropa hangeln sich oft von Untermiete zu Untermiete. Besser betuchte Studierende leben während ihres Auslandsaufenthalts in Berlin häufig in teuren möblierten Apartments mit temporären Mietverträgen. Viele sehen die möblierte Unterkunft als Zwischenlösung auf der Suche nach einer Wohnung mit Normalmietverhältnis. Doch aufgrund der Wohnungsnot wird diese Form der Unterbringung immer öfter zum Dauerzustand.    

                             

Francesca Giuliani* kam vor einigen Jahren auf Jobsuche nach Berlin. Im krisengeschüttelten Italien sah die Mittzwanzigerin keinerlei Perspektive für sich. Von den 40.000 jährlich zuziehenden Neuberliner/innen kommt ein Großteil aus Süd- und Südosteuropa. Laut offizieller Statistik leben rund 28.000 Italiener/innen in der Stadt, die italienische Botschaft schätzt die Zahl aber auf über 50.000. Während Francesca Giuliani schnell eine Anstellung in der Gastronomie fand, stellte sich die Wohnungssuche als weitaus schwieriger heraus. Erst nach monatelanger Suche fand sie eine Bleibe, ein möbliertes Apartment im Parterre mit einem befristeten Untermietvertrag für 900 Euro. Der Wohnungseigentümer ist ihr unbekannt. Anstehende Reparaturen in der Wohnung blieben über Monate unerledigt. Kürzlich erfuhr die Mieterin, dass die Wohnung zum Verkauf steht und ab September darf sie sich wieder in die Masse der Wohnungssuchenden einreihen.

Francesca Giulianis Beispiel ist kein Einzelfall. Für Arbeitsmigrant/innen aus Südeuropa sind atypische Mietverhältnisse und die Anmietung von möblierten Apartments längst Normalität. Die Enge im niedrigpreisigen Wohnungssegment trifft Menschen mit Migrationsgeschichte als erstes. Der Zugriff auf den Berliner Wohnungsmarkt ist aufgrund von Sprachbarrieren und struktureller Diskriminierung schwierig. Die Wohnungssuche für die heterogene Gruppe der Arbeitsmigrant/innen gestaltet sich unterschiedlich: Hochqualifizierte Fachkräfte mit gut bezahlten Jobs und festen Arbeitsverträgen finden in der Regel nach einiger Zeit eine Wohnung mit Normalmietverhältnis. „Einige größere Start-ups haben eigene Abteilungen, die bei der Wohnungssuche und beim Umgang mit der deutschen Bürokratie helfen. Die Unternehmen übernehmen Garantien und die Kaution für ihre Mitarbeiter/innen“, erläutert Stefania Animento, die zur Arbeits- und Wohnsituation italienischer Migrant/innen in Berlin forscht. Anbieter wie „Homelike“ vermieten möblierte Wohnungen mit luxuriöser Ausstattung an Unternehmen, die sie ihren Mitarbeiter/innen übergangsweise während der Wohnungssuche zur Verfügung stellen. Ein solcher Service ist jedoch die Ausnahme.

                           

Zweiter Wohnungsmarkt für Arbeitsmigrant/innen   

Der Großteil der Arbeitsmigrant/innen kommt ohne unterschriebenen Arbeitsvertrag nach Berlin. Laut einer Studie der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiten über 30% der Berliner/innen mit italienischem Migrationshintergrund in der Gastronomie. Ihr durchschnittliches Bruttoeinkommen beträgt nur 2.143 Euro. Die Wohnsituation ist oft ebenfalls prekär. „Die häufig monatelange Wohnungssuche bringt die Menschen in eine Zwickmühle. Wer hierher zieht, muss sich anmelden, um einen offiziellen Arbeitsvertrag unterschreiben zu können. Wenn man einen Job gefunden hat, braucht man ein Bankkonto. Für ein Bankkonto braucht man eine Anmeldung“, erklärt Stefania Animento. „Wer etwas Geld angespart hat, mietet ein teures möbliertes Zimmer und versucht von dort aus eine Wohnung und Arbeit zu finden.“ Doch die vermeintlichen Zwischenlösungen können sich angesichts der Wohnungsnot und unsicherer Beschäftigungsverhältnisse zum Dauerzustand entwickeln. Bei ihrer Forschung fand sie heraus, dass einige Wohnungssuchende versuchen, über gefälschte Schufa-Dokumente oder Einkommensnachweise ihrem Glück bei der Wohnungssuche nachzuhelfen.

