Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 379 / Februar 2016

Gut fürs Klima oder für die Dämmstoffindustrie?

Mit der novellierten Energieeinsparverordnung gelten verschärfte energetische Anforderungen beim Wohnungsneubau – diese sind allerdings umstritten

Von Hermann Werle

Bei der zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Neuregelung der Energieeinsparverordnung (EnEV) handelt es sich um die vierte Verschärfung der seit 2002 geltenden Verordnung. Die aktuelle Novellierung betrifft nicht bestehende Gebäude, sondern lediglich Neubauten. Angesichts des dringenden Bedarfs an neuen und zugleich bezahlbaren Wohnungen stellen sich die erhöhten Standards möglicherweise als Neubaubremse dar, da das Bauen dadurch nach Angaben der Bundesarchitektenkammer „um weitere ca. 7,3%“ verteuert würde.            

 

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll Deutschland bis 2050 die „Treibhausgasneutralität“ erreicht haben. Laut einem Impulspapier des Bundesumweltministeriums zum „Klimaschutzplan 2050“ fehlen dabei bislang aber langfristige Zielvorgaben, unter anderem für die Landwirtschaft. Auch für „viele Bereiche der Industrie gibt es noch keine ausreichende Langfristperspektive“, so das Ministerium und in Bereichen wie dem Verkehr bestehen lediglich „Endenergieeinsparziele“. Wesentlich konkreter stellt sich die Langfristperspektive im Bereich der energieeffizienten Gebäude dar, wo mit der erneuten Novellierung der EnEV wacker am Ziel „klimaneutraler Wohnungsbestand im Jahr 2050“ gearbeitet wird. Während in den Bereichen Verkehr und Industrie mit dem VW-Skandal deutlich geworden ist, dass Klima- und Profitziele nicht so ohne Weiteres zusammenpassen, zeichnet sich im Bereich Wohngebäude deutlich ab, wer den Klimawandel im Gebäudebestand zu großen Teilen finanzieren wird und wer davon profitiert: auf der einen Seite sind es die Mieter/innen, auf der anderen Seite ist es die Dämmstoffindustrie.                                                

 

Kein Wohnraum zweiter Klasse                

Seit Januar gilt für neu errichtete Wohn- und Nichtwohngebäude, dass der zulässige Wert für den Primärenergiebedarf um 25% und die Wärmedämmung der Gebäudehülle um 20% effektiver sein muss als nach den bislang geltenden Vorgaben. Eingespart werden soll die Energie in erster Linie über verstärkten Einsatz von Dämmstoffen an Gebäudeaußenwänden. Der Lobbyverband der Dämmstoffindustrie meldete sich denn auch umgehend, als ein Moratorium ins Gespräch kam, das vorsah, die erhöhten Anforderungen der EnEV 2016 eine Zeit lang auszusetzen. „Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei sozialem Wohnraum“ titelte das Informationsblatt „Styropor aktuell“ des Industrieverbands Hartschaum (IVH) im September 2015. Dabei macht sich die Dämmstoff-Lobby nicht nur zum Sprachrohr des Umweltschutzes, sondern nun auch zur Schutzherrin der Geflüchteten und Armen in unserer Gesellschaft. „Durch die Absenkung des energetischen Standards für Gebäude bis 2020 würde für Flüchtlinge und Menschen mit einem niedrigen Einkommen Wohnraum zweiter Klasse geschaffen werden“, so der IVH.     Auch die Bundesarchitektenkammer betont, dass ein „qualitätsvoller und bezahlbarer Wohnungsbau für alle“ dringlich sei und man „kein Unterlaufen von gültigen Standards zulassen“ dürfe (Seite 4). Allerdings, so die Architektenkammer, müsse die EnEV einer kritischen Evaluierung unterzogen werden, die überprüft, „ob die theoretischen Einspareffekte in der Praxis tatsächlich wirksam werden“. Das klingt plausibel, zumal die Nachteile der auf Hartschaumplatten basierenden Wärmedämmsysteme hinlänglich bekannt sind. Alternative Materia-lien sind zwar auf dem Markt, werden aber nach wie vor kaum genutzt, wie der „Verband Privater Bauherren“ in einer Stellungnahme im Dezember letzten Jahres kritisierte: „Wir als Verbraucherschutzverband sehen hier auch die Baustoffindustrie in der Pflicht (…). Wir brauchen keine weiteren Neuentwicklungen auf Erdölbasis, keine Kleber oder Schäume, die Mörtel ersetzen. Wir brauchen vielmehr nachhaltige Produkte, die die Umwelt schonen und sich nach Jahrzehnten wieder recyceln lassen. Die bereits vorhandenen ökologischen Materialien können dazu noch erheblich verbessert werden. Das ist ein großer Markt!“                                              

 

Die Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden“ , kurz Energieeinsparverordnung (EnEV), trat im Jahr 2002 in Kraft. Bei jeder der seitdem erfolgten vier Novellierungen wurden die Anforderungen verschärft.


MieterEcho 379 / Februar 2016

Schlüsselbegriffe: Dämmstoffindustrie, Energieeinsparverordnung, EnEV, energetische Anforderungen, Wohnungsneubau. Treibhausgasneutralität, Klimaschutzplan 2050, Endenergieeinsparziele, Dämmstoff-Lobby, Industrieverband Hartschaum

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