Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 379 / Februar 2015

Luxusleerstand in Wilmersdorf

Rege Bautätigkeit erzeugt immer mehr Eigentumswohnungen

Von Gudrun Giese       

Der wachsenden Großstadt Berlin, genauer: den Berliner/innen, mangelt es seit Langem an ausreichend bezahlbarem Wohnraum. Dass aber trotz des allseits bekannten Missstands an vielen Stellen der Stadt komplett am Bedarf vorbei gebaut wird, ist skandalös. Einige Beispiele aus Wilmersdorf.                   


Ende September 2013 mussten einige tausend Bürger/innen des Bezirks für mehr als sechs Stunden ihre Wohnungen räumen. Der Grund: Bei bauvorbereitenden Arbeiten auf einem Grundstück an der Hubertusallee im Ortsteil Schmargendorf war eine 500-Kilo-Fliegerbombe russischer Herkunft gefunden worden, die vor Baubeginn unschädlich gemacht werden musste. Während die von offizieller Stelle angeordnete Bombenräumung reibungslos funktionierte, klappte es hingegen mit dem projektierten Luxusbau nicht so recht. Über zwei Jahre nach Baubeginn steht an der Hubertusallee eine bröckelnde Rohbauruine; Kran, Gerüste und sonstige Maschinen wurden längst abgeholt. Lediglich ein Briefkasten und ein sparsames Baustellenschild („Maric Immobilien“) zeugen von den einstigen Plänen, eine weitere von zahlreichen Wilmersdorfer Stadtvillen einträglich zu verwerten. Auch dort, wo Projekte fertiggestellt wurden, findet sich eine Menge Leerstand, manchmal kaschiert durch Namensschilder an den Klingeln, doch deutlich erkennbar unbewohnt angesichts permanent heruntergelassener Rollläden. In der Lassenstraße 12-14 im Ortsteil Grunewald etwa steht eine pompöse „Stadtvilla“ mit sechs üppigen Wohneinheiten seit der Fertigstellung fast ganzjährig leer. Zwei-, dreimal im Jahr wird für ein paar Tage eine der Wohnungen genutzt – als Dritt-, Viert- oder Fünftwohnsitz? Auch aufwendig sanierte und renovierte Altbauten stehen in Grunewald oft jahrelang leer und warten auf solvente Mieter/innen. An der Toni-Lessler-Straße, Ecke Hubertusbader Straße findet sich ein solches Gebäude, groß, mit Türmchen, Balkonen und Erkern verschwenderisch ausgestattet. Seit mindestens einem Jahr hängt am Zaun ein Transparent mit der Aufschrift „Vermietung Gewerbe“. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, wie viele Menschen in dem zu Gewerbe umgewandelten Wohnhaus leben könnten.                           

 

Der Fall Kolonie Oeynhausen       

Nicht nur in den sogenannten besten Lagen des Bezirks grassiert die Fehlsteuerung bei Neu- und Umbau und anschließender Verwertung. Zum Bubenstück besonderer Art avancierte das Geschehen rund um die Laubenkolonie Oeynhausen in Schmargendorf: Rund 93.000 qm Kleingartenfläche, nicht weit vom S- und U-Bahnhof Heidelberger Platz gelegen, wechselten im April 2008 den Besitzer. Die Deutsche Post verscherbelte die ausgedehnte Laubenkolonie, die aus 302 Gärten besteht, für läppische 598.000 Euro an die Firma Lorac, Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Hedgefonds Lone Star. Statt in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) misstrauisch zu werden, schluckten die meisten Verordneten bereitwillig die Aussage des zuständigen Stadtrats Marc Schulte (SPD), dass das Areal über den Flächennutzungsplan seit 1994 dauerhaft als Grünfläche gesichert sei. „Baurechtlich war die Fläche beim Kauf jedoch eindeutig Bauland nach dem gültigen Baunutzungsplan von 1958/60“, erklärt der Bezirksverordnete Siegfried Schlosser (Piraten). Nun hätten das Land Berlin, der Bezirk oder auch der Kleingartenverband für den vergleichsweise niedrigen Preis das Gelände selbst erwerben und als Grünfläche sichern können. Stattdessen verwies der zuständige Stadtrat darauf, dass der Bebauungsplan gerade geändert werde. Lorac hingegen berief sich auf den Uralt-Baunutzungsplan und drohte mit Entschädigungsforderungen in Höhe von 50 Millionen Euro, sollte die Baugenehmigung nicht erteilt werden. Unterdessen hatten sich viele Kleingärtner der Kolonie Oeynhausen längst zur Bürgerinitiative zusammengeschlossen und zunächst ein Bürgerbegehren eingeleitet, das später in einem Bürgerentscheid mündete, der im Mai 2014 mit einem klaren Mehrheitsvotum für den Erhalt der Kleingartenanlage endete. „Bürgerentscheide haben aber keine Bindungswirkung wie Volksentscheide auf Landesebene“, bedauert Siegfried Schlosser. „Und im Bezirksamt hieß es zwar, man wolle die Kolonie Oeynhausen gerne erhalten, habe aber nicht die Mittel, um die geforderte Entschädigungszahlung aufzubringen.“ Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport wiederum setzte Mitte Oktober 2015 eine Veränderungssperre der BVV zur Sicherung der Laubenkolonie außer Kraft. Begründung: Werde Oeynhausen als Grünfläche gesichert, würden hohe Entschädigungszahlungen an den Käufer fällig, die auch der Senat nicht leisten werde. Mittlerweile ist die Arbeit des Ausschusses der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf zu diesem dubiosen Deal beendet, ohne an der Sachlage Grundlegendes ändern zu können.                   

