Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 381 / Juni 2016

Unheilige Allianz

Bau- und Immobilienverbände fordern Abrissprogramm für 1,8 Millionen Wohngebäude

Von Rainer Balcerowiak                                    

 

Die meisten Journalist/innen dachten an einen verspäteten Aprilscherz, als das Bündnis „Abriss und Neubau“ im April in Berlin zur Vorstellung seiner Pläne einlud. Die Spitzenverbände der deutschen Bauwirtschaft und privater Immobilienunternehmen sowie die Gewerkschaft IG BAU fordern, dass in den kommenden Jahren 1,8 Millionen Wohngebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Die Verbände berufen sich dabei auf eine Studie der in Kiel ansässigen Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen und des Pestel-Instituts.    

        

Laut der Studie wäre besonders der Ersatz von Wohnungen aus den 1950er bis 70er Jahren ein geeignetes Mittel, um den Wohnungsbestand schneller und nachhaltiger an energetische Standards heranzuführen und den rasant steigenden Bedarf an altersgerechten und barrierefreien Wohnungen zu decken. Das Programm solle sich daher auf Gebäude „mit nicht veränderlichen negativen Merkmalen wie niedrigen Raumhöhen, ungünstigen Schnitten und zu kleinen Bädern fokussieren“, so der Leiter der Studie Dietmar Walberg. Bei rund 10% des gesamten Wohnungsbestands könne man zudem davon ausgehen, dass ein Neubau wesentlich kostengünstiger zu realisieren sei als eine umfassende energetische Modernisierung oder gar eine barrierefreie Ausgestaltung.       

 

Für Felix Klapetta, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Baugewerbes, ist das skizzierte Programm ein „wichtiger Baustein für die bedarfsgerechte Entwicklung des Wohnungsmarkts“. Man wolle dafür keinen neuen Fördertopf, sondern lediglich „ein Ende der Diskriminierung des Abrisses gegenüber der Modernisierung“. Konkret soll § 35 Baugesetzbuch geändert werden, der den Bestandsschutz für Gebäude regelt. In der neuen Fassung soll es heißen: „Die Errichtung eines Ersatzbaus für ein bestehendes Gebäude kann genehmigt werden, soweit dies zu einer Verbesserung der allgemeinen Wohnungsversorgung beiträgt.“        

Doch dass es dem Bündnis nicht in erster Linie um moderne Wohnungen für alte und mobilitätseingeschränkte Menschen geht, lässt sich der Studie ebenfalls entnehmen. Dort heißt es: Durch eine „Intensivierung des Bestandsersatzes“ könnten „eine Vielzahl von Stadtquartieren unter städtebaulichen und sozialen Aspekten aufgewertet“ werden. Aufgewertet vor allem für Immobilienbesitzer, denn die meisten der für das Abrissprogramm vorgesehenen Häuser unterliegen den örtlichen Mietspiegeln und mit Ersatzneubauten ließen sich Mieten von deutlich über 10 Euro/qm erzielen.    

 

Gewerkschaft IG BAU erhofft Jobs    

Daher will die IG BAU entsprechende Projekte für die betroffenen Mieter/innen „sozial abfedern“. Denkbar wären eine „gerechte Aufteilung der Kosten zwischen Mieter/innen, Vermietern und dem Bund sowie eine Deckelung der Warmmieten nach dem Bezug der neu gebauten Wohnungen“, so Martin Mathes, der bei der IG BAU die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik leitet. Ob das nun Demagogie oder schlichte Unkenntnis ist, bleibt offen, denn Kern der „Abrissoffensive“ bleibt die Vernichtung relativ preiswerten Wohnraums in beträchtlichen Größenordnungen. Ohnehin macht die IG BAU keinen Hehl daraus, dass sie vor allem auf bis zu 20.000 neue Jobs durch die Abrissoffen-sive hofft.                 

Es bleibt die Frage: Was hindert die Bau- und Immobilienwirtschaft eigentlich daran, im Rahmen der „Neubauoffensive“ des Bundes, mit der bis zu 350.000 Wohnungen pro Jahr auf den Weg gebracht werden sollen, den Schwerpunkt auf barrierefreie Wohnungen zu legen?            

Nebulös bleibt, wie man denn angesichts der dramatischen Wohnungsknappheit in vielen Großstädten die temporäre Unterbringung bzw. den Umzug der von Abriss betroffenen Mieter/innen bewerkstelligen will. Verwiesen wurde auf „bewährte Instrumente des Mietermanagements“, wie sie bei der blockweisen Modernisierung eingesetzt würden. Eingeräumt wurde allerdings, dass dies in Städten wie Berlin, wo bereits jetzt Tausende Geflüchtete in Turnhallen und anderen Notunterkünften mehr campieren als wohnen und sogar massenhaft Containersiedlungen gebaut werden, „schwierig“ sei.    


MieterEcho 381 / Juni 2016

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