Die Wohnungsnot unter Arbeitsmigrant/innen in Berlin ist längst zu einem lukrativen Geschäftsfeld geworden. Unternehmen wie „case a berlino“ bieten möblierte Zimmer ab 688 Euro an. Das Unternehmen warb Ende der 2000er Jahre Kapital von vermögenden Italiener/innen ein, um in Berliner Mietwohnungen zu investieren und die Wohnungen anschließend an arbeits- und wohnungssuchende Italiener/innen zu vermieten. Teilweise nutzen Vermieter die temporäre Untervermietung von möblierten Apartments, weil die Wohnungen verkauft oder modernisiert werden sollen. Die Wohnungsnot fabriziert zudem einen unregulierten, informellen Wohnungsmarkt. „Immer wieder kommt es zu Betrugsfällen durch Untervermietung. Ein Freund hatte eine Räumungsankündigung für seine Wohnung im Briefkasten. Der untervermietende Wohnungsgeber hatte die Miete nicht gezahlt und sich aus dem Staub gemacht. Oftmals gibt es mehrere Ebenen von Untermietverträgen. Der eigentliche Wohnungseigentümer ist dann nicht zu ermitteln. Das führt zu Problemen bei der Wohnkostenübernahme durch das Jobcenter oder bei der Meldung von Schadensfällen“, berichtet Stefania Animento, die sich wie Francesca Giuliani bei der Initiative „Berlin Migrant Strikers“ engagiert.

           

Bafögsatz zu niedrig für Mieten bei Berlinovo       

Studierende mit Auslandssemester in Berlin wohnen häufig in möblierten Apartments, oft zu exorbitanten Mietpreisen. Die Kommunikationsdesign-Studentin Valentina Ruiz* aus Chile ist ein typisches Beispiel. Sie wohnt im 2017 eröffneten Youniq, einem luxuriösen Wohnheim im Wedding mit 163 Apartments mit Preisen von 514 bis 1.200 Euro. Die Bewohnerschaft kommt aus allen Teilen der Welt. Für ihr Zimmer zahlt Valentina Ruiz mehr als 600 Euro. „Ich habe bereits von Chile aus nach Wohnungen geschaut, weil ich um die schwierige Wohnungssuche in Berlin wusste. Angekommen in Berlin stellte ich schnell fest, dass meine Miete deutlich höher ist als bei meinen Kommilitonen. Ich würde gern in eine andere Wohnung umziehen, aber für die Wohnungssuche hatte ich bisher aufgrund meines stressigen Studiums kaum Zeit“, berichtet sie. Internationale Studierende sind häufig nur für einen befristeten Zeitraum in der Stadt und kennen weder Schufa-Auskünfte noch Mietschuldenfreiheitsbescheinigungen. Viele WGs suchen längerfristige Mitbewohner/innen. Das Studierendenwerk soll angesichts dieser prekären Situation seine 9.527 Plätze überproportional an internationale Studierende vergeben. Laut Geschäftsbericht 2016 betrug deren Anteil in den Wohnheimen 69,5%. Doch angesichts des neuen Rekordwerts von 187.000 Studierenden in der Stadt standen zu Beginn des aktuellen Wintersemesters 5.430 Bewerber/innen auf der Warteliste.

Luisa Bergholz von der Landesastenkonferenz Berlin beobachtet eine Spaltung der Studierendenschaft bei der Wohnungssuche: „Anbieter wie Youniq nutzen die Wohnungsnot unter Studierenden aus. Wenn man das entsprechende Geld mitbringt, ist es sehr einfach, dort ein Zimmer anzumieten. Die teuren Mieten werden oft von Studierenden aus dem angloamerikanischen Raum in Kauf genommen, wo die Gesamtkosten für das Studium insgesamt viel höher sind als in Deutschland.“ Gleichzeitig werden weniger solvente Studierende, beispielsweise aus Osteuropa, aufgrund der hohen Mieten vom Studium in Berlin abgehalten. Studierende haben laut Zahlen des Studierendenwerks monatlich im Durchschnitt rund 920 Euro zur Verfügung. Der Wohnsatz für die 17% Bafög-Berechtigten beläuft sich auf maximal 260 Euro. Die Angebote der privaten Anbieter sind damit unerschwinglich, doch auch die Zimmerpreise von 350 bis 600 Euro in Neubauten der landeseigenen Berlinovo sind durch den aktuellen Bafögsatz nicht zu bezahlen. „So erklären wir uns, warum das Land Berlin sich aktuell so stark macht für eine Erhöhung des Bafög-Satzes. Das Land baut Wohnungen, die sich Bafög-Berechtigte nicht leisten können“, kritisiert Bergholz. „Es kann aber auch nicht sein, dass das Bafög erhöht wird, um die hohen Mieten der privaten Unternehmen zu finanzieren.“ Die Landesastenkonferenz hat vor Kurzem eine AG Wohnen gegründet, um sich zukünftig verstärkt für die Interessen Studierender in der Wohnungspolitik einzusetzen. „Wir wollen uns in der AG nicht auf das Bafög und die Forderung nach Neubau von Studentenwohnheimen beschränken, denn das betrifft nur einen kleinen Teil der Studierenden. Stattdessen müssen die Mieten endlich reguliert werden und wieder sinken.“                       

           

* Namen geändert

 

 


MieterEcho 394 / April 2018

Schlüsselbegriffe: Arbeitsmigrant/innen, Studierende, atypische Mietverhältnisse, möblierte Wohnungen, Untermiete, Wohnungsnot, Geschäftsfeld, Berlinovo, Youniq, Bafögsatz

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