Geändert haben sich zwischenzeitlich die Besitzverhältnisse an dem Schmargendorfer Grüngrundstück: Klaus Groth, stadtweit bekannter Baulöwe, hat es von Lorac übernommen  und plant dort den Bau von 700 Wohneinheiten – Luxus-Eigentumswohnungen selbstredend, keine bezahlbaren Mietwohnungen. Immerhin erklärte Groth sich zu Verhandlungen mit dem Stadtrat, dem Kleingartenverband und Vertretern der Kolonie Oeynhausen über eine Verringerung der zu bebauenden Fläche bereit. In der ersten Januarhälfte gab es darüber eine mündliche Einigung. Dazu die Bürgerinitiative „Schmargendorf braucht Oeynhausen“ auf ihrer Website: „Die Kleingärtner sind genötigt, eine Räumung der Hälfte der Gärten (…) bis zum 31.1.2016 vorzunehmen, ohne dass es eine Garantie für den Bestand der restlichen Fläche als Kleingartenland gibt. (…) Der Bauherr dringt auf Eile.“           

Auch im Ortsteil Halensee wird an vielen Stellen um- oder neugebaut. Zum Beispiel an der Heilbronner Straße zwischen Katharinen- und Karlsruher Straße. Vor Kurzem wurde hier mit dem Teilabriss eines Büro- und Gewerbekomplexes aus den 70er Jahren begonnen. Entstehen sollen einmal mehr Eigentumswohnungen, 170 an der Zahl. „Nichts spricht dagegen, nicht mehr zeitgemäße und ungenutzte Büroflächen zum Wohnen umzunutzen“, schrieb dazu die Bezirksverordnete Nadia Rouhani (fraktionslos) auf ihrer Website. „Aber wieder nur Eigentumswohnungen?“ Einheiten, deren Quadratmeterpreise zwischen 4.600 und 12.000 Euro – je nach Stockwerk – liegen.

 

Eigentumsanteil wächst überproportional           

Gleichzeitig ist Charlottenburg-Wilmersdorf der einzige Berliner Bezirk, der darauf verzichtet hat, eine Wohnungsbaupotenzialstudie zu erstellen. Angeblich gebe es keine unbekannten Flächen mehr im Bezirk, erklärte Stadtentwicklungsstadtrat Marc Schulte. Investoren finden derweil reichlich Flächen im Bezirk, die sie am Bedarf vorbei mit teuren Objekten bebauen können – etwa an der Seesener Straße, wo die Sanus AG auf einem schma-len Streifen ehemaligen Bahngeländes klotzige Gebäude errichtet. „Allein zwischen Januar und August 2015“, so Nadia Rouhani, habe der „Bezirk Baugenehmigungen für 898 neue Wohnungen“ erteilt, vielfach unter Verzicht auf ein Bebauungsplanverfahren. So wandelt sich der Bezirk peu à peu zur reinen Luxuswohngegend, denn der Anteil der Eigentumswohnungen wächst überproportional, wie die Bezirksverordnete festgestellt hat: „Gerade hat eine Marktuntersuchung (Stand 15. Oktober 2015) ergeben, dass es in der Innenstadt doppelt so viele Kauf- wie Mietangebote gäbe, in Wilmersdorf kommen aktuell auf ein Mietangebot 4,4 Eigentums-angebote.“ Besonders schwer hätten es inzwischen Familien, im Bezirk etwa eine – bezahlbare – 4-Zimmer-Mietwohnung zu finden.               

Zurück nach Grunewald. Auch hier bauen Investoren an fast jeder Ecke, natürlich immer Eigentumswohnungen, natürlich immer mit Zusätzen wie „Luxus“ oder „exklusiv“. Flächenpotenziale sind offenbar reichlich vorhanden. In Berlin gab es zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg den Anspruch, auch in sogenannten gutbürgerlichen Wohngegenden schlichte und bezahlbare Mietwohnhäuser zu bauen. Auf diese Weise entstanden in Grunewald, Dahlem oder Westend Mischgebiete mit Villen hier und funktionalen 60er-Jahre-Mietshäusern da. Aber was zählt schon soziale Mischung in Zeiten der Profitmaximierung bei Grundstücksgeschäften und Bauprojekten? Dass immer weniger Menschen tatsächlich in den Luxushäusern leben, scheint dabei nicht von Interesse. Von verantwortlicher städtebaulicher Entwicklung unter Berücksichtigung sozialer Interessen kann in Charlottenburg-Wilmersdorf wirklich nicht die Rede sein – einem Bezirk, in dem auch der Bürgermeister von der Partei gestellt wird, die „sozial“ zumindest noch im Namen führt.                  

 

 


MieterEcho 379 / Februar 2015

Schlüsselbegriffe: Luxusleerstand, Wilmersdorf, Eigentumswohnungen, bezahlbarer Wohnraum, Stadtvillen, Kolonie Oeynhausen, Hedgefonds Lone Star, Flächennutzungsplan

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